Eingabe löschen

Kopfbereich

Schnellnavigation

Hauptnavigation

Fünf Fragen an Thomas Sauter-Servaes, Studiengangleiter Verkehrssysteme

„Nicht nur nachmachen, sondern auch neu machen!“ – Im Interview erläutert der Mobilitätsforscher Dr. Thomas Sauter-Servaes, warum wir den Mut haben sollten, das gesamte System zu ändern, anstatt nur an einzelnen Schrauben zu drehen.

Derzeit sind selbstfahrende Autos in aller Munde. Wie sieht Ihre persönliche Vision der zukünftigen Mobilität aus?

Selbstfahrende Autos werden definitiv kommen. Aber sie stellen keine Lösung des Verkehrsproblems dar. Denn egal, ob ich selber am Steuer sitze oder nicht: Das Kapazitätsproblem bleibt unverändert. Dieses Problem lässt sich nicht mit einzelnen technischen Lösungen bewältigen. Stattdessen muss man den Verkehr als Gesamtsystem betrachten und entsprechend systemische Ansätze verfolgen. Es gibt ja bereits viele gute Ideen, die von der Digitalisierung der Gesellschaft profitieren – beispielsweise diverse Sharing-Angebote im Verkehr. Aus dem heutigen Flickwerk von einzelnen Verkehrslösungen liesse sich ein Gesamtnetzwerk aufbauen. Meine Vision ist, dass alle umweltfreundlichen Verkehrsmittel miteinander vernetzt sind. Reisende sollen diese Mittel beliebig kombinieren können, um ressourceneffizienter und nachhaltiger unterwegs sowie schneller am Ziel zu sein.

Abgesehen von der Vernetzung – welches Transportmittel hat die grösste Zukunft?

Natürlich das BICAR. (lacht) Im Ernst: Grundsätzlich hat jedes Verkehrsmittel je nach Situation seine Berechtigung. Bereits heute lebt die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten – Tendenz steigend. Folglich wird es dort immer enger. In urbanen Gebieten müssen Fahrzeuge also einerseits kleiner werden und andererseits müssen wir als urbane Verkehrsteilnehmer unsere Einstellung ändern: vom Besitzen hin zum Teilen.

Ist Mobilität trotz der enormen Infrastrukturkosten einfach zu günstig?

Ja, Mobilität ist definitiv zu billig. Als Verkehrsteilnehmer zahle ich weder für den Lärm noch die lokalen Abgase, die ich verursache. Auch zahle ich zu wenig für den Flächenbedarf. Denn das Auto steht durchschnittlich 23 Stunden am Tag still und benutzt Fläche, die eigentlich anders genutzt werden könnte. Wären diese externen Kosten gesamthaft in Benzin- und Flugkosten integriert, sähe die Wahl des Verkehrsmittels vielfach anders aus. Aber ohne diese Kostenwahrheit werden wir kaum das aktuelle Mobilitätsverhalten in Richtung Nachhaltigkeit drehen können.

Was muss passieren, um das individuelle Mobilitätbedürfnis auf umweltschonende Weise decken zu können?

Neben fairen Preisen setze ich auf den Trend zu gesünderen Lebensstilen. Gesundheit ist ein globaler Megatrend. Mobilität basierend auf eigener Muskelkraft kann einen wichtigen Beitrag zu einem gesünderen Lebensstil bilden. Nutzniesser wird vor allem das Velo sein, das schon heute in ursprünglich velofeindlichen Metropolen wie London, Paris oder Kopenhagen eine Renaissance erlebt.

Sie sind an der ZHAW verantwortlich für die Ausbildung von Ingenieurinnen und Ingenieuren im Studiengang Verkehrssysteme. Wie bereiten Sie Ihre Studierenden auf die Herausforderungen in der Verkehrsbranche vor?

Bisher wird gerade beim Verkehr sehr gerne nur an einer Schraube gedreht und gehofft, dass sich dann das gesamte System zum Positiven verändert. Dem ist aber nicht so. Beispiel: Ich habe ein Stauproblem auf einer zweispurigen Autobahn. Mit einer dritten Spur wird der Verkehr wieder fliessen. Damit schaffe ich aber gleichzeitig für neue Nutzer den Anreiz, die Strecke zu befahren. So füttert sich also die Strasse quasi selber. Dies führt schlussendlich wieder dazu, dass auch drei Spuren nicht ausreichen. Stattdessen sollen die Studierenden systemisch denken: Wofür legen die Leute diese Strecke zurück? Wie kann ich dafür sorgen, dass die Strecke weniger befahren wird? Oder wie kann ich die Leute dazu motivieren, ein anderes Verkehrsmittel zu wählen? Da ist sicherlich auch ein gewisser Pioniergeist gefragt. Der Bereich Verkehr entwickelt sich extrem dynamisch. Und das heisst, dass wir in vielen Dingen ganz neue Lösungen brauchen. Frei nach dem Motto: Nicht nur nachmachen, sondern auch neu machen.

Mehr von Thomas Sauter-Servaes finden Sie auf dem Verkehrssysteme-Blog:

blog.zhaw.ch/verkehrssysteme