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EU-Botschafter Michael Matthiessen an der SML

Grosse Ehre: Für einen seiner ersten öffentlichen Auftritte ist der neue EU-Botschafter einer Einladung der SML gefolgt. Sein Referat bot spannende Einblicke in die Arbeit eines Spitzendiplomaten und die Beziehung EU-Schweiz.

Seit dem 20. Oktober ist er offiziell akkreditiert: Michael Matthiessen ist der neue Botschafter der Europäischen Union (EU) für die Schweiz und Lichtenstein. Auf Einladung des Center for European Business & Affairs kam er für seine erste öffentliche Vorlesung an die ZHAW School of Management and Law (SML). Am 24. November sprach der erfahrene Diplomat aus Dänemark über das Verhältnis Schweiz-EU. Florian Keller begrüsste die über 100 Anwesenden und verwies mit Stolz auf die Tradition, dass Michael Matthiessen – dem Beispiel seiner beiden Vorgänger folgend – die Einladung der SML für einen seiner ersten Auftritte angenommen hat. Anschliessend begrüsste SML-Direktor André Haelg die Gäste und sprach von einer «einmaligen Gelegenheit», aus erster Hand mehr über die Beziehungen der EU zur Schweiz zu erfahren. Speziell in der aktuellen Situation, die aufgrund der Masseneinwanderungsinitiative (MEI) oder des Brexits sehr herausfordernd ist. Er betonte die Wichtigkeit der guten bilateralen Beziehungen und der Rolle, die dem Botschafter dabei zukommt.

Viele Gemeinsamkeiten
Michael Matthiessen hat in seiner vorherigen Funktion unter anderem viel Zeit in Asien verbracht. «Das hat mich zu einem noch überzeugteren Europäer gemacht. Der Blick von aussen tut bisweilen gut: Wir pflegen die Werte Demokratie, Freiheit, Gleichheit, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit, die man so nicht überall auf der Welt findet.» Deshalb sei es besonders wichtig, diese Werte hochzuhalten. Werte, welche die Schweiz teilt. Doch dies sind nicht die einzigen Gemeinsamkeiten: Was für die Schweiz die Kantone sind für die EU die Länder, beide Systeme folgen dem Subsidiaritätsprinzip, pflegen die Mehrsprachigkeit und messen den Rechten von Minderheiten grosse Bedeutung bei. Zudem funktionieren sie nicht nach dem in Demokratien häufig praktizierten Regierungs-Oppositions-Schema. «In beiden Systemen geht es darum, einen Konsens zu finden.» Das alles sei keine Selbstverständlichkeit, wie er mit Rückblick auf die beiden Weltkriege betonte. «Ihre Welt ist sehr anders als damals, als die EU entstanden ist», sagte er an die Studierenden gerichtet. Er sprach von einem historischen Prozess. Die EU habe 2012 zu Recht den Friedensnobelpreis erhalten: «Sitzt man gemeinsam am Tisch ist es schwieriger, gegeneinander in den Krieg zu ziehen.»

Ringen um die MEI-Umsetzung
Michael Matthiessen gab einen kurzen Überblick über die Geschichte der bilateralen Verträge zwischen der EU und der Schweiz, welche in dieser Form einzigartig seien. Sie garantieren ihr einen privilegierten Zugang zum weltweit grössten Markt. «Es ist bemerkenswert, dass die Schweiz nach den USA und China drittwichtigster EU-Handelspartner ist. Täglich werden Waren und Dienstleistungen im Wert von einer Milliarde Euro gehandelt.» Doch die wirtschaftlichen Beziehungen sind in Gefahr: Die Annahme der MEI hat Fakten geschaffen, die beide Seiten vor grosse Probleme stellen. Aus Sicht der EU sind Quotenregelungen ein Verstoss gegen das Personenfreizügigkeits-Abkommens. Die bilateralen Verträge beinhalten aber eine «Guillotine-Klausel» und der Verstoss gegen eine Vereinbarung kann zur Auflösung aller Abkommen führen. «Das ist aber weder im Interesse der Schweiz noch der EU» wie Michael Matthiessen betonte. Er ist überzeugt, dass sich die Dinge positiv entwickeln. «Der Entscheid liegt aber letztlich bei der Schweiz und wir müssen ihn akzeptieren.»

