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Generationen im Gespräch: «Die Jungen sind selbst schuld, wenn sie nicht abstimmen»

Sollte die Stimme junger Menschen doppelt zählen? Ist der Generationenkonflikt frei erfunden? Weshalb lebt eine Studentin in einer Generationen-WG? Ein Auszug aus dem Generationen-Gespräch im ZHAW-Impact.

Gesprächsrunde auf der Terrasse des ZHAW-Standorts Toni-Areal in Zürich: v. l. Soziologe François Höpflinger, Psychologin Beate Schwarz und Ergotherapeutin Salome Feusi.

ZHAW-Impact Nr. 34 vom September 2016

Sollten junge Menschen ein doppeltes Stimmrecht haben, um von den Alten nicht überstimmt zu werden, wie dies die Zürcher Regierungsrätin Jacqueline Fehr kürzlich vorschlug?

Salome Feusi: Das ist eine gemeine Frage zum Einstieg (lacht). Zum einen würde ich das befürworten, denn meistens zeigt eine Abstimmung erst Jahre später Auswirkungen. Aber die meisten Jungen  nehmen gar nicht an Abstimmungen teil. Dann sind sie eigentlich selbst schuld, wenn nicht in ihrem Sinn entschieden wird.

François Höpflinger: Wobei man beobachtet hat, dass heute mehr 30-Jährige abstimmen, als dies vor 25 Jahren der Fall war. Die Stimmbeteiligung ist aber immer noch tiefer als bei den Älteren.

Salome Feusi: Andererseits ist aber auch nicht zwingend, dass die ältere Generation anders stimmt als die Jungen. In Grossbritannien haben  auch junge Wählerinnen und Wähler «Ja» gesagt zum Brexit, oder ältere haben ihn abgelehnt.

François Höpflinger: Für die Schweiz zeigt die Vox-Analyse, dass das Alter nur selten eine bedeutsame Variable beim Abstimmungsverhalten ist. Ausschlaggebender sind die Bildung, der Stadt-Land-Unterschied oder die Sprachregionen.

Beate Schwarz: Zudem liegt der Anteil der über 65-Jährigen in der Schweiz derzeit bei unter 20 Prozent. Man redet also von einer Minderheit, deren Stimmkraft man schwächen will. Damit habe ich so meine Probleme.

Dieser politische Vorstoss definiert «jung» mit 18 bis 40 Jahren.

Beate Schwarz: Dann wäre auch meine Generation – die geburtenstarken Jahrgänge – betroffen von der Schwächung. Ich denke aber wie Frau Feusi: Warum sollten die Alten immer gegen die Jungen stimmen? Die älteren Menschen sind häufig Eltern und Grosseltern, die wollen ja, dass es ihren Kindern und Enkelkindern gut geht.

«Jugendliche bei uns müssen nicht rebellieren, da sie schon früh nach ihren Wünschen gefragt werden.»

Beate Schwarz

François Höpflinger: Dieser politische Vorschlag steht auch im Widerspruch zu den Menschenrechten. Was dagegen legitim wäre, ist das Stimmrecht mit der Geburt einzuführen. In einer jungen Familie könnten die Eltern das Stimmrecht stellvertretend ausüben, bis ihre Kinder 14 oder 16 Jahre alt sind. Das würde ich befürworten. Ich sehe aber ein anderes dringlicheres Problem: Bei den letzten Nationalratswahlen waren die Hälfte der Kandidatinnen und Kandidaten unter 40 Jahre alt. Bei den Gewählten lag deren Anteil nur noch bei rund 20 Prozent. Das heisst, dass es Netzwerke von Älteren gibt, welche ihre Macht verteidigen.

Reagieren die Generationen auf die heutigen Herausforderungen wie Terror, Flüchtlinge oder Brexit unterschiedlich?

Salome Feusi: Ich denke schon. Die jüngere Generation hat mehr Möglichkeiten zu reisen und ist mobiler. Ich zum Beispiel habe andere Kulturen kennengelernt, habe ein Praktikum in einem Spital in Kenia gemacht und bin in meiner Kindheit teilweise in Ghana aufgewachsen. Ich betrachte gewisse Dinge aus einem anderen Blickwinkel, wenn jemand anders handelt, als wir das in der Schweiz gewohnt sind.

