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Der Dirigent auf der Baustelle

Am spannendsten ist für Thomas Böni die Umsetzung: Wenn sich die abstrakten Pläne materialisieren, ist der Absolvent des Bachelorstudiengangs Architektur in seinem Element. Ein Porträt.

ZHAW-Impact Nr. 39 vom Dezember 2017

Hoch über dem Kopf dreht ein Kran mit einer tonnenschweren Ladung von Armierungseisen. Die Verhältnisse auf der Baustelle an der Tössfeldstrasse sind eng. Gleich nebenan erhebt sich die Backsteinfassade der ehemaligen Sulzer-Kesselschmiede mit den spektakulären Schulräumen des Departements Architektur, Gestaltung und Bauingenieurwesen. In der Baugrube für den Neubau liegt der typische Geruch von Zement in der Nase.

Prüfend lässt Bauleiter Thomas Böni im künftigen zweiten Untergeschoss seinen Blick über eine Holzkonstruktion schweifen. In diese Schalung soll der Beton für das Treppenhaus gegossen werden. «Aha, jetzt stimmts», stellt er fest. Nun tauscht er sich kurz mit dem Spezialisten aus, der die Schalungen erstellt.

Bautagebücher füllen sich

Am Vortag war da noch eine Lücke von vier Millimetern. «Beton hätte durchgedrückt, nach dem Abbinden wäre eine hässliche Braue stehengeblieben», erklärt der 31-Jährige. Sein Stirnrunzeln zeigt, dass so was bei ihm nicht durchgeht. Nun zückt er sein «Bautagebuch», ein Büchlein im Format A5, und hakt die Pendenz als erledigt ab. Alle wichtigen Details hält er darin fest. Viel gibt es zu koordinieren und zu kontrollieren: drei, vier solcher Tagebücher mit schwarzem Einband schreibt er schnell mal voll bei einer solchen Baustelle. Im Moment sind hier rund 30 Mann am Werk, später werden es 60 bis 70 sein. Alle arbeiten Hand in Hand: Armierungseisen, Schalung – schon folgen der Elektriker und der Sanitär. Die beiden bringen Aussparungen an Stellen an, bei denen sie Platz brauchen, um später Kabel, Schalter oder Rohre einzulegen. Dann wird betoniert.

Der Bauleiter ist ein Dirigent. Er sorgt dafür, dass die Baustelle nicht aus dem Takt gerät. Wo die Qualität nicht stimmt, greift er ein. Wenn Fragen auftauchen, entscheidet er – oder nimmt nötigenfalls Rücksprache mit dem Architekten oder dem Bauherrn, die er hier vertritt. Dabei stimmt er sich mit dem Polier der verantwortlichen Baufirma ab. Der teilt die Leute ein, bestellt das Material und weiss im Detail, wer wann was zu tun hat.

Ein Bauleiter, der die Leute anschreit, ist Thomas Böni nicht. «Rumbrüllen bringt doch nichts», findet er. Falls nötig kann er aber durchaus laut werden. Das war nach seinem Berufseinstieg der Fall. Ein 60-jähriger Handwerker foutierte sich darum, was ihm der 25-jährige  Bauleiter auftrug, «da musste ich deutlich und heftig werden». Ein anständiger Umgang untereinander ist ihm aber wichtig. Dazu gehöre auch, dass man den Namen voneinander weiss. «Kommunikation ist das A und O», sagt er. Es lohne sich, dabei zu sein, wenn sich zum Beispiel der Haustechnikplaner mit dem Sanitärinstallateur bespricht. Da wisse er, was abgemacht sei, worauf er achten müsse.

«Kommunikation ist das A und O. Rumbrüllen bringt doch nichts.»

Thomas Böni

«Haus Richard Coray»

Thomas Böni teilt sich die Bauleitung bei diesem Neubau mit Stefan Sutter, einem jüngeren Kollegen – ebenfalls ein Absolvent des Departements. Die Aufgabe zu zweit anzupacken, bewährt sich bei Baustellen dieser Grösse – die Stiftung Abendrot investiert rund 45 Millionen Franken in dieses Projekt, das mit seiner gemischten Nutzung der ZHAW ab Sommer 2019 als «Haus Richard Coray» Unterrichtsräume für Bauingenieure sowie ein Betonprüflabor bietet und der Genossenschaft «Zusammen_h_alt» 80 altersgerechte Wohnungen mit Gemeinschaftsräumen.

Teamwork ist Bönis Arbeitgeber, der Dürsteler Bauplaner GmbH, wichtig. Mit elf Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist das Unternehmen klein genug, um den Angestellten viel Selbstverantwortung und Gestaltungsspielraum zu übertragen. «Ich schätze es sehr, dass ich meine Zeit eigenständig einteilen kann», sagt Böni und schreitet weiter auf seinem Rundgang durch die Baustelle, sagt hier ein «Hoi Nasic», da ein «Sali Rocco» oder ein «Guten Morgen!». In hektischen Phasen sind die Arbeitstage oft lang und aufregend. Umso besser, wenn zwischen zwei grösseren Baustellen auch mal Zeit bleibt, um durchzuatmen. Zudem ist die Arbeit nicht das ganze Leben. So engagiert sich Thomas Böni mit seiner Freundin ehrenamtlich für das Winterthurer Tandemprojekt von Solinetz. Einheimische tauschen sich mit Flüchtlingen über Leben und Kultur aus, unternehmen gemeinsam etwas, lehren und lernen Deutsch.

Seit acht Jahren ist Thomas Böni bei Dürsteler Bauplaner angestellt. Den Chef kennt er vom Studium: Thomas Dürsteler ist ZHAW-Dozent für Baumanagement. Er hat mit namhaften Architekturbüros langjährige Partnerschaften etabliert. Das heisst, der Bauplaner wird jeweils früh hinzugezogen. So war es auch beim «Bau 141» mit Beat Rothen, der ein Architekturbüro führt, das für anspruchsvolle Nutzer wie den Taschenhersteller Freitag den preisgekrönten Gewerbebau Nœrd in Zürich-Oerlikon entwarf.

Schon beim Wettbewerb dabei

«Wir waren schon in der Wettbewerbsphase dabei, und deshalb kenne ich den Bau in allen Details», sagt Böni. Mit den Plänen der Architekten erarbeitete er das Leistungsverzeichnis für die einzelnen Unternehmen und Lieferanten, schrieb die Arbeiten aus und bewertete die Offerten – eine Fleissarbeit, die nicht allzu beliebt ist, wie Thomas Böni lachend bestätigt. «Ja, das ist der mühsame Teil meines Berufs», sagt er unumwunden. Das nimmt er aber in Kauf für die Möglichkeit,
bei Bauten mit Anspruch mitzuarbeiten. Viel häufiger seien in der Branche ja irgendwo in der Agglo schnell hochgezogene Projekte, deren einziger Zweck eine hohe Rendite für den Investor sei.

Spross einer Architektenfamilie

Auf Baustellen ist der Spross einer Architektenfamilie – der Grossvater war Architekt, der Vater ist es auch – in seinem Element. «Schon als ich zwölf war, half ich in den Ferien einem Spengler, der seine Werkstatt in unserer Strasse hatte.» Später lernte er Hochbauzeichner. Anschliessend entschloss er sich, an der ZHAW Architektur zu studieren, um einen umfassenderen Einblick in die Materie zu erhalten. Unter den Absolventen seines Jahrgangs ist er als Bauleiter der Exot, nur drei oder vier von 55 wählten diese Richtung. Entwerfen, zeichnen, eigene Projekte realisieren oder zumindest mit Wettbewerbsprojekten darauf hoffen, das reizt ihn weniger. «Vier oder fünf Tage pro Woche im Büro rumzusitzen, das wär mir ein Graus», so Böni. Er schätzt den Betrieb draussen, den Umgang mit Materialien, das Feu sacré erfahrener Handwerker – und das gebaute Resultat.

Es ist erstaunlich, was alles schiefgehen kann. Es vergehe keine Woche, ohne dass einer den Plan verkehrt herum halte. Thomas Böni zeigt zu einem schwarzen Ungetüm weiter hinten gegen die Bahnlinie – ein Schmutzwasserpumptank. Auf dem Plan waren sechs Anschlüsse eingezeichnet: drei hinten, drei vorn. In der Realität hatte er tatsächlich sechs Anschlüsse – doch alle vorn. Nervt es nicht, ständig den Fehlern anderer hinterherzurennen? Die Antwort ist ein ziemlich breites Grinsen. «Ach was!», entgegnet Böni, wo gearbeitet werde, passierten halt Fehler, «da darf man sich gar nicht erst aufregen.»

Autor dieses Beitrages: Thomas Müller

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