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«Unsere Energieforschung ist gut aufgestellt»: Interview mit Benoît Revaz, Direktor des BFE

Benoît Revaz, Direktor Bundesamt für Energie, über die Energieforschung in der Schweiz, Digitalisierung und Energiewende sowie die Strommarktöffnung.

Die Strommarktöffnung ist Voraussetzung für eine sichere und dezentralere Energieversorgung in der Schweiz: Benoît Revaz, BFE-Direktor.

ZHAW-Impact Nr. 40

Seit Jahresbeginn darf jeder seinen selbst produzierten Strom auch selbst verbrauchen. Werden Sie Ihr eigener Stromproduzent?

Benoît Revaz: Nein, noch nicht.

Was ist dann Ihr ganz persönlicher Beitrag zur Energiewende?

Ich fahre sehr oft mit dem Zug und immer weniger mit dem Auto. Ich habe aber durchaus noch Potenzial für Verbesserungen (lacht). Aber Spass beiseite: Unser Haus ist aus den 70er Jahren und wenig energieeffizient. Vor 15 Jahren habe ich drei Ingenieurbüros beauftragt, Lösungen zu erarbeiten. Keine hat überzeugt. Wir haben dann alle Fenster ausgetauscht. Ich fand es nicht einfach, eine Entscheidung zu treffen.

Vor diesem Problem stehen viele Hausbesitzer.

Dies zeigte mir, wie wichtig es ist, dass Unternehmen und Fachleute hier Kompetenzen entwickeln. Erst recht, wenn man sieht, wie viele Ölheizungen auf Empfehlung von Fachleuten einfach wieder durch Ölheizungen ersetzt werden, ohne dass man als Hausbesitzer wirkliche Alternativen oder gar ein Gesamtkonzept aufgezeigt bekommt. Wenn demnächst unsere Ölheizung ausgewechselt werden muss, dann wollen wir diese nicht einfach nur durch eine Wärmepumpe austauschen, sondern eine Gesamtsanierung vornehmen.

Angesichts der komplexen Materie scheuen viele Hausbesitzer die Investitionen, obwohl sie Fördermittel oder Steuererleichterungen erhalten könnten.

Photovoltaik-Anlagen zu installieren, ist nicht so eine grosse Sache. Wirkungsvoller wäre aber eine integrierte Lösung, bei der man prüft, wo und wie man den Energieverbrauch senken oder ob man sich beim Bau der Anlage vielleicht mit Nachbarn zusammentun könnte.

Apropos Kompetenzen: Wie erfolgreich ist der Aktionsplan «Koordinierte Energieforschung Schweiz», aufgrund dessen Hochschulen und Forschungseinrichtungen gemeinsam in sogenannten Energiekompetenzzentren zu sieben grossen Themenfeldern forschen?

Im europäischen Vergleich ist die Schweiz gut aufgestellt. Das zeigt sich auch daran, wie viele Schweizer Forschende und Hochschulen an internationalen Programmen beteiligt sind. Doch diese Exzellenz ist nicht selbstverständlich und muss unbedingt beibehalten werden. Das setzt jedoch voraus, dass wir auch künftig bei den EU-Programmen wie Horizon 2020 und den Nachfolgeprogrammen dabei sein können. Das ist eine Investition in die Zukunft, und diese können wir nicht als Insel alleine vorantreiben. Wichtig wäre auch, dass mehr dieser EU-Forschungskonsortien von Schweizer Forschenden geleitet würden.

Was haben die Swiss Competence Centers for Energy Research – kurz SCCER – für die Energieforschung gebracht?

Es sind sehr wichtige Elemente für die vernetzte Energieforschung. Denn bisher beschäftigte sich die Grundlagenforschung vor allem mit Verbesserungen in spezifischen Teilbereichen, zum Beispiel mit der Effizienz von Solarzellen. Das ist zwar auch wichtig, aber die grössere Herausforderung ist, transversal und transdisziplinär zu denken. Eine dezentrale Anlage für erneuerbare Energie ist mehr wert, wenn sie nicht als separate Energiequelle betrachtet wird, sondern integriert ist in ein intelligentes System von Laststeuerung, Transport- und Speicherkapazitäten. Zu diesem Systemdenken über Disziplingrenzen hinweg haben die SCCER einen wichtigen Beitrag geleistet.

Die Förderung der koordinierten Energieforschung in den SCCER läuft 2020 aus? Wie werden künftig Innovationen in diesem Bereich finanziert?

