Inlandsadoption in der Schweiz
Kontinuitäten, Wandel und Wirkung von unumkehrbaren Familienplatzierungen im 20. und 21. Jahrhundert

Auf einen Blick
- Projektleiter/in : Prof. Thomas Gabriel
- Stellv. Projektleiter/in : Dr. Nicolette Seiterle
- Projektteam : Dr. Susanne Businger, Lukas Emmenegger, Dr. Samuel Keller, Adrian Seitz
- Projektvolumen : CHF 497'776
- Projektstatus : laufend
- Drittmittelgeber : SNF (SNF-Projektförderung / Projekt Nr. 182842)
- Projektpartner : Pflege- und Adoptivkinder Schweiz PACH
- Kontaktperson : Thomas Gabriel
Beschreibung
Hintergrund:
Das seit Januar 2018 geltende Schweizer Adoptionsgesetz soll die
Indikationen zur Adoption qualitativ verbessern. Ein erhoffter
Effekt des neuen Gesetzes ist es, die Bedingungen der
Kindererziehung und des Wohlergehens künftig adoptierter Kinder
nachhaltig zu beeinflussen. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts hat
sich die Schweizerische Adoptionspraxis im Zuge rechtlicher und
gesellschaftlicher Veränderungen stark gewandelt, wurde aber nie
beforscht. Aus aktuellen Studien zur Fremdplatzierung in der
Schweiz weiss man, dass vor 1981 auch Adoption ein Bestandteil der
Zwangsmaßnahmen darstellen konnte. Auch verweisen Studien darauf,
dass der Integrität und dem Wohlbefinden derjenigen Kinder, die
nicht bei ihren leiblichen Eltern aufwachsen konnten, kaum
Beachtung geschenkt wurde – wohl auch noch nach 1981. Darüber
hinaus weiss man über Hintergründe und Effekte der
Entscheidungsfindungen in und Begleitung von Adoptionsverfahren bis
heute nur wenig.
Fragestellung
Im Rahmen dieses vom Schweizerischen Nationalfonds
finanzierten Projekts untersuchen die ZHAW Soziale Arbeit, Institut
für Kindheit, Jugend und Familie, und PACH (Pflege- und
Adoptivkinder Schweiz) die schweizerische Adoptionsgeschichte. Das
Projekt dauert von März 2019 bis März 2022 und widmet sich
übergeordnet folgenden zwei Hauptfragen:
- Wie wurden Inlandsadoptionen in der Schweiz zwischen 1940 und 2000 begründet und umgesetzt? Was hat sich verändert und was nicht?
- Wie haben sich die Adoptionspraxen auf die Biografien adoptierter Kinder und leiblicher Eltern ausgewirkt?
Ziele, Daten und Vorgehen:
Die Studie hat mit der Beantwortung dieser Fragen zum Ziel
herauszufinden, wie Inlandsadoptionen in der Schweiz zwischen 1922
und 2017 begründet und umgesetzt wurden. Hierfür sichten die
Forschenden einerseits Aktenbestände in Adoptionsarchiven der
Deutsch- und Westschweiz. Diese wurden bis anhin noch kaum
erschlossen. Dabei interessieren u.a. Abläufe, Begründungen und die
Sichtweisen auf Bedingungen, Aufwachsen und Familie sowie auf
Elternschaft und Kindheit.
Insgesamt leben heute über 10'000 inländische adoptierte Menschen
(plus ihre Verwandten) in der Schweiz. Eine Adoption ist in
vielerlei Hinsicht prägend. Die Studie möchte die daraus
entstandenen Lebensgeschichten von adoptierten Menschen wie auch
von Menschen, die ihr Kind zur Adoption freigaben (Zeitraum:
1940-2000), verstehen, dokumentieren und daraus lernen. Ihre
Lebensverläufe stellen zentraler Wissensschätze zum Verständnis der
bisherigen Adoptionspraxis dar. Ohne deren Stimmen kann dieses
Vorhaben nicht gelingen.
Deshalb werden insgesamt 60 biografisch-narrative Interviews mit
Betroffenen geführt. Hier interessiert, wie die damalige
Adoptionspraxis sowie gesetzliche und gesellschaftliche
Veränderungen von den betroffenen Menschen erfahren wurden und wie
sie sich auf das weitere Leben ausgewirkt haben.
Diese Ausgangslage verpflichtet Wissenschaft und Praxis, den
betroffenen Menschen zuzuhören, sich den unterschiedlichen
Wissensbeständen zu widmen und deren Zusammenspiel auch für
künftige Umsetzungen verstehen zu wollen.
Bedeutung:
Das Projekt möchte mit seiner Herangehensweise zur längst
notwendigen, ganzheitlichen Aufarbeitung der schweizerischen
Adoptionsgeschichte beitragen. Der Zugang wird sowohl über die
Erfahrungen der Betroffenen als auch über die verschriftlichte
Praxis gesucht. Dabei geht es nicht nur um das Schaffen eines
kollektiven Gedächtnisses. Es geht auch um aktuelle Diskurse über
Bedingungen des Aufwachsens, Familie, Elternschaft, Kindheit und
Kindeswohl. Angesichts des neuen Adoptionsgesetzes und künftiger
Herausforderungen der Kinder- und Jugendpolitik in der Schweiz ist
von wissenschaftlichen, politischen und praktischen Gesichtspunkten
her eine Wissensbasis erforderlich. Nur so können weitere
Entwicklungen in Bezug auf vergangene und gegenwärtige
Adoptionspraktiken nicht nur verstanden, sondern auch kindzentriert
gesteuert werden.
Deshalb werden die sozialwissenschaftliche und die historische
Perspektive auf Adoption in der Schweiz miteinander verwoben und
für die künftige Praxis reflektiert. Die Mindestlaufzeit des
Projekts ist drei Jahre, geleitet wird es von Prof. Dr. Thomas
Gabriel, Dr. phil. Samuel Keller, Dr. Nicolette Seiterle und Dr.
phil. Susanne Businger haben die operative Projektleitung der
Teilprojekte inne.