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Female Leadership und Unternehmertum im Kulturbereich: Interview #4 mit Fabienne Schmuki

Das vierte Interview im Rahmen unserer «Female Leadership und Unternehmertum im Kulturbereich»-Reihe haben wir mit Fabienne Schmuki, Geschäftsführerin bei Irascible Music, geführt. Wir erhalten spannende Einblicke in die dynamische Musikbranche und erfahren mehr über das Zusammenspiel zwischen Kultur, Wirtschaft und Politik, über die Vorteile von Co-Leitungen, über den Gender-Diskurs in der Kulturbranche und über Frauen als Vorbilder in der Musikwelt.

Zunächst begann Fabienne Schmuki ihre Laufbahn im Musikgeschäft mit Musikjournalismus, 2009 trat sie den Job als PR-Verantwortliche bei der unabhängigen Musikagentur und Distributionsfirma Irascible Music an. Seit 2014 ist Co-Geschäftsführerin des Zürcher Büros (der Hauptsitz der Firma liegt in Lausanne), und leitet von dort die Promotions-Agentur, sowie Teil des Musikverlags und des Plattenlabels. Seit Beginn ihrer Tätigkeit im Musikgeschäft war und ist sie in diversen nationalen und internationalen Musik-Kommitees, -Jurys und -Ausschüssen tätig. Fabienne Schmuki ist ausserdem Gründungs- und Vorstandsmitglied des Schweizer Independent Label Verbandes «IndieSuisse» sowie Mitglied der Fachgruppe «Phonoproduzenten» bei Swissperform. Sie lebt mit ihrem Partner und ihrer Tochter in Zürich und besucht fürs Leben gern Konzerte – mit Vorliebe «laute»!

Frau Schmuki, seit 2014 sind Sie Co-Geschäftsleiterin bei Irascible, einer Schweizer Firma, welche gleichzeitig als Vertrieb- und Promotionsagentur und als Plattenfirma in der Musikbranche mitwirkt. Welchen Herausforderungen begegnen Sie als Unternehmerin in einer Leitungsfunktion in der Musik- bzw. Kulturbranche?

Die Musikbranche ist eine sehr komplexe Branche, v.a. wenn man die Geldflüsse anschaut: Da Zusammenarbeiten häufig mit Anteilen an Rechten, Kommissionen, etc. in Verbindung stehen, ist es sehr schwierig, zu budgetieren und kalkulieren. Darüber wurde und ist die Branche noch immer – wie viele andere Branchen auch – sehr stark von der Digitalisierung beeinflusst. Alles ist enorm schnelllebig (geworden), es braucht eine schnelle Reaktionszeit und hohe Flexibilität. Demnach sehe ich es als eine der grössten, aber auch spannendsten Herausforderungen in meinem Job, sowohl agil und flexibel zu bleiben, und aber doch eine verbindliche längerfristige Planung und Budgetierung entwerfen zu können. Natürlich steht auch immer die zentrale Frage im Raum, wie weit Kunst und Kommerz vereinbar sind/sein sollten. Gerade als unabhängige Musikagentur orientieren wir uns primär daran, was uns gefällt, und nicht daran, was kommerziell erfolgreich sein oder werden könnte. Die beiden Dinge schliessen sich nicht immer aus, stehen aber doch in einem Spannungsfeld. Der Diskurs um dieses Spannungsfeld interessiert mich, und fordert mich auch immer wieder heraus. Nebst diesen «alltäglichen» Herausforderungen stellte uns die Pandemie, wie sämtliche Kulturbetriebe (und andere), natürlich vor zusätzliche Grundsatzprobleme: Wie kann die Finanzierung des Betriebs aufrechterhalten werden, obwohl generell weniger Einkommen vorhanden ist (im Falle von Popmusik: Hauptsächlich wegen wegbrechenden Konzerteinnahmen)? Und was bleibt von unserer Tätigkeit, wenn die Konzerte, die Festivals wegfallen? Wie kann das Netzwerk gepflegt werden ohne persönliche, direkte Kontakte? Und wo kann die Digitalisierung helfen, was kann sie besser, was schlechter machten? Und so weiter...

