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Standardisierte algorithmische Abbildung von Finanzkontrakten

ACTUS (Algorithmic Contract Types Unified Standards) ist eine globale Initiative zur Standardisierung der Daten und Algorithmen von Finanzkontrakten mit dem Ziel einer konsistenten, transparenten und effizienten Analyse auf unterschiedlichen Aggregationsebenen.

Während der Finanzkrise vor rund zehn Jahren konnten grosse Banken nur mit Hilfe von weltweit hunderten Milliarden Franken an Steuergeldern gerettet werden. Etliche Banken oder Finanzdienstleister wurden nicht gestützt und erlagen der Krise. Warum nahm die damalige Krise, die in einem kleinen Marktsegment begann, derartige Ausmasse an? «Wegen der Niedrigzinspolitik der US-Zentralbank FED investierten viele Banken massiv in hoch profitable und scheinbar sichere – also AAA-geratete – Subprime-Hypothekendarlehen. Die Risiken, die damit einhergingen, waren zunächst nicht sichtbar», erklärt Wolfgang Breymann, Professor für Finanzmathematik an der ZHAW School of Engineering. «Während der Krise wurde deutlich, dass niemand wusste, wer wieviel von diesen «vergifteten» Produkten in seinen Bilanzen hatte. Dies führte zum gefährlichen Einfrieren des Interbankenmarktes nach dem Konkurs von Lehman Brothers im September 2008.» Einer der Gründe dafür war das Fehlen einer einheitlichen Abbildung von Finanzkontrakten in sämtlichen IT-Systemen. Genau dort hat die Gruppe von Wolfgang Breymann zusammen mit einem internationalen Forschungsteam angesetzt und – gefördert von der Alfred P. Sloan Foundation und später auch der Innosuisse – eine Lösung entwickelt. «Algorithmic Contract Types Unified Standards» oder kurz ACTUS ist ein Standard für Daten und Algorithmen zur einheitlichen Darstellung aller Finanzverträge.

Verträge lassen sich standardisieren
Zur Risikobewertung prüfen Aufsichtsbehörden, ob eine Bank genügend Kapital besitzt, wenn sich das finanzielle Umfeld dramatisch verschlechtert. Ein wichtiges Instrument dabei sind sogenannte «Stresstests». Die vollständige Prüfung der dabei gewonnenen Informationen kann Wochen oder gar Monate dauern. «Die Langwierigkeit und die damit verbundenen Kosten sind in erster Linie hausgemacht», erklärt Wolfgang Breymann. «Die Prüfung dauert so lange, weil die Bilanz einer Bank aus Millionen von Verträgen besteht, die in den IT-Systemen nicht einheitlich dargestellt und bewertet werden.» Diese Heterogenität der Abbildungen und Modelle steht der Automatisierung der analytischen Prozesse im Wege. An dieser Stelle setzt ACTUS an. Wolfgang Breymann erläutert, dass Finanzkontrakte zwar vielfältig und komplex erscheinen, sich aber fast immer aus denselben Grundelementen zusammensetzen: «Wenn man von den rechtlichen Bedingungen absieht und sich auf die Cash-Flow-Verpflichtungen konzentriert, schrumpft die Vielfalt der finanziellen Verträge oder Vereinbarungen drastisch», so Breymann. «Die überwiegende Mehrheit der relevanten Finanzkontrakte basiert auf einer überschaubaren Anzahl zugrundeliegender Mechanismen.» Das ermöglicht die für die Automatisierung unverzichtbare Standardisierung der Darstellung dieser Kontrakte: «Sämtliche IT-Systeme werden dann die gleiche ‘analytische Sprache’ sprechen. Das ist vergleichbar mit dem universellen genetischen Code.»

Risiken einfach analysieren
ACTUS kombiniert die Vertragsinformationen und die Algorithmen, die diese Verträge in Cashflows umwandeln, mit zusätzlichen Informationen in Form sogenannter Risikofaktoren, die den Zustand des finanziellen Umfelds bestimmen – beispielsweise Zinssätze oder Wechselkurse. Dann generiert ACTUS die Rohergebnisse in Form von Cashflow-Datenströmen in einem spezifischen Datenformat, das portabel und einfach zu analysieren ist. Daraus lassen sich dann in kurzer Zeit – im Wesentlichen durch einfaches Aufsummieren – alle relevanten Finanzanalysen wie Liquiditäts- und Solvenzberechnungen sowie damit im Zusammenhang stehende Risikoanalysen gewinnen. «Die Finanzverträge bekommen gewissermassen analytische Intelligenz, da sie Rohresultate für die Analyse automatisch liefern», fasst Breymann zusammen. «Die Banken profitieren von der Automatisierung, weil sie interne Prozesse verkürzt und somit Kosten einspart. Ausserdem lassen sich dank der Vereinheitlichung verschiedene Banken untereinander vergleichen.»

Mit echten Daten erfolgreich getestet
Die entwickelten ACTUS-Datenstandards ermöglichen nicht nur eine effiziente Risikobewertung und Finanzanalyse, sondern verbessern auch die Transaktionsverarbeitung und die Risikoberichterstattung. Die Forschenden haben ACTUS in einer Proof-of-Concept-Demonstration erfolgreich getestet. Dabei verwendeten sie Daten der Europäischen Zentralbank und eines grossen US-Vermögensverwalters. Die Software kann gratis bei der US-basierten ACTUS Financial Research Foundation heruntergeladen werden. Wolfgang Breymann sitzt im Verwaltungsrat dieser Stiftung. Weiter hat er mit seinem Team eine R-basierte Prototypumgebung für die ACTUS-basierte Finanzanalyse für Lehre und Forschung entwickelt. Ausserdem wird ACTUS zur Zeit weiterentwickelt, um nicht nur die Analyse sondern auch Kernbankenprozesse wie die Transaktionsverarbeitung zu unterstützen und damit die Grundlage für eine integrierte, digitale Bankinfrastruktur zu schaffen. «Dies wird die erste Banking-Plattform sein, die traditionelle und FinTech-Banking-Kanäle integriert und Kernbankprozesse wie Transaktionsverarbeitung zusammen mit Back-Office Prozessen wie Risikoanalyse und -reporting automatisiert», verspricht Breymann. «Unsere Vision ist es, dass die Informationen täglich neu berechnet werden, wie der Wetterbericht.»