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Ein Bio-Detektor mit atemberaubender Präzision

Umweltwissenschaftler und Biotechnologinnen der ZHAW haben einen Test entwickelt, mit dem sie hormonaktive Stoffe exakter nachweisen können. Vielleicht eröffnet der Bio-Detektor ein neues Forschungsfeld.

Ein orange plastik Box mit blauen Ampullen.
Bei der Dünnschichtchromatographie wird eine Probe der zu testenden Flüssigkeit auf eine beschichtete Glasplatte aufgetragen. Ein Lösungsmittel bringt die Inhaltsstoffe der Probe dazu, über die Platte zu wandern, je nach Substanz unterschiedlich weit.

ZHAW-Impact Nr. 35 vom Dezember 2016

Unabsichtlich betreibt die Menschheit ein Umwelt-Grossexperiment: Via Toiletten und Strassenschächte, via Industrie-Abwässer und Weide-Drainagen leiten wir unzählige Stoffe in Flüsse und Seen, von denen wir nicht wissen, was sie dort anrichten. In einem beliebigen Glas Wasser, das man in Basel aus dem Rhein schöpft, finden sich 2000 bis 3000 organische Substanzen – neunzig Prozent davon sind unbekannt.

Ein omnipräsenter Plastik-Weichmacher

Und das wenige, was wir wissen, ist nicht gerade beruhigend. So gibt es etliche Substanzen, die hormonaktiv wirken – das heisst, sie lösen im Körper von Wirbeltieren biologische Prozesse aus, ähnlich wie Hormone. Häufig stammen die Substanzen aus Medikamentenrückständen, Kosmetika, Pestiziden oder Kunststoffen. Einer der bekanntesten hormonaktiven Stoffe ist Bisphenol A, ein omnipräsenter Plastik-Weichmacher. «Bisphenol A findet man heute in fast jeder Wasserprobe in der Schweiz, ausser in Gletschern und tiefen Grundwässern», sagt Andreas Schönborn von der Forschungsgruppe Ökotechnologie am Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen an der ZHAW in Wädenswil. Es sind Stoffe wie dieser, die männliche Fische unfruchtbar machen und womöglich auch für die verringerte Spermienmenge und -qualität beim Menschen verantwortlich sind. Das Problem ist, dass manche hormonaktiven Substanzen schon in kleinsten Mengen wirksam sind. Andreas Schönborn hat nun einen neuartigen Test mitentwickelt, den sogenannten planar-YES, der sehr viel genauer ist als alle bisherigen: «Bei den aktivsten Stoffen können wir Mengen von 0.1 Pikogramm nachweisen – das ist etwa um einen Faktor 10‘000 besser als mit herkömmlichen Methoden», sagt er. Die Präzision ist atemberaubend: 120 Gramm Wirkstoff, verteilt auf den ganzen Bielersee, liessen sich mit dieser Methode gerade noch nachweisen.

«Die aktivsten Stoffe können wir etwa um einen Faktor 10‘000 besser nachweisen mit unserer Methode.»

Andreas Schönborn, Forschungsgruppe Ökotechnologie

So funktioniert der Test

Der planar-YES zielt auf die wohl wichtigsten hormonaktiven Stoffe – nämlich jene, die wie das Sexualhormon Östrogen wirken. Die Präzision des Tests rührt daher, dass Schönborn nicht auf einen chemischen oder physikalischen, sondern auf einen biologischen Detektor setzt: Er arbeitet mit menschlichen Östrogen-Rezeptoren, die gentechnisch in Hefezellen eingepflanzt sind. Trifft ein wenig Wirkstoff auf einen Rezeptor, so löst dieser ein Signal aus, das von der Zelle vieltausendfach verstärkt wird und schliesslich als sichtbare Farbveränderung in Erscheinung tritt. 

