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Mit Mensch-Maschinen-Teams die Luftraumüberwachung verbessern

Im Air Traffic Management (ATM) kommt es auf ein ausgeprägtes Situationsbewusstsein und ein schnelles Reaktionsvermögen an. Das Horizon 2020 SESAR 3 Joint Undertaking Projekt «AISA» mit Beteilung der ZHAW will herausfinden, wie der Einsatz eines maschinellen Situationsbewusstseins die Flugverkehrsleitenden sinnvoll bei ihrer Arbeit unterstützen und als Grundlage für weitreichendere Automation dienen kann.

Der Tower am Flughafen Zürich: Flugverkehrsleitende müssen das Geschehen am Flughafen und in der Luft jederzeit im Blick haben. Ein maschinelles Situationsbewusstsein könnte sie in Zukunft bei ihrer Arbeit unterstützen. Bild: Markus Mainka (www.aviation-stock.de)

Zu den Aufgaben von Flugverkehrsleitenden (engl. Air Traffic Controllers) gehört es, den Flugverkehr genau im Blick zu behalten und darauf zu achten, dass Flughöhen und Abstände zwischen Flugzeugen eingehalten werden. Dabei muss die Konzentration durchgehend auf den Funk und das Radar gerichtet sein. Dieses komplexe Aufgabenfeld erfordert eine verlässliche Daueraufmerksamkeit und ist mit einem hohen Mass an Verantwortung verbunden.

Um die anspruchsvolle Arbeit der Flugverkehrleitenden zu unterstützen, soll das Projekt AISA (Artificial Situational Awareness Foundation for Advancing Automation) ein sogenanntes Knowledge-Graph-System entwickeln. Dieses bezweckt, sämtliches Wissen zu den Aufgaben der Flugverkehrsleitenden abzubilden, und generiert mithilfe von Künstlicher Intelligenz ein Situationsbewusstsein (machine situation awarness). Damit ist das System fähig, den Flugverkehr zu überwachen und Flugverkehrsleitende darin zu unterstützen, die Übersicht zu behalten, sicherheitskritische Situationen frühzeitig zu erkennen und in ihren Entscheidungen zu berücksichtigen. Bereits existierende automatisierte Tools, wie beispielsweise Conflict-Detection-Systeme, sollen dabei in das System eingebunden werden können. «Unsere Aufgabe im AISA-Projekt ist es, die Machbarkeit der Idee eines Knowledge-Graph-Systems mit Machine Learning Modulen im Kontext von Air Traffic Monitoring zu prüfen. Für unseren Teil der Forschung ist von Interesse, wie gut es gelingt, mit dem Menschen eine gemeinsame Team Situation Awareness aufzubauen und wie die Flugverkehrsleitenden darauf reagieren», erläutert Arbeitspaket-Leiterin Ruth Häusler, die am ZHAW Zentrum für Aviatik (ZAV) im Bereich Human Factors forscht. Das System ist so konzipiert, dass es drei Machine Learning Module integriert: das Conflict Detection Modul, das auf die korrekten Abstände zwischen den Flugzeugen achtet, das 4D-Flight-Trajectory Modul zur Vorhersage der Flugverlaufsbahn sowie das Traffic Complexity Modul. Zum Projektteam gehören neben Ruth Häusler die wissenschaftliche Assistent:innen Celina Vetter, Luca Tensfeldt und Manuel Roth.

Helfender Assistent oder unnütze Ablenkung?

Das ZHAW-Team testete in zwei Experimenten die Genauigkeit des maschinellen Situationsbewusstseins und wie es sich im Vergleich zum menschlichen verhält. «In einem ersten Schritt ging es darum zu verstehen, wie Flugverkehrsleitende überhaupt arbeiten», so Ruth Häusler. Daher wurden im ersten Experiment Daten von den teilnehmenden 20 Flugverkehrsleitenden gewonnen, wie sie in verschiedenen vorgegebenen Situationen vorgehen. Ein zweites Experiment untersuchte, wie eine andere Gruppe von Flugverkehrsleitende mit maschineller Unterstützung arbeitete. Diese wurden zudem zu verschiedenen Situationsaspekten befragt. Kurz danach erhielten sie die Antworten des maschinellen Situationsbewusstseins. «Damit hatten wir eine Art Gegenüberstellung und die Teilnehmenden bekamen gleichzeitig direktes Feedback auf ihre Antworten», erklärt Ruth Häusler den Effekt des Experiments.

