Eingabe löschen

Kopfbereich

Schnellnavigation

Hauptnavigation

Ringen um soziale Etablierung

Junge Secondas und Secondos in der Schweiz wollen beruflich und sozial aufsteigen. Umso ernüchternder wirken Erfahrungen, doch nicht ganz dazuzugehören.

Ihre Eltern wanderten aus Italien, Portugal, Kosovo, Serbien und Kroatien in die Schweiz ein – um hier ein Auskommen zu finden und den Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen. «Letzteres prägt die Töchter und Söhne in ihrer Biografie stark», sagt Studienleiterin Eva Mey. Die Sozialwissenschaftlerin forscht und lehrt am Departement Soziale Arbeit der ZHAW. Bereits während ihrer Tätigkeit an der Hochschule Luzern initiierte und leitete sie eine Langzeitstudie, bei der 23 Jugendliche aus dem Luzerner Vorort Emmen dreimal in zehn Jahren interviewt wurden. Die Befragten stammen aus Arbeiterfamilien und sind mehrheitlich in der Schweiz geboren. Die Forschenden wollten wissen, wie die jungen Menschen sich am Übergang ins Erwachsenenleben positionierten und welche Strategien sie verfolgten. Die Studienergebnisse sind noch unveröffentlicht. Sie zeigen, was Mey das «Familienprojekt der Mobilität» nennt: Auf die einstige geografische Mobilität der Eltern sollte jetzt die soziale Mobilität der Kinder folgen. Das weckte bei der jungen Generation einen ausgeprägten Aufstiegswillen. Bei allen habe es gleich getönt, so Mey: Es galt, die Chancen zu packen, die einem die Eltern durch die Migration geboten hatten.

Bei der ersten Befragung 2006, bei der die Jugendlichen durchschnittlich 16 Jahre alt waren, herrschte Aufbruchstimmung rund um Berufswahl und Lehrstellensuche. Jugendliche gaben an, typische «Ausländerbranchen» wie den Bau oder die Pflege meiden zu wollen. Bei der zweiten Befragung drei Jahre später war eine gewisse Ernüchterung spürbar. Zwar hatten die meisten den Einstieg in eine Lehre geschafft, einzelne besuchten die Mittelschule. Doch trotz hohen Engagements hatten manche zunächst lange keine Lehrstelle gefunden. Sie mussten mehr Bewerbungen schreiben als ihre Schweizer Mitschüler und häufiger Zusatzrunden in Brückenangeboten drehen. Auch Abstriche bei der Berufswahl erfolgten, einige fanden sich prompt in der Pflege und auf dem Bau wieder. Wie zum Beispiel Paolo (19): «Dann haben sie mich darauf hingewiesen, dass ich flexibel sein muss heutzutage, weil sonst wird es schwieriger, eine Stelle zu finden. Dann bin ich halt auf den Bau gegangen.»

«Du kannst es schaffen»