2014 haben Sie ebenfalls an der Gründung von IndieSuisse, einem Verband, welches sich als Sprachrohr für unabhängige Musiklabels und -produzentinnen und -produzenten in der Schweiz einsetzt, mitgewirkt. Wie würden Sie das Zusammenspiel zwischen Kultur, Politik und Wirtschaft in der Schweiz beschreiben? Welche besonderen Merkmale zeichnen die Kultur- bzw. Musikbranche in Bezug auf Unternehmertum aus?

Ein Merkmal in der Schweizer Kulturförder-Landschaft ist es, dass hierzulande Kulturunternehmen nicht oder kaum staatlich/kantonal/städtisch finanziell unterstützt werden. Seit geraumer Zeit machen wir uns mit IndieSuisse deshalb insbesondere für Strukturförderung stark. Der Verband ist der Auffassung, dass diese Förderung nicht primär aus dem «Topf» Kultur kommen müsste, sondern aus der Wirtschaftsförderung – worum es sich ja effektiv auch handelt. Investitionen in die Kultur-, bzw. Musikbranche gelten generell als riskant: Weil ein ROI als unwahrscheinlich gilt (generell sagt man, von zehn Musikerinnen*/Bands auf einem Plattenlabel gelingt einer* der Break-Even), werden kaum Kredite ausbezahlt. Gerade auch deshalb ist finanzielle Unterstützung von KMUs in der Musikbranche enorm wichtig: Sie sind für den Aufbau der Musikerinnen*-Karrieren unentbehrlich, tragen ein hohes Risiko – und wenn der Erfolg kommen sollte, wandern die Musikerinnen* häufig ab zu grösseren Labels/Agenturen, welche über mehr Budget verfügen und international besser aufgestellt sind.

Zur ersten Frage: Das Zusammenspiel zwischen Kultur, Politik und Wirtschaft ist – in Bezug auf die Musikbranche – sehr wackelig und zufällig. Es fehlt eine Lobby, die kontinuierlich und langfristig Anliegen aus der Musikbranche bei den Politikerinnen* deponiert. Die ausgesprochen lebendige und wichtige unabhängige Schweizer Musikszene wird nicht als relevanter Wirtschaftszweig angesehen, allgemein führt die Kultur- und Kreativwirtschaft ein stiefmütterliches Dasein hierzulande (wenn man z.B. mit Initiativen wie «Creative Europe» o.ä. vergleicht). Dies ist insbesondere deshalb traurig, wenn man sieht, wie viele gutausgebildete Menschen dort für extrem wenig Geld extrem viel und wertvolle Arbeit leisten, von der die gesamte Gesellschaft profitiert. Stichwort «Systemrelevanz», aber darüber wurde in den Vergangenen Monaten ja zu genüge diskutiert und debattiert.

Co-Leitungen oder Leitungsteams sind in der Kulturbranche besonders beliebt. Als Co-Geschäftsleiterin teilen Sie sich ebenfalls die Leitung von Irascible mit Ihrem Kollegen Christian Wicky. Welche Vor- und Nachteile in Bezug auf Unternehmertum und Leadership wird durch das Teilen der Leitung herbeigeführt?