Die Eidgenössische Energieforschungskommission erarbeitet zurzeit einen neuen Aktionsplan. Es ist wichtig, dass wir zunächst eine Bestandesaufnahme machen: Was wurde geleistet, wo gibt es noch Lücken und welches sind die Zukunftspotenziale? Das ist nicht ganz einfach. Denn neben einigen Leuchtturmprojekten gibt es viele Projekte, deren Arbeit weniger sichtbar ist. Im Herbst sollen dann die Ergebnisse vorliegen und dem Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation vorgelegt werden. Das Ziel ist, dass wir 2021 einen Parlamentsbeschluss haben, wie es weitergehen soll. Aus meiner Sicht braucht es unbedingt einen weiteren Kapazitätsaufbau, eine verstärkte Koordination in der Energieforschung und mehr Fördermittel.

Wo besteht noch Forschungsbedarf?

Das wäre sehr willkürlich, wenn ich etwas herausgreifen würde.

Oder eine Tendenz?

Im Ansatz beantworten die SCCER diese Aspekte der Transversalität und der Transdisziplinarität. Man könnte aber noch weitere Brücken schlagen zwischen den Forschungsbereichen, indem man die gesamte Wertschöpfungskette im Blick hat.

Wie soll das aussehen?

Ich mache mal ein Beispiel. Für den Erfolg der Energiestrategie sind Gebäude ein zentrales Element. Hier fallen 40 bis 45 Prozent des Energieverbrauchs in der Schweiz an. Sie stehen im Zentrum des Lebens und des Arbeitens der Leute. Künftig wird hier nicht nur Energie verbraucht, sondern Gebäude können Orte sein, wo Energie produziert und gespeichert wird. Sie als intelligente Elemente in die Wertschöpfungskette zu integrieren, ist meines Erachtens entscheidend.

Welches sind die grössten Hürden auf dem Weg zur Energiewende?

Wir müssen in der Lage sein, den Ausstieg aus der Kernkraft bis 2035 zu meistern. Der Bau zusätzlicher Produktionskapazitäten benötigt aber viel Zeit und Energie. Genehmigungsverfahren etwa für Windenergie sind kein Spaziergang. Der Stromverbrauch macht aber nur 25 Prozent des Energieverbrauchs in der Schweiz aus. Der grösste Verbrauch fällt bei Gebäuden und der Mobilität an. Diese Dimensionen zeigen, dass es zu langsam vorwärtsgehen könnte. Denn im Gebäudebereich liegt der Erneuerungsgrad bei nur einem Prozent.

Digitalisierung und Energiewende – wo sehen Sie die Chancen und Risiken?

Die Digitalisierung macht möglich, dass die Infrastruktur intelligenter und effizienter wird, vor allem bezüglich der Laststeuerung, der Produktion und der Speicherung. Sie ermöglicht insbesondere auch die Dezentralisierung der Energieerzeugung. Auf der anderen Seite gibt es grosse Herausforderungen vor allem punkto Datenschutz oder Cyber Security. Diese sind aber lösbar.

Wie geht es weiter mit der Strommarktliberalisierung?

Wenn ein Produkt zu mehr als 80 Prozent reguliert ist, kann man nicht von Liberalisierung sprechen. Darum reden wir hier von Marktöffnung. Die zweite Etappe der Öffnung ist Bestandteil unserer Planungen der zukünftigen Versorgungssicherheit und des Stromversorgungssystems. Wenn man wie wir das Zusammenspiel der zwei Welten – zentrale und dezentrale Energieversorgung – fördern will, muss man den dezentralen Anlagen auch eine wirtschaftliche Chance geben. Schon in der kurzen Zeit seit Inkrafttreten des neuen -Energiegesetzes sehen wir starke Initiativen der Eigenverbrauch-Gemeinschaften. Würde die heutige Regelung beibehalten, bestünde die Gefahr einer stillen Marktöffnung für Akteure, die ein Haus besitzen oder eine Anlage. Andere blieben gebunden. Wir sind zuversichtlich, dass der Markt künftig spielen wird.

Das Interview führten Patricia Faller und Martin Jaekel

Aktuelle Ausgabe ZHAW-Impact Nr. 40

Wie sieht die Energieversorgung des 21. Jahrhunderts aus? Braucht es für die Energiewende mehr Grundlagenforschung oder mehr anwendungsorientierte Forschung? Lesen Sie das ausführliche Interview mit Benoît Revaz, Direktor des Bundesamts für Energie in der App des Hochschulmagazins ZHAW-Impact. Dort finden Sie auch die Kolumne «Energien bündeln», in der Jean-Marc Piveteau, Rektor der ZHAW, über Dilemmata der Energiewende schreibt und an welchen Lösungen die Hochschule arbeitet sowie ein Beitrag über «Digital Natives» und ihr Energieverbrauch beim Chatten und Streamen.

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