Dabei hatten manche zuvor schon in der Volksschule einen Extra-Effort gezeigt und mit viel Lernen doch noch ein höheres Leistungsniveau erreicht. Während sie in der Schule vielfältige Beziehungen lebten, bewegten sie sich als 19-Jährige verstärkt in Kollegenkreisen ihres Herkunftslandes. Einbürgerungsgesuche scheiterten oder wurden aus Angst vor Ablehnung zurückgezogen. «In dieser Phase kam es manchmal zu einer gewissen Distanzierung vom Familienprojekt des Aufstiegs», sagt die Forscherin. Die Teenies hatten das Credo von Eltern und Gesellschaft – du kannst es in der Schweiz schaffen, wenn du nur fleissig bist – verinnerlicht. Doch nach den Rückschlägen büsste es an Strahlkraft ein. Bei der dritten Befragung mit 26 Jahren zeigt sich ein heterogenes Bild: Die Secondas und Secondos bewegten sich zwischen Etablierung und Existenzkampf. Mit einem Berufsabschluss stärkten sie ihre Position auf dem Arbeitsmarkt. Ihre Qualifikation zählte nun mehr als ihre Herkunft. Einigen gelang der Aufstieg, etwa in gute Positionen im IT-Bereich. Andere kamen in weniger qualifizierten Berufen nicht vom Fleck und kämpften darum, aus ökonomisch prekären Lagen hinauszufinden. Dabei konnten sie auf die finanzielle Unterstützung der Eltern zählen. Auch der umgekehrte Fall kam vor. Die Kinder griffen den Hilfsarbeiter-Eltern unter die Arme. «Die Familie bleibt für sie eine Solidar- und Schicksalsgemeinschaft», stellt Mey fest. Besonders auffallend war bei der letzten Befragung: Öffentliche Debatten rund um die Ausländerthematik setzten den Secondos stark zu. Anti-Minarett-Initiative, Ausschaffungsinitiative und Anti-Masseneinwanderungsinitiative waren an der Urne durchgekommen. Der Eindruck entstand, nicht voll dazuzugehören – trotz aller Bemühungen, trotz starker Verbundenheit auch mit der Wohngemeinde Emmen, wie sie immer wieder geäussert wurde. «Ab und zu denke ich, hey, Scheisse, jetzt bist du hier aufgewachsen und fühlst dich wie ein Schweizer, und dann fühlst du trotzdem, dass du ein Ausländer bist», sagte Mileva (26) bei der Befragung damals. Um den Aufenthaltsstatus abzusichern, strebten einige nun doch noch die Einbürgerung an.

Gerechte Chancen?

Die Studie erhebt nicht den Anspruch, repräsentativ für die rund 500‘000 Secondos in der Schweiz zu sein. Mit ihrem vertiefenden Einblick vermag sie aber das Bild leistungs- und anpassungsbereiter Einwandererkinder zu zeichnen, deren Durchhaltewille besonders auf die Probe gestellt wird. Die Aufstiegschancen für Arbeiterkinder lassen in der Schweiz zwar generell zu wünschen übrig. «Doch Migrantentöchter und -söhne haben zusätzliche Hindernisse zu überwinden», sagt Mey. Die Ergebnisse ihrer Studie kontrastieren nicht nur mit pauschalisierenden Vorurteilen gegenüber Migrantengruppen, sondern legen laut der Forscherin auch nahe, den Schutz vor Diskriminierung zu verstärken: «Die Schweiz verlangt von Migrantinnen und Migranten individuellen Einsatz, doch die Chancen auf Erfolg und Anerkennung bleiben ungleich verteilt.» Sie empfiehlt Massnahmen bei der schulischen Selektion, der Lehrstellensuche und dem Zugang zu politischen Rechten.

Diskriminierende Strukturen

Bereits Einblick in die Studie hatte Nina Gilgen, Leiterin der Fachstelle für Integrationsfragen des Kantons Zürich. Mit der Langzeitperspektive zeuge die Studie von «diskriminierenden Strukturen», stellt sie fest. Solche Strukturen müssten vermehrt thematisiert werden, da sie als Folge des öffentlichen Diskurses zu Migration auch unbewusst wirkten. «Neben individuellen Fördermassnahmen bleibt die Bekämpfung von Diskriminierung ein grosser Auftrag.»

Autorin: Susanne Wenger

Hochschulmagazin ZHAW-Impact

«Gesellschaftliche Integration» lautet das Dossierthema der Juni-Ausgabe des Hochschulmagazins ZHAW-Impact.

Eine Auswahl der Themen: Welche Karrieremöglichkeiten bieten Unternehmen für Mitarbeitende 49+? Wie fair sind Sozialversicherungen in der Schweiz? Welche Wechselwirkung besteht zwischen der Gestaltung von Räumen und menschlichem Verhalten? Wie kann man ältere Migrantinnen und Migranten aber auch junge Secondos unterstützen? Wenn immer mehr junge Menschen unter psychischen Erkrankungen leiden, wie kann man Früherkennung und Therapie fördern? Zudem lesen Sie Porträts über Menschen, die sich für den Wissenstransfer mit Namibia, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, hindernisfreie Kommunikation, ethische Managementausbildung und mehr Frauen in MINT-Fächern engagieren.

Interessiert? Hier können Sie das Impact kostenlos abonnieren oder lesen: