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Porträt Waseem Hussain: «Ich musste mir meine eigene Scholle suchen»

Waseem Hussain leitet das an der ZHAW angesiedelte Leading House South Asia and Iran und das Kompetenzzentrum India Desk der SML. Sein Leben in mehreren Kulturen habe ihm Reichtum verschafft, sagt er.

Als Kind empfand er sein Elternhaus in Kilchberg bei Zürich als eine eigene Republik. «Ich habe jeden Tag eine Grenze überschritten: Im Moment, in dem ich aus der Wohnung trat, wurde ich vom Pakistaner zum Schweizer», sagt Waseem Hussain. Das habe sich lange so angefühlt. Dieses Bewusstsein, als Ausländerkind» aufzuwachsen, sei lange ein «Unruhefaktor» in seinem Leben gewesen. Bei Schulreisen nach Deutschland zum Beispiel brauchte er ein Visum für die Einreise nach Deutschland und dann noch ein Rückreisevisum für die Schweiz. «Ich wuchs mit dem Bewusstsein auf, dass man keinen freien Zugang zur Welt hat.» Heute sagt der 51-Jährige, dass ihm gerade dies Reichtum verschafft habe. «Man kann aus seiner Geschichte ein Leiden machen – oder eine Ressource», sagt er. Seine Ressource ist es, die Sichtweisen und Kulturen Südasiens wie auch der Schweiz zu kennen und der jeweils anderen Seite vermitteln zu können. Als Gastdozent tat er dies an der ZHAW gut 14 Jahre lang. Seit Sommer letzten Jahres leitet er das an der ZHAW angesiedelte Leading House South Asia and Iran, ein Programm des Bundes zur Forschungsförderung, sowie den India Desk, ein Kompetenzzentrum für Wirtschaftsbeziehungen mit Indien an der School of Management and Law (SML). «Es gibt keine Vorlesung von mir, wo die interkulturelle Thematik nicht ein wichtiger Faktor wäre», so Hussain.

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Forschungsförderung im Auftrag des Bundes

Das Mandatsgebiet des Leading House ist riesig. Neun Länder umfasst es: Neben Indien und Iran sind dies Afghanistan, Bangladesch, Bhutan, die Malediven, Nepal, Sri Lanka und Pakistan. Der Bund will mit den insgesamt sechs Leading Houses, welche an verschiedenen Schweizer Hochschulen angesiedelt sind, die bilaterale Forschungszusammenarbeit mit Schwerpunktländern in aussereuropäischen Weltregionen fördern. Die Region Südasien und Iran liegt seit Frühling 2017 bei der ZHAW. Das Leading House ist dabei Ansprechpartner für die Koordination der Finanzierung von Forschungsprojekten. Anfänglich bestanden nur mit Indien Forschungspartnerschaften. Inzwischen sei Iran dazugekommen, und nah dran sei man etwa mit Bangladesch und Pakistan, so Hussain. Die politische Lage in vielen dieser Länder erschwert solche Forschungsprojekte; beispielsweise in Afghanistan, oder auch auf den Malediven.

In Iran hat er Anfang Mai an der Isfahan University of Technology einen Workshop für Schweizer und iranische Wissenschaftler durchgeführt, bei dem mögliche Forschungspartnerschaften entstehen sollten, welche sich wiederum um Fördergelder bewerben können. Bei der ersten Kontaktnahme mit Iran sei er noch gefragt worden «Are you Muslim?». Auf solche Fragen müsse man die richtige Antwort parat haben, eine Antwort, welche die Harmonie zwischen den ¬Gesprächspartnern nicht störe. Denn der Stellenwert von Harmonie und Beziehungen ist in diesen Kulturen hoch. «I keep these things private» sei seine Antwort gewesen. Was akzeptiert wurde.

