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Persönlichkeitstest: Die Eignung eines Bewerbers ausleuchten

Menschen, die in sicherheitsrelevanten Berufen arbeiten wollen, werden auch auf ihre psychologische Tauglichkeit getestet – unter anderem am Zentrum für Diagnostik, Verkehrs- und Sicherheitspsychologie der ZHAW.

Symbolbild Tramführer

Zwölf Menschen starben, 85 wurden verletzt. Das Zugunglück bei Bad Aibling (D) am 9. Februar 2016 löste viel Leid aus. Kurz vor sieben krachten zwei Personenzüge frontal ineinander. Der Zugverkehrsleiter hatte die eingleisige Strecke für beide freigegeben und darauf eine falsche Notruftaste betätigt. Er hatte seinen Kopf nicht bei der Sache, weil er sich gerade mit einem Handyspiel beschäftigte. Die Staatsanwaltschaft spricht von einer groben Pflichtverletzung.

Verschiedene Zugänge

Wer in seinem Beruf grosse Verantwortung trägt für die Sicherheit vieler Menschen und ein Fehler grossen Schaden anrichten kann, darf sich keine Aussetzer leisten. Zugverkehrsleiter, Lokomotivführer, Piloten und Tramchauffeure, aber auch Polizisten, Rettungssanitäter sowie Mitarbeiter von Kernkraftwerken werden entsprechend sorgfältig rekrutiert. Sie werden nicht nur auf ihre fachliche und medizinische Eignung, sondern auch auf ihre psychologische Tauglichkeit getestet. «Wir konfrontieren sie mit Entscheidungssituationen und erfahren so viel über ihre Einstellungen und ihr Risikoverhalten», sagt Simon Carl Hardegger, der am IAP Institut für Angewandte Psychologie das Zentrum für Diagnostik, Verkehrs- und Sicherheitspsychologie leitet und derartige Untersuchungen durchführt.

«Lassen sich Schwächen nicht mit Stärken relativieren, steht die Eignung ernsthaft in Frage.»

Simon Carl Hardegger, Zentrumsleitung Diagnostik, Verkehrs- und Sicherheitspsychologie

Zugverkehrsleiter durchlaufen standardmässig ein Assessment; der Bund schreibt dies vor. Sie müssen nicht nur eine gute Merk- und Wahrnehmungsfähigkeit mitbringen, sondern auch besonders belastbar, emotional stabil und risikosensibel sein. Sie müssen den inneren Antrieb haben, stets eine gute Leistung zu erbringen, und bereit sein, Missstände anzusprechen. Sie müssen zudem die Fähigkeit besitzen, mit Schwierigkeiten positiv umzugehen, und dürfen sich selbst nicht überschätzen. Darüber hinaus müssen sie gut kommunizieren können. «Eine klare und sichere Verständigung kann im Notfall entscheidend sein», sagt Hardegger. Sein Team hat für potenzielle Zugverkehrsleiter daher eine spezielle Kommunikationsübung entwickelt. Die IAP-Assessoren führen mit den Anwärterinnen und Anwärtern zudem ein strukturiertes Interview durch und lassen sie vier Stunden am Computer Tests absolvieren. Sie verschaffen sich so ein Bild von deren Persönlichkeit. Welche Schlüsse sie daraus ziehen, halten sie abschliessend in einem Bericht fest.

Anspruchsvoll, aber lösbar

Mit welchen Fragen und Aufgaben sie die Bewerber konkret konfrontieren, verrät Hardegger nicht. Für den jeweiligen Kunden wird ein massgeschneidertes Verfahren zusammengestellt. «Wir identifizieren Auffälligkeiten», sagt der Zentrumsleiter. «Lassen sich Schwächen nicht mit Stärken relativieren, steht die Eignung ernsthaft in Frage.» Zuweilen gehe weit auseinander, wie jemand im persönlichen Gespräch wirke, und wie er die Rollenspiele und den schriftlichen Teil meistere. «Wir sind manchmal überrascht», sagt Hardegger.

Die Assessoren bemühen sich um eine angenehme Atmosphäre: Die Probanden sollen sich wohlfühlen, damit sie ihre Fähigkeiten zeigen und auf heikle Themen angesprochen werden können. Sie werden nicht unter Druck gesetzt und erhalten Aufgaben, die anspruchsvoll, aber lösbar sind.  

