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Bericht einer Incoming-Studentin

Silvia Sanchez kam aus Kolumbien nach Zürich. Wie die Psychologiestudentin ihre Austauschzeit erlebte und wie der Aufenthalt ihren Blick auf die eigene Heimat veränderte, erzählt der folgende Bericht.

Vortrag: Mit Psychologie die Grenzen überschreiten

Sie ist 22 Jahre jung. Ihre sanften Gesichtszüge zeigen eine leichte Anspannung. Ihr Publikum besteht aus Dozenten, Professorinnen und wissenschaftlichen Mitarbeitenden der Angewandten Psychologie. Sie selbst schliesst in drei Monaten ihr Psychologiestudium ab. In Kolumbien.

Die Flagge ihres Heimatlandes hängt über dem Whitebord, das normalerweise den Dozierenden im Unterricht dient, und während sie von ihrer Heimatstadt Bogota erzählt, die so viele Bewohnerinnen und Bewohner hat wie die ganze Schweiz, werden mehr als nur die geographischen Unterschiede klar.

10 Semester für den Bachelor

Silvia Maria Sanchez Agudelo spricht über die Unterschiede zwischen dem Studium in Bogota und dem an der ZHAW. Sie erzählt von den Erfahrungen, die sie hier in Zürich gemacht hat. Beherzt geht sie ins Detail und schreckt auch nicht davor zurück, die finanziellen Dimensionen klar zu machen. «Ein Semester an der Universität Rosario in Bogota kostet 10 Mio Pesos. Das sind umgerechnet CHF 3'200.-. Neben dem Vollzeitstudium zu arbeiten ist unmöglich, was es für die Studierenden schwierig macht, selbst einen Teil der Studiengebühren beizutragen». Dazu kommt: Das Grundstudium der Psychologie geht in jedem Fall 5 Jahre. Erst nach Abschluss dieser 10 Semester bekommt man das COLPSIC (Colegio Colombiano de Psicólogos), das Zertifikat, das einem die Arbeit als diplomierte Psychologin oder Psychologe erlaubt. Daniel Süss, Leiter der Abteilung Studium & Forschung am Departement Angewandte Psychologie der ZHAW, setzt diese Studienzeit in Relation: «Obgleich hier der Bachelor bereits nach drei Jahren erreicht wird, kann man nur mit einem Masterabschluss wirklich als Psychologin oder Psychologe arbeiten. Rein zeitlich ist die Ausbildung bis zum Arbeitseintritt also gleich aufwändig». Das Ungerechte an der Sache: Nachdem das Studium in Bogota mindestens CHF 32‘000.- gekostet hat, beträgt der Einstiegslohn nur CHF 500.- pro Monat. Erst wenn man doktoriert hat, liegt er bei CHF 1800.- im Monat. Bis man seine Studienaufwände also wieder zurückerwirtschaftet hat, geht es unter Umständen lange. «Wenn man dann noch eine Familie zu ernähren hat, und mehrere Kinder in eine gute Ausbildung schicken will, ist das fast ein Ding der Unmöglichkeit», erzählt Silvia. Sie ist sich sehr bewusst, dass ihr Vater ihr die Ausbildung nie hätte ermöglichen können, wenn er nicht selbst doktoriert hätte und mit den vielen Jahren Arbeitserfahrung inzwischen zu den wohlhabenden 10% des Landes gehört.