Biografie wird Geschäftsmodell

Seine berufliche Bestimmung hat er nicht so einfach gefunden – was wohl auch diesem Unruhefaktor der Jugend zuzuschreiben ist. Einen «extremen Zickzackkurs» habe er nach der Schulzeit eingeschlagen, sagte er vor einigen Jahren in einem Interview mit dem «Bund». Nach der Handelsmittelschule in Zürich arbeitete er ab Ende der achtziger Jahre im Marketing, im Verkauf, als Software-Programmierer, in der grafischen Industrie und als freischaffender Südasien-Korrespondent für diverse Schweizer Tages- und Wochenzeitungen. «Ich habe sehr vieles ausprobiert auf der Suche nach meiner Berufung und war nirgends wohl», so Hussain. Dann, mit 30 Jahren, habe er begriffen, dass er sich nicht zwischen der Schweiz und Indien entscheiden musste, dass es eine Alternative gab: «Ich machte meine Biografie zu meinem Geschäftsmodell und bot meine Dienste als Brückenbauer und Vermittler an.» Ein Universum an Möglichkeiten habe sich ihm dadurch eröffnet.

Manager und selbstständiger Berater für Geschäfte mit Indien

Im Jahr 2001 begann er bei Atraxis, der Informatik-Tochter der ehemaligen Fluggesellschaft Swissair, als Relationship Manager India und leitete in dieser Funktion ein Joint Venture mit einem Softwareunternehmen in Indien. Ein Jahr später wurde er Business Manager im IT-Outsourcing-Unternehmen EDS Schweiz und war dort unter anderem auch für Projekte in Indien zuständig. Ab 2006 dann gründete er im Alter von 40 Jahren seine eigene Firma. Er beriet Unternehmen bei ihrer Geschäftstätigkeit in Indien und lehrte zudem auch als Dozent an ZHAW und ETH, «how to work with India». Damals sagte er im Interview über sich: «Ich bin der Paartherapeut der Geschäftswelt.» 

«Der indische Markt ist mit Abstand einer der schwierigsten Märk¬te, die ich kenne», so Hussain. Als Leiter des neu gegründeten India Desk der SML – seiner zweiten Funktion an der ZHAW – wird er in Lehre, Weiterbildung, Forschung und Dienstleistung seine Kenntnisse und Erfahrungen zum Thema «Doing Business in India» weitergeben. Wie kann ein Schweizer Unternehmen erfolgreich auf dem indischen Markt agieren oder das geeignete Personal einstellen? Das sind etwa Fragen, mit denen sich das India Desk befasst. Sein Anliegen ist, eine vollständige Sichtweise zu ermöglichen, damit ein Unternehmen die richtige Entscheidung treffen kann. Nicht abschrecken, aber auch nicht nostalgisch verklären: Denn die Vorstellung von Indien als dem Land der Elefanten und Schlangenbeschwörer, dem Schauplatz vom «Dschungelbuch» und von Erzählungen von Hermann Hesse sei immer noch tief verankert in den Vorstellungen von Europäern.

Ringen um die eigene Identität

Grenzüberschreitungen werden ihn weiter beschäftigen. Von sich selbst sagt er, dass er letztlich als Schweizer sozialisiert sei und doch mehrere Heimaten in sich trage. «Das macht die Welt für mich grösser.» Seine Muttersprachen sind Deutsch und Urdu. Meist denke er in Deutsch – nur wenn er sich gedanklich einen Reminder, eine Aufforderung setze, dann wechsle er zu Urdu.

Doch diese heimatliche Scholle, die fehlt ihm wie so vielen Menschen mit Migrationshintergrund, die in der Schweiz aufgewachsen sind. «Ich musste mir meine eigene Scholle suchen.» Er musste um seine Identität ringen. Nicht dass er deshalb darunter leide. Der Grossraum Zürich, wo er aufgewachsen sei, das sei wohl Teil dieser Scholle, wie auch die Menschen hier, mit denen er verbunden sei. Alles, was er von seiner Herkunftsfamilie mitbringe, gedeihe ebenfalls auf ihr. «Doch das Formen dieser Scholle, das bleibt eine lebenslange Aufgabe.»

Autorin: Sibylle Veigl

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