Schummeln ist nicht möglich

«Die Tests ergeben kein mathematisches Resultat», sagt Patrick Boss, stellvertretender Leiter des Zentrums und Präsident des Verbandes Swiss Assessment. Es brauche Expertenwissen, um sie zu interpretieren; jeder Einzelfall müsse bis ins Detail ausgeleuchtet werden. Ob sich jemand für eine Stelle eigne oder nicht, kristallisiere sich in der Regel klar heraus. Die Resultate in Leistungstests zu manipulieren, sei nicht möglich. Im Interview könne sich jemand zwar positiver darstellen, das breite Verfahren liefere jedoch eine Fülle von Hinweisen darauf, wie jemand wirklich sei. Komplexe Assessments werden zudem stets von zwei Beratern durchgeführt. Ein dritter überprüft die abschliessende Analyse.

«Zeigt jemand ein Risikoverhalten, heisst das nicht per se, dass er im Job einen Fehler machen wird», sagt Hardegger. Das Risikoverhalten könne sich auf die Freizeit beschränken. Dies gelte es bei der Gesamtbeurteilung zu berücksichtigen. Im Zweifelsfall entscheide man sich gegen den Kandidaten: «In sicherheitsrelevanten Berufen kann sich ein Mitarbeiter keinen schlechten Tag erlauben.»

Auch Busfahrer und Kapitäne

Von den potenziellen Zugverkehrsleitern schaffen es rund ein Drittel nicht, in etwa gleich viele sind es bei den Lokomotivführern. «Diese Durchfallquoten sind hoch», sagt Simon Carl Hardegger, «immerhin werden die Bewerber bereits selektioniert, bevor sie zu uns kommen.» Problematisch findet er, dass längst nicht alle Berufslenkenden von Gesetzes wegen psychologisch getestet werden müssen. Dazu zählen unter anderen Busfahrer, Helikopterpiloten und Schiffskapitäne. «Das ist aus Sicherheitsüberlegungen nicht gut», sagt der Psychologe und verweist auf die hohe Verantwortung, welche diese Berufsleute täglich tragen.

Kommt hinzu, dass Assessments nur eine Momentaufnahme darstellen. Je nach Lebenssituation kann sich eine Person ändern, leistungsmässig abfallen und zur potenziellen Gefahr werden. Stellt dies ein Arbeitgeber fest, kann er die Berater des IAP hinzuziehen. Sie überprüfen in solchen Fällen, ob jemand seiner Funktion noch gewachsen ist. Oft werden sie jedoch erst gerufen, wenn ein Unfall geschehen ist.

Wie integer sind Manager?

Nicht nur im Verkehr können Fehler drastische Folgen haben. Bei Banken und Versicherungen können einzelne Mitarbeiter hohe Verluste und grosse Imageschäden anrichten. Um die ethischen und moralischen Kompetenzen von Managern zu überprüfen, hat das Zentrum für Diagnostik, Verkehrs- und Sicherheitspsychologie spezifische Eignungstests entwickelt. Die Nachfrage ist – trotz der Skandale der letzten Jahre – indes gering. «Die Unternehmen überrennen uns nicht», sagt Boss. Die Firmen schauten sich zwar die fachliche Eignung und die Belastbarkeit potenzieller Führungskräfte an, deren Integrität überprüften sie jedoch kaum spezifisch.

Mit den neuen Testverfahren lassen sich Tendenzen zu kontraproduktivem Mitarbeiterverhalten identifizieren. Ob jemand letztlich effektiv dazu neigt, zu betrügen, lässt sich aber nicht so einfach vorhersagen. «Dass jemand Risiken sucht, muss nicht heissen, dass er sich über Richtlinien hinwegsetzt», sagt Hardegger. Verhängnisvolle Fehler – sei es im Verkehr oder in der Finanzbranche – führen meistens dazu, dass die betrieblichen Abläufe überprüft und die Kontrollen verstärkt werden. Beim Menschen setzten die Unternehmen zuletzt an, kritisiert Hardegger. «Dabei reduziert eine sorgfältige Selektion das Risiko, dass etwas Verhängnisvolles passiert.»

Dieser Beitrag ist im ZHAW-Impact Nr. 35 vom Dezember 2016 erschienen.
Autorin: Eveline Rutz