Die Universität bestimmt den Arbeitsplatz

Auch vom Reputations- und Notendruck erzählt sie. In Kolumbien kann die Universität, die man besucht, die Chancen im Arbeitsmarkt, und auch den Lohn stark beeinflussen. Besonders da der Arbeitsmarkt generell sehr ausgetrocknet ist. Nicht selten sind gut ausgebildete Ärzte gezwungen, als Taxifahrer ihren Lebensunterhalt zu verdienen, weil es keine Arbeit gibt. «Der Name der Universität und ein guter Abschluss wirken daher manchmal wie ein ‹Türöffner›, der einem bessere Chancen auf dem harten Arbeitsmarkt einräumen kann», erklärt Silvia. Und um die Sache noch etwas härter zu machen: Wer ein Semester nicht besteht, muss nicht nur das Semester noch einmal bezahlen, sondern auch einen Strafzuschlag von 5%, wird so doch der Studienplatz einer anderen Person und damit deren Chance blockiert. Wie stark der gute Ruf einer Universität mit Geld zusammenhängt, wird in der Erzählung der jungen Frau sehr schnell klar. Nur wenn die Studierenden höhere Semestergebühren bezahlen, können internationale Professorinnen und Professoren verpflichtet und ideale Studienbedingungen geschaffen werden. Das wiederum bestimmt die beruflichen Chancen. Je mehr Geld die eigenen Eltern also in die Hand nehmen, desto besser sind die Chancen ihres Kindes.

Zürich - Eine Achterbahn der Gefühle

Die Ausbildung an der Rosario Universität, die als Privatuni eine der besten des Landes ist, bietet Silvia und ihren Freundinnen nicht nur gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Die Universität ist auch eine der wenigen, die überhaupt einen internationalen Abschluss anbietet und international vernetzt ist. So bekam Silvia die Chance eines Praktikums an der ZHAW. «Das Praktikum hier in Zürich war für mich wie eine Achterbahnfahrt der Gefühle», meint Silvia. Aus einem lateinamerikanischen Umfeld kommend war es nicht einfach, sich in der schweizerischen Kultur zurechtzufinden. «Es ist wie ein anderes Leben in einer anderen Welt. Man muss sich an alles anpassen, die Erwartungen von Menschen erfüllen, die man gar nicht kennt, und das alles in einer fremden Sprache». Auch das kalte Wetter und die vielen Regeln waren Hürden. «Erst als ich Freundinnen und Freunde gefunden habe, wurde es einfacher». Auf die Frage, was sie denn positiv überrascht habe, meint Silvia schmunzelnd: «Ich liebe das Essen, die öffentlichen Verkehrsmittel sind fantastisch – richtig pünktlich – und das Beste ist die Sicherheit. Hier ist man jederzeit überall sehr sicher!»

Kolumbien braucht gut ausgebildete Psychologinnen und Psychologen

Es bleibt kaum Zeit für all die vielen Fragen. Über Preisunterschiede und Lebensstandards wird diskutiert, über Unterschiede in nicht-universitäten Ausbildungen und Altersvorsorge. Und dann, die alles entscheidende Frage: Was war deine prägendste Erfahrung hier? Die erhielt Silvia während einer einwöchigen Studienreise nach Israel. «Wir besuchten ein Veteranenheim. Dabei lernte ich viel über die Posttraumatische Belastungsstörung», erzählt sie. Durch den Besuch in diesem Heim wurde ihr klar, dass die allgegenwärtige, teils militärische Gewalt in Kolumbien viele Menschen prägt. Weil sie nichts anderes kennen, geben sie die Gewalt an die nächsten Generationen weiter, die sich wiederum diesen Gegebenheiten anpassen. «Es braucht gut ausgebildete Psychologinnen und Psychologen, um diesen Teufelskreis zu durchbrechen», erklärt Silvia. Und in ihren Augen flammt ein leidenschaftlicher Funke auf. «Wir müssen den Menschen zeigen, wie sie sich trotz der zuhause erlernten Verhaltensmuster in einem beruflichen Umfeld bewegen müssen, wie sie lernen können, sich für ausländische Unternehmen fit zu machen und neue Welten für sich und ihre Kinder zu erkämpfen». Dass diese Pläne mehr sind als nur Träumereien, erfahre ich nach der Präsentation als sich ein junger Mann aus dem Publikum löst. Reto hat sein Studium in Wirtschaftsinformatik an der ZHAW eben erst abgeschlossen. Das Ziel des jungen Paares ist es, gemeinsam nach Kolumbien zu gehen und dort die Zukunft des Landes mitzugestalten. «In meinen Augen als Kolumbianerin hat die Schweiz bereits alles erreicht, was man erreichen kann», sagt Silvia nachdenklich. «Kolumbien steht noch ganz am Anfang. Es gibt noch so viel für uns zu tun».