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Wohin führt die vierte industrielle Revolution in der Lebensmittelbranche?

Das Internet der Dinge gilt als die vierte industrielle Revolution nach der Erfindung der Dampfmaschine, der Einführung der Elektrizität und der Erfindung des Computers, so beschreibt es die NZZ am Sonntag vom 22. Februar 2015. Was bedeutet dies nun für unsere Tisch- und Esskultur und für die Lebensmittelbranche? Die diesjährige Wädenswiler Lebensmitteltagung der ZHAW warf einen Blick in die Zukunft.

Mehr als 130 Teilnehmende aus der Lebensmittelindustrie, der Forschung und Entwicklung und weiteren Bereichen der Lebensmittelwirtschaft wollten an der Fachtagung vom 19. November 2015 erfahren, was mit der digitalen Revolution künftig auf sie zukommen wird – sei es als Arbeitgeber/Arbeitgeberin oder als Arbeitnehmende, aber auch als Konsumentin und Konsument.

Daten als «Öl des 21. Jahrhunderts»

Daten gelten als das «Öl des 21. Jahrhunderts». Zukunftsforscher gehen davon aus, dass bereits in fünf Jahren 50 Milliarden Maschinen und Geräte mit dem Internet verbunden sein werden. Menschen werden mit Maschinen ganz selbstverständlich wie in einem sozialen Netzwerk kommunizieren, komplexe Prozesse werden besser beherrscht und effizienter. Was bedeutet diese Digitalisierung aber für den einzelnen Menschen an seinem Arbeitsplatz oder für sein tägliches Leben als Konsumentin oder Konsument? Führt sie zu einer Optimierung der Prozesse und vielleicht auch zu einer grösseren Wertschöpfung in der Lebensmittelherstellung? Welche Risiken und Gefahren stecken möglicherweise in der Vernetzung der realen und der virtuellen Welt? Wie verändern sich Ess- und Tischkulturen, die sich über Generationen entwickelt haben, mit diesem Umbruch in eine immer digitalere Welt? Unter dem Titel «Lebensmittel 4.0 – wohin führt die vierte industrielle Revolution und was bedeutet sie für die Entwicklung unserer Tisch- und Esskultur?» nahm sich die Wädenswiler Lebensmitteltagung dieser Fragen an.

Food Revolution – Lebensmittel in der nächsten Gesellschaft

«Food Revolution: Wir erleben einen Kulturwandel, der sich über einen Wertewandel einer neuen digitalen Generation etabliert». Mit dieser These ging Jan Bathel, Vordenker der Foundation Next Society in Berlin, darauf ein, dass wir in einem Spagat leben zwischen der Sehnsucht nach Tradition und alten Werten einerseits und einer zunehmenden Digitalisierung unserer Arbeitswelt andererseits. Die Industrie ist gefordert, ihre Produkte, Prozesse und Businessmodelle zu überdenken und anzupassen. Traditionelle Kompetenzen wie vorgegebene Ziele, Stabilität und Fach- und Führungs­kompetenz werden durch neue Kompetenzen wie Inspiration, Veränderungsbereitschaft und digitale Kompetenz abgelöst. Dies steigert den ohnehin schon hohen Innovationsdruck, führt aber beim Hersteller dazu, dass der Kunde, die Kundin ins Zentrum rücken, indem sie mittels digitaler Instrumente zunehmend jederzeit mitwirken können. Das Essen wird «digitalisiert». Bereits heute teilen 29% aller Social Media-User Lebensmittel-Fotos im Netz und 89% der US-Bevölkerung suchen Rezepte per Internet. Von den 130 Millionen Menschen, die in den USA täglich alleine essen, sind dabei 32% mit dem Social Media-Netz verbunden.

Lebensmittel-Industrie 4.0 in der Praxis

Prof. Tilo Hühn vom ZHAW-Institut für Lebensmittel- und Getränkeinnovation in Wädenswil beleuchtete die Lebensmittelindustrie 4.0 aus seiner Warte. Vor dem Hintergrund der Kommunikation intelligenter Maschinen in Cyber-Physikalischen-Produktionssystemen mit Menschen und Betriebsmitteln entsteht eine neue dezentrale Operationslogik. Die ermöglicht und erfordert veränderte Businessmodelle. Zum Beispiel selbststeuernde Maschinen, die ihre passenden Wartungs- und Reinigungskräfte anfordern, wenn sie zur effizienten und stabilen Operation benötigt werden, in einer Fabrik, die sich selbst organisiert. Oder Betriebsmittel und Produkte, die identisch gekennzeichnet und jederzeit lokalisierbar sind und eigenständig den Weg durch die Herstellungsprozesse zu den Konsumentinnen und Konsumenten finden. Weiter Algorithmen, die durch Verknüpfung von sensorischen Präferenzen bestimmter Erlebnisgruppen mit physikalisch-chemischen Produktdaten Prozesse so steuern, dass eine maximale Kundenzufriedenheit entsteht.

