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Ein neues ZHAW-Verfahren revolutioniert kalten Kaffee

RE-THINK – neu denken – will ein St. Galler Start-up die Art, Cold Brew herzustellen, zu vermarkten und zu vertreiben. Das ganz neuartige Herstellungsverfahren wurde an der ZHAW entwickelt.

Kaffeeliebhaber unterscheiden grob zwei Philosophien: Die einen nehmen sich viel Zeit für den bewussten Genuss ihres Lieblingsgetränks – gerne in Form eines dunkel gerösteten Espresso. Die anderen bevorzugen die Ready-to-drink-Variante als ständigen Begleiter und Muntermacher. Vor allem bei jungen Menschen ist der Kaffee für unterwegs im Trend. Supermärkte bauen ihr Angebot an Frappuccinos, Coffee-Smoothies oder auch saisonalen Kreationen immer mehr aus. Aus den USA – dem Ursprungsland des Coffee-to-go – schwappt nun ein neuer Trend herüber. Heiss geliebt und eiskalt getrunken wird dort vor allem Cold Brew – kalt gebrühter Kaffee. Allmählich erreicht diese Art von Kaffee auch europäische Metropolen wie London, Berlin und Paris.

Ein junges St. Galler Start-up will damit den Schweizer Markt erobern. Im Visier: Kaffeeliebhaber, denen bisherige kalte Kaffeemischgetränke zu süss oder zu künstlich schmecken, und Koffein-Junkies, die mindestens vier Tassen Kaffee pro Tag trinken.

Noch sind die Kaffeebars, die Cold Brew servieren, Geheimtipps. Doch: «Auch in der Schweiz, etwa in Zürich, Basel, Luzern und St. Gallen, kommen die Baristas auf den Geschmack», sagt Roland Laux, Innovationsberater und Mitgründer des Jungunternehmens Mastercoldbrewer. Bis zu einer Marktpenetration von 21 Prozent bei us-amerikanischen Kaffeetrinkern ist es zwar noch weit. Die Kennzahl zeigt aber das Potenzial des koffeinhaltigen Trendgetränks. Mit einem neuen Produktionsverfahren, das an der ZHAW entwickelt wurde, will das vierköpfige Team den hiesigen Markt aufmischen.

Nach der Revolution bei Schokolade – jetzt beim Kaffee?

Bisher müssen Café-Betreiber den kalten Kaffee aufwendig zubereiten: Die einen brühen den Kaffee heiss auf und lassen ihn abkühlen, andere bereiten den Kaffee mit kaltem Wasser zu, lassen ihn 8 bis 18 Stunden stehen, bevor sie dann den Kaffeesatz abpressen, und wieder andere lassen bei der sogenannten Dripping-Methode über mehrere Stunden Wasser durch einen mit Kaffeepulver gefüllten Filter tropfen. «Für industrielle Anwendungen sind die Verfahren wenig effizient», sagt Christian Zimmermann, wissenschaftlicher Mitarbeiter am ZHAW-Institut für Lebensmittel- und Getränkeinnovation. «Es braucht Zeit, viel Platz, und man erhält erst noch nicht das aromatische Ergebnis wie mit unserem Verfahren.»
Und Zimmermann muss es wissen. Zusammen mit Professor Tilo Hühn, Leiter des ZHAW-Zentrums für Lebensmittelkomposition und -prozessdesign, und Roland Laux hat er das Kaltextraktionsverfahren für Kaffeebohnen weiterentwickelt, das ursprünglich aus der Olivenölherstellung stammt und mit dem auch Yello-Gründer Dieter Meier Kakaobohnen für seine Schokolade verarbeitet (Impact 39/2017).

Die Ursprungsidee entstand vor über zehn Jahren: Laux und Hühn waren auf einer Studienreise durch Venezuela in einer Schokoladenfabrik. Seither liess sie der Gedanke nicht mehr los, mehr von den guten Inhaltsstoffen ins Endprodukt zu retten. So legten sie den Fokus wegen der langen Schweizer Schokoladentradition zunächst auf die Verarbeitung von Kakaobohnen. Die Kaltextraktion von Kaffeebohnen war der nächste Schritt. 2008 wurde das Patent hierfür angemeldet.

So funktioniert die Kaltextraktion

«Damit das Aroma stimmt, kommt es auch auf die Auswahl der Bohnen und die richtige Röstung an», erklärt Zimmermann. Hierbei arbeitet Mastercoldbrewer mit der Firma Turm & Bogen aus St. Gallen zusammen. Die sanft gerösteten Bohnen werden mit kaltem Wasser feinstvermahlen. Anschliessend wird der Kaffeesatz vom trüben Kaffeeextrakt getrennt. Nach der Filtration des Kaffeeextrakts entsteht der klare Cold Brew. «Das kontinuierliche Verfahren reduziert die Prozesszeit gegenüber dem herkömmlichen Cold-Brew-Verfahren von über 10 Stunden auf weniger als eine Minute», so Zimmermann.

