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Hype um Künstliche Intelligenz

In vielen Gebieten zeigen Computer heute menschenähnliche Fähigkeiten. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass sie auch verstehen, was sie tun, sagt der ZHAW-Dozent für Informatik Thilo Stadelmann.

Thilo Stadelmann
Thilo Stadelmann: «Ein neuronales Netz betrachtet weniger Kontext und lässt darum den gesunden Menschenverstand vermissen.»

ZHAW-Impact Nr. 37 vom Mai 2017

Handys übersetzen Gespräche simultan, Facebook entschlüsselt unsere Persönlichkeit und Computerprogramme schlagen Pokerprofis. Kein Zweifel, die Künstliche Intelligenz befindet sich im Höhenflug. «Seit 2010 ist sehr viel passiert – fast wöchentlich sehen wir neue, verblüffende Beispiele», sagt Thilo Stadelmann, Dozent am Institut für angewandte Informationstechnologie und Leiter des Datalab an der ZHAW. Die Aufbruchstimmung sei auch an der Hochschule zu spüren.

«Euphorie und Eiszeit»

Die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz verläuft in Wellen: Euphorie und Eiszeiten wechseln sich ab. Schon in den fünfziger Jahren versprachen die ersten Computerforscher, innert zehn Jahren Programme zu schaffen, die Russisch automatisch ins Englische übersetzen könnten. «In ihrer Begeisterung haben die Pioniere den Mund zu voll genommen», sagt Thilo Stadelmann. «Es gab zwar stetig Fortschritte, doch als die Öffentlichkeit merkte, dass es nicht so schnell voranging, wurde Künstliche Intelligenz vorübergehend zum Schimpfwort.»

Das Auf und Ab wiederholte sich in den folgenden Jahrzehnten. Der derzeitige Hype unterscheidet sich insofern von früheren, als die Maschinen ein Stück weit menschlicher geworden sind. Die alte Regel, wonach Computer in Gebieten brillieren, die Menschen als schwierig empfinden (Rechnen),während sie an Aufgaben scheitern, die uns leicht fallen (Gesichter erkennen), gilt nicht mehr. Im Gegenteil: «Bei vielen Wahrnehmungsproblemen sind Computer heute im Schnitt auf der gleichen Stufe wie Menschen», sagt Stadelmann. «Wenn es etwa darum geht, zu erkennen, ob sich ein Hund auf einem Bild befindet oder nicht, sind sie mindestens so gut wie ein Hundeliebhaber.» Am besten ablesen lässt sich der Fortschritt wohl bei den Spielen: Sie gelten traditionell als Gradmesser für die Künstliche Intelligenz. Als der IBM­Rechner Deep Blue vor zwanzig Jahren den damaligen Schachweltmeister Garry Kasparow schlug, war dies ein Paukenschlag. Doch handelte es sich letztlich nicht um einen Triumph der Intelligenz, sondern der Rechenkraft. Von ganz anderer Art ist DeepStack, der kürzlich als erster Computer im Poker brillierte. Poker ist nicht so berechenbar wie Schach – gefragt sind Intuition und Bluffen. Zur Überraschung der Fachwelt stellte sich heraus, dass bereits heute eine Software diese vermeintlich genuin menschlichen Fähigkeiten besser beherrscht als die führenden Pokerspieler der Welt.  Es ist die Technik des Deep Learning, welche die aktuellen Erfolge der Künstlichen Intelligenz ermöglichte. Die genannte Poker­ Software etwa erarbeitet sich erfolgreiche Spielstrategien selbstständig, indem sie aus Erfahrung lernt – ganz ähnlich wie Menschen. Unweigerlich fragt man sich, ob die Maschinen auch verstehen, was sie da tun.

«Ein Programm kann lernen, Hunde zu erkennen, und dennoch nicht wissen, was ein Hund ist.»

Was bedeutet «Verstehen»?

«In der wissenschaftlichen Literatur reden wir oft von Verstehen, beispielsweise Bildverstehen», sagt Stadelmann. «Aber als Laie interpretiert man da leicht zuviel hinein. Ein Programm kann lernen, Hunde zu erkennen, und dennoch nicht wissen, was ein Hund ist.» Zwar könne man sich auch beim Menschen darüber streiten, was «Verstehen» genau bedeute. Aber nach heutigen Erkenntnissen sind die Abläufe in künstlichen neuronalen Netzen weniger komplex als in menschlichen Gehirnen, auch wenn sich die beiden Organe vom Aufbau her gleichen. «Ein neuronales Netz be­trachtet weniger Kontext als sein biologisches Pendant und lässt darum den gesunden Menschenverstand vermissen», sagt Stadelmann. Auch hat die Künstliche Intelligenz noch nicht in allen Gebieten das Niveau von menschlichen Spezialisten erreicht. So gab es in letzter Zeit zwar auch beim automatischen Übersetzen grosse Fortschritte, für den professionellen Einsatz sind die Maschinen aber nach wie vor ungeeignet. Doch dürfte dieses Problem mittelfristig gelöst werden.

Viel grundsätzlicher ist die Frage, ob Maschinen auch kreativ sein können. So vermögen heute Computerprogramme den Schreibstil von Shakespeare perfekt nachzuahmen – sind aber weitestgehend ausserstande, eine originelle Geschichte zu erfinden. Wird uns die Künstliche Intelligenz eines Tages auch in diesem Feld den Rang ablaufen? Stadelmann verweist auf den Unterschied zwischen «schwacher» und «starker» Künstlicher Intelligenz: Heutige Programme könnten meist nur eine einzige Aufgabe lösen, darum spreche man von schwacher Künstlicher Intelligenz. «Eine Software, die Hunde perfekt erkennt, wird mit dem Bild eines Frettchens nichts anfangen können.» In der Science-Fiction-Literatur ist der Begriff der Singularität populär: jener Zeitpunkt, wo die Künstliche Intelligenz erwacht, eine Art Bewusstsein entwickelt und zum selbstständig handelnden Wesen wird.

In dem Moment spreche man von starker Künstlicher Intelligenz, und diese wäre dann wohl auch zu echter Kreativität fähig. «Doch wie wir zu diesem Punkt gelangen sollen, ist völlig unklar», erklärt Stadelmann. Trotzdem sei es sinnvoll, sich mit solchen Fragen auseinanderzusetzen. Weniger aus Angst davor, dass uns Maschinen eines Tages versklaven oder auslöschen – ein beliebtes Thema in der Science-Fiction-Welt. Sondern um sicherzustellen, dass nicht Firmen das Wissen monopolisieren. Dieses Problem stellt sich heute schon. Und es verschärft sich, wenn die starke Künstliche Intelligenz eines Tages entwickelt wird, denn sie wird sehr rasch in vielen Gebieten einsetzbar sein. «Wir müssen uns fragen, wie wir mit dieser Schlüsseltechnologie umgehen wollen», sagt Stadelmann. Darum engagiert sich die ZHAW in der Swiss Alliance for Data-Intensive Services,  einem nationalen Netzwerk, dem sich zahlreiche weitere Hochschulen und Firmen angeschlossen haben. Innerhalb des Netzwerkes diskutiert eine Arbeitsgruppe «Datenethik» grundsätzliche Fragen. Letztlich gehe es darum, sicherzustellen, dass die ganze Gesellschaft von den Fortschritten der Künstlichen Intelligenz profitiere – nicht einzelne Unternehmen, Regierungen oder Branchen.

Radiobeitrag: Interview mit Thilo Stadelmann Teil I

Radiobeitrag: Interview mit Thilo Stadelmann Teil II

Autor: Mathias Plüss

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