Produktion und Handel reagieren bereits auf die Digitalisierung der Gesellschaft, die weiter fortschreitet. Voraussehbar ist, dass zunehmend eine Kooperation zwischen Roboter und Mensch, verbunden mit der Entwicklung notwendiger Sensorik stattfindet. Betriebssicherheit und Angriffs­sicherheit der intelligenten Fabrik stellen dabei wichtige Aufgaben dar. Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und Organisationsformen sind absehbar, ein darauf ausgerichtetes Bildungssystem ist unabdingbar. Die Hyperkontextkompetenz scheint eine der Schlüsselqualifikationen des Computerzeitalters zu sein.

Durch die vierte industrielle Revolution können in Echtzeit steuerbare Wertschöpfungsnetzwerke entstehen, deren Produkte und Prozesse vollkommen transparent und rückverfolgbar sind. Vom «Do it industrial», das von der Arbeitsteilung geprägt ist, über das «Do it yourself», wo es um Eigenständigkeit und oft um Kontrolle über die Ressourcen geht – (und wo Vertrauen verloren wurde), zum «Do it together», bei dem respektvoll und transparent Konsumenten mit Produzenten nachhaltig in Netzwerken kooperieren.

Big Data und Produktionssteuerung in der Lebensmittel-Industrie

«Big Data ist die Schoggi der Zukunft» Prof. Thomas Ott vom Institut für Angewandte Simulation der ZHAW meint damit, dass wir bei Big Data lernen müssen, wie bei der Schoggi die süsse und die bittere Seite in der idealen Kombination zu verstehen, zu nutzen und zu geniessen. Was bedeutet aber Big Data für Lebensmittel 4.0? Wir benötigen Algorithmen, die wir gezielt einsetzen können, um Voraussagungen machen zu können, aber auch Erklärungen zu Problemstellungen generieren zu können. Wir lernen aus Big Data. Wichtig ist, dass der Mensch und die Maschine als ergänzende Partner funktionieren. Es braucht neben den smarten Technologien einen offenen und durchaus kritischen Umgang mit dem Thema. Es braucht aber vor allem Menschen, die dank einem ausgewiesenen Domain-Wissen und der Fähigkeit, die Potenziale der neuen Technologien zu erkennen, richtig einzuschätzen und umzusetzen, das komplexe Zusammenspiel zwischen der Meta-Intelligenz und Big Data beherrschen. Mit diesem Ziel sollen künftig Studierende mit einem Hintergrund in Life Sciences in einer geplanten Mastervertiefung MSc Computational Life Sciences an der ZHAW ausgebildet werden.

Big Data oder Big Mac? Wer soll denn das alles essen?

Robert Schumacher, Director New Business Development von gateB in Steinhausen, ging in seinem Referat der Frage nach, wo wir heute in unserem täglichen Leben bereits mit Big Data konfrontiert sind. Er zeigte auf, dass die Herausforderung nicht die Technologien sind, sondern wie man als Unternehmen mit Big Data umgeht. Von den Mitarbeitenden sind neue Skills, neue Top-Fähigkeiten im Umgang mit Daten gefordert. Zu diesen Topfähigkeiten gehört, dass der oder die Mitarbeitende sich zuerst im Klaren sein muss, welche Fragen gestellt und beantwortet werden müssen. Aus dem Austausch mit Partnern, insbesondere den Kundinnen und Kunden, werden Aktionen generiert und daraus folgend wiederum neue Daten. Zentral im ganzen Prozess und entscheidend für dessen Erfolg ist die Kundenbeziehung. «Erfolgreiche Unternehmen sind datengetriebene Unternehmen, denen es in diversifizierten Massenmärkten gelingt, ein ähnlich gutes Verständnis des Einzelkunden zu gewinnen, wie Tante Emma es hatte», betonte Schumacher. Die Erfolgskriterien dazu werden sein: «konkret, kreativ und kollaborativ».

Aktuelle Forschungsarbeiten von jungen Studierenden

Mit vier Kurzpräsentationen gaben junge Forschende vom Institut für Lebensmittel- und Getränke­innovation Einblicke in ihre aktuellen Forschungsarbeiten. Die Themen reichten vom Einsatz von Insektenprotein in Backwaren, ein Projekt der drei Insektenforscher Meinrad Koch, Stefan Klettenhammer und Philippe Geiger, über analytische Forschungsarbeiten am Beispiel des Nachweises von Proteinen und Polysacchariden (Carlo Weber) bzw. Polyphenolen (Vasilisa Pedan) mittels HPTLC bis hin zu einer Arbeit im Bereich der Konsumentenforschung (Julia Kinner).

Tradition und Moderne: Kreativer Ideenfindungsworkshop

In einem neuen Format der Wädenswiler Lebensmitteltagung waren die Teilnehmenden am Nachmittag eingeladen, sich aktiv in die Tagung einzubringen. Motiviert und sicherlich auch provoziert durch die Vorträge des Vormittags wurden die Gäste mit kurzen Input-Referaten zu den Themen «personalized nutrition», «Marktforschung 4.0» bzw. «Digitale Transformation im Agro-Food-Sektor – Erfahrungsbericht» aufgefordert, sich auf das Tagungsthema einzulassen.

Prof. Christine Brombach vom Institut für Lebensmittel- und Getränkeinnovation ging in ihren Ausführungen auf die Frage ein, ob unsere Gene oder die Umwelt unser Ernährungsverhalten steuern. Werden wir künftig noch vermehrt auf «individualisiertes» Essen fokussieren, geprägt durch unsere Gene und beeinflusst durch die Wechselwirkung mit der Umwelt und insbesondere mit der Ernährung? Aktuell wissen wir, dass die Ernährung oder Nahrungsbestandteile potenziell in der Lage sind, die Risiken aus Polymorphismen zu kompensieren oder aber zu verschärfen – es gibt dazu aber noch viel Forschungsbedarf.

Komplexes Wissen an Konsumentinnen und Konsumenten vermitteln

Dr. Angela Bearth von der School of Management and Law der ZHAW setzte sich in ihrem Referat zum Thema «Marktforschung 4.0» mit dem verstärkten Wunsch nach natürlichen Lebensmitteln auseinander, das heisst Lebensmittel, die gesund, sicher und frisch sind, die ohne Verarbeitung und ohne Konservierungsstoffe hergestellt wurden. Die Aufgabe der Kommunikation und des Marketings besteht darin, komplexe Informationen anhand von «Informational Nudges» bzw. Informationshappen zu vermitteln. Dies geschieht mit einfachen Grafiken und kurzen Texten, die die Konsumentinnen und Konsumenten zum Denken anregen und so komplexes Wissen auf interessante Weise vermitteln können. Basierend auf Wissen, aber vor allem auf Vertrauen können Risiken oder Vorteile einer Innovation die Akzeptanz beeinflussen, die letztendlich über Erfolg oder Misserfolg einer Innovation entscheidet.

Meiert J. Grootes, Managing Director vom Agro Food Innovation Park in Frauenfeld wies in seinem Vortrag zum Thema «Digitale Transformation im Food Sektor» darauf hin, dass mit der Digitalisierung als mächtigem Treiber die gesamte Agro Food Branche komplett transformiert wird. Bei dieser digitalen Transformation geht es um Kundenerlebnisse, Unternehmensprozesse und Geschäftsmodelle. Höchstes Niveau an digitalem Wissen ist gefordert, denn die digitale Kompetenz und deren Nutzung können zu einer Verbesserung der Leistung von Unternehmen und Organisationen führen. Hier sind wir gefordert, denn «digitale Transformation ist keine Pauschalreise, sondern eine Expedition», erklärte Grootes.

Erfolgreiches neues Konzept mit Ideenfindungsworkshop

In Zusammenarbeit mit Lemon BrainStore wurden am Nachmittag im Ideenfindungsworkshop die Tagungsteilnehmenden mit mehr als 100 Thesen und Fragen zum Thema herausgefordert und motiviert, Stellung zu nehmen zur Frage «Lebensmittel 4.0: Wie kann ich in meiner Arbeit Tradition und Moderne verbinden?». Aus über 1600 Inspirationen verdichteten sich 84 Ideen zu Lebensmittel 4.0, die die Wünsche und die Zukunft des «Wie, Was und Wo» der Lebensmittelbeschaffung und -herstellung und des Lebensmittelkonsums aufzeigten. Die Workshop-Teilnehmenden genossen es, sich auf kreative Art auf die vielen Fragen und Postulate im Zusammenhang mit Lebensmittel 4.0 einzulassen, und gleichzeitig die Chance zu nutzen, sich mit Kolleginnen und Kollegen der Branche auszutauschen. Die Vorträge und die Ergebnisse aus dem Workshop sind bis 31. März 2015 für die Tagungs­teilnehmenden abrufbar unter: www.zhaw.ch/ilgi/lebensmitteltagung/.

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Fachkontakt: Prof. Dr. Corinne Gantenbein-Demarchi, Stv. Leiterin Institut für Lebensmittel- und Getränkeinnovation, ZHAW in Wädenswil. Telefon: 058 934 57 09, E-Mail: corinne.gantenbeindemarchi@zhaw.ch

Medienstelle ZHAW, Wädenswil: Cornelia Sidler, Media Relations Departement Life Sciences und Facility Management, ZHAW in Wädenswil. Telefon 058 934 53 66, E-Mail: cornelia.sidler@zhaw.ch