Aktuelle und zukünftige Herausforderungen
Mit Blick auf den hohen Ausländeranteil in der Schweiz gab er zu bedenken, dass EU-Länder wie Luxemburg einen noch höheren Anteil haben. Zudem würden viele Ausländer massgeblich zum Erfolg der Schweiz beitragen: Knapp 40 Prozent der Beschäftigten in Forschung und Entwicklung seien Ausländer und in der Pharmabranche seien es gar 46 Prozent (Zahlen von 2012). Er betonte die Bedeutung der Schweiz als Forschungsplatz und rief in Erinnerung, dass das Zusatzprotokoll mit Kroatien bedauerlicherweise noch nicht unterzeichnet wurde. Deshalb sind die Verhandlungen über eine vollumfängliche Beteiligung am Mobilitätsprogramm «Erasmus+» derzeit sistiert und die Schweiz kann nur eingeschränkt am europäischen Forschungsprogram «Horizon2020» partizipieren. Dies sei nicht nur für Hochschulen bedauernswert, sondern auch für hiesige Firmen. Von 2007 bis 2013 hat die Schweiz für jeden in das Programm investierten Euro, 1,4 Euro Unterstützung zurück erhalten. «Wir hoffen, dass die anhaltenden Diskussionen im Parlament zu einer positiven Lösung führen.» Eine Herausforderung für die künftige Beziehung sei ein Abkommen über den rechtlichen und institutionellen Rahmen der bilateralen Beziehungen. Auch hier hofft er auf rasche Fortschritte, denn es sei für Unternehmen schwierig zu investieren, wenn rechtliche Unsicherheiten bestehen. Es brauche insbesondere ein Mechanismus zur Beilegung von Konflikten. Michael Matthiessen ist überzeugt, dass dies helfen würde, die Handelsbeziehungen weiter zu intensivieren.

Europäische Identität stärken
In der anschliessenden Diskussion mit den Studierenden wurde das Erstarken rechtspopulistischer Kräfte in vielen europäischen Ländern angesprochen. Wie geht die EU mit solchen Bewegungen um, welche Sorgen um die nationale Identität über wirtschaftlichen Fragen stellen. Der EU-Botschafter betonte, dass laut neuesten Umfragen die Zustimmung zur EU nach dem Brexit in den verbleibenden 27 EU-Mitgleisländern gestiegen ist. Es sei aber klar, dass nicht alle Bürger die positiven Aspekte der Globalisierung spüren. Es sei wichtig, diese abzuholen und wo nötig zu unterstützen. Ein Problem sei, dass viele europäische Politiker Erfolge als die eigenen verkaufen und für Misserfolge jeweils Brüssel verantwortliche machen. «So hat der Ruf der EU vielerorts gelitten. Das wird von einzelnen Politikern gezielt ausgenutzt.»

Weitere Themen in der Diskussion waren die Flüchtlingskrise, das schwierige Verhältnis zur Türkei oder die Beziehungen zu den Ländern Afrikas. Ob der Posten in Bern ein beschwerlicher sei, wollte Florian Keller zum Abschluss wissen: Es sei sicher eine Herausforderung, und es sei viel zu tun, sagte Michael Matthiessen. Es sei aber wohl nicht ganz so anstrengend, wie damals als er für Javier Solana, den ersten «EU-Aussenminister», einen «Situation Room» aufgebaut hat. Bereits Henry Kissinger fragte seinerzeit lakonisch: «Wen rufst du an, wenn du mit Europa sprechen möchtest?» Michael Matthiessen richtete diese Nummer ein und nahm die Anrufe auf seinem Mobiltelefon entgegen. Rund um die Uhr! Zum Abschluss bedankte sich der EU-Botschafter bei den Anwesenden und betonte mit Blick auf die globalen Unsicherheiten die Wichtigkeit, dass die Schweiz und die EU weiterhin gut und eng zusammenarbeiten.

Auskunft: Dr. Florian Keller, Center for European Business & Affairs