Maschineller Kollege kennt keine höfliche Zurückhaltung

Die Ergebnisse des Experimentes zeigten, dass wenn Flugverkehrsleitende Feedback aus der maschinellen Situation Awareness zu konkreten Situationsaspekten erhielten, sie ihr eigenes Situationsbewusstsein tendenziell tiefer einschätzten. Das experimentelle Setup verbesserte somit die Monitorfähigkeit der Flugverkehrsleitenden. «Wichtig ist zu verstehen, dass der Mensch wahrnehmungsmässig ein Minimalist ist: Er macht sich aus wenigen Inputs ein Bild von der Situation. Die Maschine dagegen macht genau das Gegenteil, sie durchsucht Datenberge systematisch und erschöpfend. Die Chance und Herausforderung zugleich liegen darin, diese unterschiedlichen Systeme zu einem Team zu koppeln», erklärt Ruth Häusler. Zudem habe das System den Vorteil, dass es keinen sozialen Normen unterliege oder Hemmungen zeige, Kolleg:innen zu hinterfragen oder zu korrigieren.

«Während der Durchführung der Experimente waren wir fasziniert davon, wie unterschiedlich die Flugverkehrsleitenden teilweise vorgehen», schildert Ruth Häusler. «Beispielsweise reagierten einige auf Konflikte eher ruhig, indem sie zuerst mehrere Informationen sammelten und gewichteten, bevor sie diese in gebündelter Form an Pilot:innen weitergaben. Andere hingegen gaben Information in mehreren Kommunikationsschritten zeitnah weiter und passten ihr Vorgehen öfter an. Sie alle erreichten schliesslich eine sichere und effiziente Flugsicherung – die ultimative Job-Mission. Es war für uns ein Augenöffner zu sehen, dass es zahlreiche Möglichkeiten gibt, dieses Ziel sicher zu erreichen.» Eine Kombination aus Erfassung der Aufgabenleistung mit Messungen aus Eye-Tracker und psychophysiologischen Sensoren könne weitere interessante Analysen menschlicher Leistung ermöglichen und die Kommunikation zwischen dem Menschen und der Maschine verbessern. Solch eine umfangreiche Datenquelle sei vielversprechend, um maschinelles Lernen weiter zu fördern und so die Abstimmung zwischen dem Menschen und der Maschine in Zukunft zu verbessern.

Die Technologie funktioniert, braucht aber noch mehr Daten

In einem nachfolgenden Schritt haben Forschende von der Universität Zagreb ausgewertet, wie verlässlich die maschinelle Situation Awareness arbeitet. Sichergestellt ist jedenfalls, dass die eingesetzte Technologie funktioniert. «Die Machine Learning Module müssen noch weiter verbessert und mit mehr Daten trainiert werden. Sie müssen lernen, welche Informationen zu welchem Zeitpunkt für Flugverkehrsleitende wichtig sind und welche nicht», so Ruth Häusler. Auch wie das System mit den Flugverkehrsleitenden sinnvoll kommuniziert, ohne für unnötige Ablenkung zu sorgen, muss noch optimiert werden. Dabei soll das System keinesfalls die Arbeit der Flugverkehrsleitenden ersetzen, sondern sie sinnvoll entlasten, um somit gemeinsam grosse Verkehrsaufkommen besser zu bewältigen.

Bis die Teamarbeit zwischen Flugverkehrsleitenden und einem maschinellen Situationsbewusstsein Wirklichkeit wird, ist jedoch noch ein langer Weg zu gehen. Die technischen Möglichkeiten dafür sind aber bereits Realität.