Hefezellen und Dünnschichtchromatographie

Die entscheidende Idee war, die Hefezellmethode mit der Dünnschichtchromatographie zu koppeln – eine bekannte Technik zur chemischen Auftrennung von Substanzgemischen. Beim planar-YES wird nun eine Probe der zu testenden Flüssigkeit auf eine beschichtete Glasplatte aufgetragen. Unter dem Einfluss eines Lösungsmittels beginnen die Inhaltsstoffe der Probe über die Platte zu wandern, je nach Substanz unterschiedlich weit. Ist die Trennung vollzogen, so überzieht man die Platte mit einer Schicht manipulierter Hefezellen. Wenn die Probe östrogenähnliche Substanzen enthält, entstehen auf der Platte nun einzelne Farbpunkte. Anhand ihrer Position kann man oft schon vermuten, um welche Substanzen es sich jeweils handelt. Doch lassen sich mit der Technologie auch unbekannte hormonaktive Stoffe aufstöbern.Andreas Schönborn hat diese Methode nicht allein erfunden. Kollegen aus seiner Forschungsgruppe sowie Studierende des Bachelors Umweltingenieurwesen arbeiteten seit 2010 mit an der Entwicklung. Zusammen mit dem planar-YES-Arbeitskreis, der sich aus Kolleginnen und Kollegen von Labors anderer  Forschungsinstitutionen zusammensetzt, hat Schönborns Team den Test entscheidend verbessert, massiv beschleunigt und praxistauglich gemacht. Derzeit arbeiten die Forschenden zusammen mit dem Labordienstleister SQTS an einem Projekt, das im Rahmen der Umwelttechnologieförderung des Bundesamts für Umwelt (BAFU) vom Bund unterstützt wird. Bis Ende Jahr wollen sie den planar-YES so weit voranbringen, dass er kommerzialisierbar wird. «Das werden wir ziemlich sicher schaffen», sagt Schönborn. «Allerdings haben wir noch keinen Wirtschaftspartner gefunden, der die Vermarktung anschliessend übernimmt.»

«Mit dem planar-YES-Test
können wir nach Phytoöstrogenen
– natürlichen Hormonersatzstoffen –
in Pflanzen suchen.»

Evelyn Wolfram, Leiterin der Fachgruppe Phytopharmazie und Naturstoffe

Wasser und pflanzliche Arzneimittel

Viele Anwendungen sind denkbar. Die naheliegendste ist, Abwasser oder auch Trinkwasser systematisch auf hormonaktive Stoffe zu testen. Evelyn Wolfram, die Leiterin der Fachgruppe Phytopharmazie und Naturstoffe am Institut für Chemie und Biotechnologie, und ihre Mitarbeiterin Sarah Bräm, die ebenfalls an der Mitentwicklung des Test beteiligt sind, benutzen ihn in einem ganz anderen Gebiet: bei den pflanzlichen Arzneimitteln. Denn es gibt auch natürliche hormonaktive Substanzen, sogenannte Phytoöstrogene, die auf den menschlichen Körper wirken. Manchmal ist das positiv: «Aus epidemiologischen Studien wissen wir, dass beispielsweise Soja gut ist gegen Menstruationsbeschwerden», sagt Wolfram. «Mit dem planar-YES können wir entsprechende Präparate testen oder nach neuen Wirkstoffen in anderen Pflanzen suchen.» Umgekehrt weiss man, dass östrogenaktive Substanzen das Wachstum von Brustkrebszellen anregen –Patientinnen mit Brustkrebs sollten sie also möglichst meiden. Mit dem neuen Test liesse sich feststellen, welche Lebens- oder Nahrungsergänzungsmittel dies betrifft.

Einblick in die chemische Kommunikation der Natur

Andreas Schönborn macht den Fächer noch weiter auf: «Wir sind alle ziemlich begeistert von der neuen Testmethode, denn sie öffnet die Tür für ganz viel interessante Forschung.» Indem man nun Stoffe in kleinster Dosierung einfacher messen könne, erhalte man Einblick in ein chemisches Kommunikationssystem der Natur, von dem man noch nicht viel wisse. «Damit meine ich nicht nur unsere Hormone», sagt Schönborn. «Es ist bekannt, dass auch Mikroorganismen über Botenstoffe miteinander kommunizieren. Nur wissen wir darüber nicht viel, weil die Stoffe derart verdünnt sind, dass wir sie mit den bisherigen Methoden kaum nachweisen konnten.» Gelänge es, das Kommunikationssystem krankmachender Bakterien zu verstehen, so würde dies gar ein neues Feld für die Medikamentenforschung eröffnen.

Autor: Mathias Plüss