Als weiteren Vorteil nennt er etwa das komplexere Aromaprofil. Zudem schmecke das Getränk milder, fruchtig und blumig anstatt bitter, und es sei nicht zuletzt auch bekömmlicher für den Magen wegen eines geringeren Säuregehalts. Der Koffeingehalt eines 250-ml-Fläschchens des neuen «RE-Coffee» entspricht ungefähr zwei Tassen Kaffee Crème.

Das Herstellungsverfahren hat noch einen besonderen Nebeneffekt: Es entsteht ein aromareiches Kaffeeöl, das vielleicht später einmal für die Aromatisierung anderer Produkte bzw. für Kaffeekapsel-Hersteller interessant sein könnte. Wie eine Art Sirup könnte es aber auch die Basis für Mixgetränke oder Desserts werden.

Nicht nur beim Herstellungsverfahren arbeitete Mastercoldbrewer eng mit der ZHAW zusammen. Seit Jahren liefert Innovationsberater Roland Laux auch reale Business-Cases für eine Studienwoche für angehende System-Ingenieure. Die Studierenden sollen sich mit Fragen aus der realen Wirtschaft auseinandersetzen. Diesmal lautete die Aufgabe: Mit welchen Strategien würden Sie Cold Brew unter die Leute bringen? «Die Studierenden lieferten zum Teil aussergewöhnliche Ideen bezüglich der Vertriebskanäle, von denen wir einige jetzt umsetzen werden», sagt Laux.

Markttest in ZHAW-Mensen

«Da Studierende immer einen Energieschub brauchen können und affin für neue Konzepte sind», so Laux, laufen bis zu den Semesterferien auch Markttests an zwei von der SV Schweiz betriebenen Mensen auf dem Campus Grüental in Wädenswil und dem Campus Technikumstrasse in Winterthur. Aber auch mit Retailern, Gastronomen, der Industrie und Firmenkunden ist man im Gespräch. Zu haben ist der Cold Brew auch via Online-Shop. Geschmack und Geschäftsprinzip stossen auf positive Resonanz. Mit dem Produkt entspreche man auch einem heutigen Lebensstil vor allem der Generation der Millennials, sagt Laux: «Menschen achten heutzutage mehr auf eine gesunde und ausgewogene Lebensweise und wollen auch wissen, woher die Rohstoffe kommen und wie sie verarbeitet werden.» 

Micro-Sharing für ein Wasserprojekt in Äthiopien

Für ihren RE-Coffee verwenden Mastercoldbrewer Kaffeebohnen aus fairem Handel, die von der Hochebene Sidamo im südlichen Äthiopien stammen, dem Ursprungsland des Arabica-Kaffees. Das Erfrischungsgetränk wird ohne Zuckerzusatz hergestellt, nur mit natürlichen pflanzlichen Rohstoffen und ohne künstliche Aromen oder Konservierungsstoffe. Nachhaltigkeit fördern, das bedeutet für das Team von Mastercoldbrewer aber noch etwas anderes: Mit einem Micro-Sharing-Konzept werden Familien in Äthiopien unterstützt: «Wir wollen den Menschen im Herkunftsland der Kaffeebohnen etwas zurückgeben», sagt Laux. Pro verkauftem Liter Cold Brew kann das Unternehmen Frischwasser für mindestens 10 Tage für eine Familie garantieren. Hierfür arbeitet das Start-up bei einem Wasserprojekt mit der Hilfsorganisation Helvetas zusammen. Gebaut werden Zisternen, die ganze Nachbarschaften über die Dürreperioden während der neunmonatigen Trockenzeit hinweghelfen sollen. 

Da das Produkt nun marktreif ist, arbeiten die Jungunternehmer mit Hochdruck daran, den RE-Coffee bekannt zu machen. Passend zur Lancierung im Sommer, hat das vierköpfige Team von Mastercoldbrewer verschiedene Rezepte entwickelt, wie man den RE-Coffee als exotischen Sommerdrink verfeinern kann, etwa mit Tonic oder Appenzeller.

Autorin: Patricia Faller

Hochschulmagazin ZHAW-Impact

Das Dossier der Juni-Ausgabe des Hochschulmagazins ZHAW-Impact widmet sich dem Thema «Gesellschaftliche Integration». Hier eine weitere Themenauswahl: Ein Hauch von CSI: Chemie-Absolvent auf Spurensuche. Weniger Lebensmittelabfälle dank digitaler Temperaturüberwachung, Im Auftrag des Bundes: Waseem Huassain, der Experte für Forschungskooperationen mit Südasien und Iran. Abschlussarbeiten: Drei Strafkulturen im Vergleich, Sprachbarrieren in der Arztpraxis und ein E-Bike, das ohne Kette auskommt.

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