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Evaluation der Wirksamkeit der intensiven Frühinterventionsmethoden bei frühkindlichem Autismus

Auf einen Blick

Beschreibung

Zur Behandlung von frühkindlichem Autismus wurden in den USA frühe intensive verhaltenstherapeutische und entwicklungsorientierte Interventionen entwickelt. Vom Bundesgericht werden solche intensiven Frühinterventionen bei frühkindlichem Autismus bisher noch nicht als wissenschaftlich geprüfte und zweckmässige medizinische Massnahmen im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Satz 2 IVV betrachtet. Autismusexpertinnen und -experten in der Schweiz sind jedoch davon überzeugt, dass eine möglichst frühe intensive Behandlung das Verhalten und die Fähigkeiten von Kindern mit einem frühkindlichen Autismus deutlich verbessert und am besten der Vorbereitung dient, ein möglichst unabhängiges Leben ausserhalb von Heimen zu führen.

Heute wird in der Schweiz eine Vielfalt an Behandlungsmethoden angeboten, Behandlungsrichtlinien sind jedoch keine bekannt. Das BSV lancierte per 1. Januar 2014 ein fünfjähriges Pilotprojekt mit fünf bestehenden Autismuszentren in der Schweiz. Rund 130 Kinder mit der Diagnose frühkindlicher Autismus (ICD-10-Code F84.0) erhielten über zwei Jahre eine intensive Frühintervention nach ABA, ESDM oder der Mifne-Therapie.

ZIEL

Um glaubwürdige Aussagen über die Wirksamkeit der Behandlungsmethoden bei frühkindlichen Autismus-Spektrum-Störungen zu erhalten, gab das BSV im Mai 2017 eine Evaluation in Auftrag. Das interdisziplinäre Projektteam, zusammengesetzt aus dem Institut für Sozialmanagement und dem Institut für Ergotherapie, erarbeitete Ergebnisse zu drei Hauptaspekten:

  • zur wissenschaftlichen Evidenz der intensiven Frühinterventionen
  • zu den Kosten und Kostenfolgen der Therapieprogramme
  • zu wichtigen Faktoren im Hinblick auf die Implementierung von Frühinterventionen.

METHODIK

Die aktuell bestehende wissenschaftliche Evidenz zu intensiven Frühinterventionen wurde durch eine Literaturanalyse herausgearbeitet. Untersucht wurden 42 neuere systematische Reviewarbeiten aus dem Publikationszeitraum von 2010 bis 2017 sowie drei spezifische Europäische Guidelines. Gesamthaft bildet der Korpus 1'287 Interventionsstudien und rund 12'650 Kinder ab (Doppelzählungen möglich). Für die Betrachtung der Kosten und der Kostenfolgen der Therapieprogramme wurde gleichfalls auf eine Literaturanalyse zurückgegriffen. Zusätzlich wurden Kosteninformationen der Autismuszentren beigezogen. Für die Evaluation der Interventionsprogramme wurde ein Multiple Case Study-Design gewählt: Die fünf Autismuszentren wurden als einzelne Fälle analysiert und miteinander verglichen. Als Datenbasis standen die Grundlagendokumente des Pilotprojektes, Selbstevaluationen der Zentren, das Kostenmonitoring, eine empirische Datensammlung zu den behandelten Kindern und ein projektinterner Wirksamkeitsbericht zur Verfügung.

Das Evaluationsteam führte ausserdem 13 Interviews mit den Leitenden Ärztinnen und Ärzten und wichtigen Fachpersonen an den Zentren. Es verwendete auch zwei Auszüge aus dem Zentralregister der AHV/IV, einen mit den in den fünf Zentren behandelten Kindern (pseudonymisiert) und einen mit ähnlich erscheinenden Kindern, die zwar im Register erfasst waren, aber keine intensive Frühintervention erhalten haben.

ERGEBNISSE

Umfangreiche verhaltenstherapeutische oder entwicklungsorientierte Interventionen bei frühkindlichem Autismus sind wirksam. Dies ist, trotz vieler noch offener Forschungsfragen, das wichtigste Ergebnis der Studie. Es entspricht der höchsten Evidenzlage und wird durch keines der analysierten Reviews in Frage gestellt. Verhaltenstherapeutische Ansätze sind dabei eher lerntheoretisch begründet, entwicklungsorientierte Ansätze eher entwicklungstheoretisch. Als Best Practice gilt eine umfassende Intervention, die verhaltenstherapeutische und entwicklungsorientierte Therapiezugänge kombiniert.

Alle fünf Autismuszentren entsprechen den herausgearbeiteten Kriterien. Ihre Interventionen sind umfassend in dem Sinne, dass sie sehr gezielt und umfänglich auf dem Funktionsniveau des frühkindlichen Autismus behandeln, wobei sie Spiel- und Verhaltenskomponenten unterstützen und sozialkommunikative Fähigkeiten fördern. Sie sind intensiv, da die Kinder zwischen 18 und 25 Stunden pro Woche über zwei Jahre betreut werden und alle Programme die Eltern und das nähere Umfeld mit einbeziehen. Bezüglich der Kosten zeigt sich, dass intensive Frühinterventionen die Folgekosten des frühkindlichen Autismus senken. Beispielsweise ist später vielfach eine weniger umfangreiche Betreuung möglich und der Einkommensverlust der Eltern wird gemindert. Auch hier sind viele Forschungsfragen offen, dennoch ist der Befund eindeutig.

EMPFEHLUNGEN

Die Studie empfiehlt, dass in der Schweiz für alle Kinder mit frühkindlichem Autismus ab 2 Jahren und ihre Eltern ein Angebot zur intensiven Frühintervention zur Verfügung gestellt wird. Sie empfiehlt, die bestehenden Programme zu unterstützen, die aufgebauten Kompetenzen zu nutzen und die Programme weiter auszubauen, um sie mehr Kindern und Familien zur Verfügung zu stellen. Solange noch nicht geklärt ist, welche Kinder von welchen spezifischen Interventionen profitieren, ist in der Schweiz eine Vielzahl von autismusspezifischen Programmen und Programmkomponenten zu akzeptieren, sofern sie der dargestellten Evidenzlage entsprechen. Auch neue Zentren sollen unter dieser Massgabe hinzukommen. Die Studie gibt ausserdem Hinweise zu den Faktoren, die für eine Implementierung von Frühinterventionen bedeutsam sind. Sie empfiehlt, dass Bund, Kantone und Autismuszentren ein Modell formulieren für die Wirkungsziele der intensiven Frühinterventionen, für die Kosten und für zentrale Merkmale der Interventionsprogramme.

Weiterführende Informationen

Publikationen