François Höpflinger: Aus meiner Sicht sind andere Faktoren entscheidend, nicht das Alter: Junge Menschen, die immer am gleichen Ort gelebt haben, reagieren ähnlich wie alte Menschen, die immer am gleichen Ort gelebt haben. Mobile ältere Leute reagieren ähnlich wie mobile junge Leute.

«Was legitim wäre, ist das Stimmrecht mit der Geburt.»

François Höpflinger

Angesichts der Digitalisierung der Gesellschaft – gibt es da einen Graben zwischen Jung und Alt?

Beate Schwarz: Es ist ja nicht so, dass sich ältere Menschen komplett jeglichen Veränderungen verschliessen. Auch sie nutzen SMS oder WhatsApp, um mit ihren Enkeln zu korrespondieren.

François Höpflinger: Aber es gibt gewisse Generationenprägungen. Zum Beispiel organisieren und buchen die Jungen ihre Reisen spontan online, während die Älteren im Internet ihre Reisen erst gründlich planen. Oder wenn junge Leute ein Start-up gründen, dann machen sie eine Beta-Version eines Produkts, werfen diese auf den Markt und passen sie später an. Ältere Leute machen erst ein Konzept und streiten oft intensiv darüber.

«In der Schweiz sind wir schon eine wohlstandsverwöhnte Generation.»

Salome Feusi

Sie sehen also keinen Konflikt der Generationen?

Salome Feusi: Im Gegenteil. Ich frage mich, ob es heute nicht weniger Konflikte gibt als früher. Wenn meine Grossmutter von der Beziehung zu ihren Eltern erzählt, dann tönt das ganz anders als bei mir.

Beate Schwarz: Beim Generationenbegriff muss man unterscheiden zwischen der familiären und der gesellschaftlichen Ebene. Dabei kann man feststellen, dass es auf der Ebene der Familien bei uns erstaunlich wenig Konflikte gibt.

François Höpflinger: Für die gesellschaftliche Ebene gilt: Man hat nicht unbedingt gelernt, miteinander zu leben, aber gut nebeneinander.

Beate Schwarz (53)

ist Professorin für Entwicklungs- und Familienpsychologie und leitet die gleichnamige Fachgruppe am ZHAW Departement Angewandte Psychologie. Sie hat Generationenbeziehungen aus psychologischer Sicht untersucht, u.a. in der «Value of Children Study» der Uni Konstanz, welche die Wechselwirkung von Werten und Eltern-Kind-Beziehungen in drei Generationen über verschiedene Kulturen beleuchtet. Sie hat sich dabei auf den Vergleich zwischen Deutschland und ost asiatischen Kulturen spezialisiert.

François Höpflinger (68)

arbeitet seit vielen Jahren in der Alters- und Generationenforschung, darunter waren verschiedene Projekte zu familiaren Beziehungen im internationalen Vergleich, aber auch betriebliche Generationenfragen wie das Generationenmanagement in Unternehmen oder der Wissenstransfer zwischen Generationen. Er hat verschiedene Projekte zu Generationenfragen aus sozialer, politischer und gesellschaftlicher Perspektive geleitet. Der emeritierte Professor der Universität Zürich wurde mehrfach für seine Arbeit ausgezeichnet.

Salome Feusi (23)

hat im Sommer den Bachelorstudiengang Ergotherapie am ZHAW-Departement Gesundheit abgeschlossen und arbeitet seither im Spital Limmattal als Ergotherapeutin. Während des Studiums hat sie zweieinhalb Jahre bei einem pensionierten Ehepaar in einer Generationen-WG in Winterthur gelebt – von Pro Senectute Kanton Zürich vermittelt. Bei diesem Projekt «Wohnen für Hilfe» zahlen die Studierenden keine klassische Miete, sondern helfen im Haushalt und im Garten ihrer Vermieterinnen und Vermieter mit.