Ich sehe ehrlich gesagt kaum Nachteile in einer Co-Leitung. Wir teilen uns die Gesamtverantwortung, treffen (wichtige) Entscheidungen stets gemeinsam, ergänzen uns perfekt in unseren Fähigkeiten und Kompetenzen. Gleichzeitig haben wir beide «unsere» individuellen Wirkungsräume, Teams, Entscheidungskompetenzen. Darüber hinaus erlaubt es uns, neben der Geschäftsführung anderen Tätigkeiten wie Kinderbetreuung, Musikmachen, etc. zu widmen. In meinen Augen nicht weniger als ein Muss in der heutigen Zeit, wo unbezahlte Tätigkeiten wie Care-Arbeit sonst an denen hängenbleiben, die – hierarchisch gesehen – eine «unbedeutendere» Position innehaben als ihre Partnerin*. Das Funktionieren von Co-Leitungen steht und fällt selbstverständlich mit den Persönlichkeiten: Ohne gegenseitigen Respekt und ähnliche Vorstellungen von Unternehmenskultur, Risikobereitschaft und Kommunikation funktioniert es wohl kaum. In dieser Hinsicht ist unsere Co-Leitung tatsächlich ein Glücksfall: Wir haben generell sehr ähnliche Vorstellungen davon, wie wir den Betrieb führen, und wofür wir mit unserem Betrieb einstehen wollen.
Wenn ich einen Nachteil nennen müsste, dann wäre es wohl der, dass wir uns vielleicht fast etwas «zu oft» einig sind: Dann sind wir froh, jemanden aus dem Team hinzuzuholen, der/die einen kritischen Blick darauf wirft und mit einer Aussensicht kommentiert. Da wir hierarchisch sehr flach aufgestellt sind, gehört dies in unserem Betrieb zum «courant normal».

Obwohl in der Kulturbranche viele Frauen tätig sind – auch bei uns am ZKM ist die Mehrheit der Absolventinnen und Absolventen weiblich – sind Führungspositionen dennoch häufig überwiegend von Männern besetzt. Wie erklären Sie sich das? Erkennen Sie Unterschiede zwischen der Schweiz und dem Ausland?

Was für die Kulturbranche allgemein gilt, gilt leider nicht für die (unabhängigen) Musikunternehmen in der Schweiz: Hier sind Frauen enorm untervertreten, nicht nur in Führungspositionen, sondern generell. Woran das liegt, ist leider nicht einfach an einzelnen, genau definierten Punkten festzumachen. Es handelt sich wohl um eine Mischung von genereller Prägung und Umgang im «Business», von fehlenden Vor-/Rollenbildern, von Arbeitszeiten, die mit dem traditionellen Familienmodell schlecht vereinbart sind, von falschen Anreizen, die ausgesendet werden, etc. Diese traurige Tatsache gilt leider nicht nur für die Musikunternehmen, sondern die Szene generell: Auch Pop**-Musikerinnen sind hierzulande gegenüber ihren männlichen Kollegen untervertreten. Aktuelle Daten liefert zB die Studie «Geschlechterverhältnisse im Schweizer Kulturbetrieb». In meiner Arbeit habe ich gefühlt im Ausland tatsächlich häufiger mit Frauen* zu tun, die bei Musikagenturen arbeiten. Allerdings sind es auch dort selten Frauen* in Leitungsfunktionen. Dies ist selbstverständlich bloss ein persönlicher Eindruck, und kein Fakt.

**Unter Pop fasse ich an dieser Stelle sämtliche Genres der «populären Musik» zusammen.

Der Diskurs rund um das Thema «Gender» wurde in den letzten Jahren vermehrt in der Öffentlichkeit aufgegriffen. Inwiefern spielt das Thema «Gender» in Ihrem beruflichen Alltag bzw. in der Musikindustrie allgemein eine Rolle?

Eine sehr grosse Rolle: Seit den letzten ca. fünf Jahren wird beispielsweise die Programmation von Musikfestivals in Bezug auf Gender-Ausgeglichenheit viel kritischer beobachtet, als dies noch vor zehn Jahren der Fall war. Es gibt Initiativen wie z.B. «Keychange» von der PRS Foundation, welche eine 50% Frauen*quote anstreben. Hierzulande ist der Verein HelvetiaRockt eine zunehmend wichtige Playerin geworden, das ist die Schweizer Koordinationsstelle und Vernetzungsplattform für Musikerinnen* im Jazz, Pop und Rock. Generell muss leider immer noch gesagt werden, dass Frauen* in der Popmusikbranche untervertreten und hinsichtlich Position/Hierarchie in Unternehmen und Entlohnung schlechter gestellt sind als ihre männlichen Kollegen. Ebenfalls sind Frauen* weniger auf Bühnen sichtbar, programmieren seltener Musikclubs und -festivals, sitzen seltener in Kommissionen, welche Gelder ausschütten oder in Jurys, welche Musikerinnnen* und Bands beurteilen.

In der unabhängigen Schweizer Musikszene sind langsam Veränderungen wahrzunehmen, gerade auch wenn es darum geht, dass Schlüsselstellen (wie Programmation, Förderinstitutionen, Jurys etc.) zu besetzen. Als Frau und als Co-Geschäftsführerin von Irascible Music ist es mir selbstverständlich ein Anliegen, bei den Zusammenarbeiten mit Musikerinnen* in Genderfragen ziemlich ausgeglichen zu sein. Was unser Personal angeht, sind wir leider (noch) kein gutes Vorbild: zurzeit sind rund drei Viertel der Angestellten von Irascible Music Männer*. Dies lässt sich selbstverständlich nicht von heute auf morgen ändern (zum Glück ist die Fluktuation bei uns sehr gering), aber es ist mir ein langfristiges Anliegen.

In einem Artikel im Tagesanzeiger von 2019 sagen Sie, dass es an weiblichen Vorbildern in der Musikbranche fehlt. Welche Tipps können Sie als weibliche Kulturschaffende in der Musikindustrie jungen Frauen mitgeben, die an einer Karriere im Kulturbereich interessiert sind?

Ich denke nicht, dass junge Frauen Tipps brauchen, sondern eben: Vorbilder. Wenn man Tipps verteilt, dann tönt es immer danach, als müssten die jungen Frauen* etwas besser machen. Das ist aber nicht so, im Gegenteil: Gerade Eigenschaften, die generell als stereotyp «weiblich» gefeiert werden, wie Empathie, Kommunikationsbereitschaft, Freude am Netzwerken, Intuition und Einfühlungsvermögen sind ein grosses Plus in der täglichen Zusammenarbeit mit Musikerinnen* und Branchenkolleginnen*. Was es braucht, ist genuines Interesse an der Musik, mit der man arbeiten will und die Fähigkeit, Musik differenziert zu beurteilen – auch gegenüber den Musikerinnen*.

Welche Frauen haben Sie während Ihrer Karriere inspiriert und warum?

Ich habe mich nicht explizit von anderen Frauen* inspirieren lassen. Ich verstand mich, als ich mit 25 Jahren begonnen habe, im Musikgeschäft (erst im Musikjournalismus, zwei Jahre später dann bei Irascible) zu arbeiten, auch nicht als «Frau* im Musikgeschäft». Ich sah mich weder als Exotin in einer Männerdomäne noch als Minderheit. Ich dachte damals nicht in schwarz/weiss (Mann/Frau), und das tue ich bis heute nicht. Ich mag Menschen, die differenziert denken und handeln, die Eigenverantwortung tragen, die respektvollen Umgang pflegen, und bei meiner Arbeit zusätzlich die, die sich für Musik interessieren. Solche Menschen haben mich immer wieder inspiriert und tun dies bis heute, darunter sind Musikerinnen*, Labelbetreiberinnen*, Booking-Agentinnen*, Musikjournalistinnen* und euphorische Konzertbesucherinnen*.

Wenn Sie auf Ihre Karriere zurückblicken, was würden Sie Ihrem «jüngeren Ich» heute raten?

Wie weiter oben erwähnt, würde ich mich davor hüten, meinem jüngeren Ich Tipps zu geben. Vieles in meinem Leben ist zufällig geschehen, ich träumte nie von einer Karriere in der Musikindustrie. Aber ich bin generell eine Person, die Veränderungen generell als inspirierend empfindet, und dadurch hatte ich auch stets ein Grundvertrauen darin, dass ich meinen Weg finden würde. Letztendlich war mir einfach immer wichtig, einer Tätigkeit nachzugehen, für die ich morgens gerne aufstehe, und die meinem Arbeitsrhythmus, meiner Arbeitsethik und meinen Interessen entspricht. Dinge wie Arbeitszeiten, Lohn oder Status waren mir immer schon ziemlich egal.

Das ZKM-Team bedankt sich herzlich für das Interview!

Alle Interviews im Überblick

Im Rahmen der Intervieweihe «Female Leadership und Unternehmertum im Kulturbereich» ist bereits erschienen: