Fallbelastung in der Sozialhilfe und deren Auswirkung auf die Ablösequote
Wissenschaftliche Begleitung eines Pilotprojekts in der Langzeithilfe der Sozialen Dienste der Stadt Winterthur
Auf einen Blick
- Projektleiter/in : Dr. Mirjam Eser Davolio
- Projektteam : Milena Gehrig, Isabelle Steiner, Dr. Rahel Strohmeier Navarro Smith, Prof. Dr. Heinrich Zwicky
- Projektvolumen : CHF 86'238
- Projektstatus : abgeschlossen
- Drittmittelgeber : Öffentliche Hand (ohne Bund)
- Kontaktperson : Mirjam Eser Davolio
Beschreibung
Im Rahmen eines Quasiexperiments arbeiteten drei nach dem
Zufallsprinzip ausgewählte Sozialarbeitende 18 Monate lang mit
einer reduzierten Fallbelastung: bei einem
Vollzeitarbeitsverhältnis waren dies 75 anstatt rund 140 Fälle. Das
Experiment sollte den Einfluss der Fallbelastung der
Sozialarbeitenden auf die Ablöse- und Minderleistungsquote in der
Sozialhilfe der Stadt Winterthur untersuchen. Mit anderen Worten:
Gelingt der Schritt weg von der Sozialhilfe besser, wenn die
Sozialarbeitenden weniger Fälle bearbeiten?
Ausgangslage
Die Fallbelastung pro Sozialarbeiterin oder Sozialarbeiter in der
Langzeitsozialhilfe der Stadt Winterthur war in den letzten Jahren
von rund 90 auf über 140 Fälle gestiegen. Diese Zunahme war nicht
allein auf einen verstärkten Zulauf zur Sozialhilfe zurückzuführen,
sondern vor allem auf niedrigere Ablösungszahlen. Es stellte sich
also die Frage, ob die höhere Fallbelastung und die damit
verbundenen geringeren Beratungsressourcen und allenfalls auch
tiefere Beratungsqualität die Ablösequote von
Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern ungünstig
beeinflusste.
Ziel
Primäres Ziel der Studie war es, den Einfluss der Fallbelastung auf
die Ablöse- und Minderleistungsquote zu untersuchen. Daneben
sollten Erkenntnisse über den Einfluss der geringeren Fallbelastung
auf die Fallarbeit und die Berufszufriedenheit gewonnen werden. Es
wurde davon ausgegangen, dass eine Reduktion der Fallbelastung die
Beratungsfrequenz erhöht sowie gezieltere und längerfristigere
Interventionen durchgeführt werden können. Die Ablöse- und
Minderleistungsquote der Experimentalgruppe sollte mit denjenigen
der Kontrollgruppe – also allen restlichen Sozialarbeitenden der
Langzeithilfe – verglichen werden.
Methodik
Die wissenschaftliche Begleitung des Quasiexperiments basierte auf
folgenden methodischen Zugängen: Anhand von statistischen
Auswertungen wurden die Ablöse- und Minderleistungsquote der
Experimental- und der Kontrollgruppe miteinander verglichen. Mit
Hilfe einer Aktenanalyse wurde bei neu aufgenommenen Fällen die Art
und Häufigkeit von Interventionen und Kontaktaufnahmen untersucht.
Weiter wurden monatliche Gruppeninterviews und vierteljährliche
Einzelinterviews mit der Experimentalgruppe zu ihren Wahrnehmungen
und Einschätzungen der Fallarbeit durchgeführt. Daneben wurde in
jährlichen Online-Erhebungen die Berufszufriedenheit der
Sozialarbeitenden der Experimental- und der Kontrollgruppe
erhoben.
Ergebnisse
Bei einer Falllast von 75 Fällen pro Vollzeitstelle in der
Experimentalgruppe gegenüber rund 140 Fällen in der Kontrollgruppe
konnten folgende Ergebnisse festgestellt werden:
- Kosten pro Fall sinken: Die Kosten pro Fall und Jahr fallen in der Experimentalgruppe gegenüber der Kontrollgruppe um 1452 Franken geringer aus.
- Unterstützungsdauer sinkt: Der Median der Unterstützungsdauer reduziert sich bei der Experimentalgruppe auf 21 Monate (Kontrollgruppe: 27 Monate).
Die wichtigsten Einsparungen lagen beim erhöhten Erwerbseinkommen der Klientinnen und Klienten sowie bei vermehrt geltend gemachten Unterhaltsbeiträgen. In deutlich geringerem Ausmass stiegen auch die Aufwände, so für Arbeitsintegrationsmassnahmen. Das Monitoring ergab, dass die Sozialarbeitenden die zusätzlich zur Verfügung stehende Zeit direkt in die Klientenarbeit investierten: in die kooperative Zielsetzungs- und Lösungssuche, die Zusammenarbeit mit anderen involvierten Fachstellen, aber auch für Hausbesuche und für rasche Interventionen. Sie konnten sich auch mit Erfolg langjährigen Fällen neu annehmen und laufende Integrationsprozesse überprüfen.
Weiterführende Informationen
Publikationen
-
Eser Davolio, Mirjam; Strohmeier Navarro Smith, Rahel; Gehrig, Milena; Steiner, Isabelle,
2020.
Schweizerische Zeitschrift für Soziale Arbeit.
(25), S. 31-51.
Verfügbar unter: https://doi.org/10.5169/seals-855356
-
Eser Davolio, Miryam; Strohmeier Navarro Smith, Rahel; Gehrig, Milena,
2019.
SozialAktuell.
2019(4), S. 28-29.
Verfügbar unter: https://doi.org/10.21256/zhaw-5540
-
Gehrig, Milena; Zwicky, Heinrich,
2018.
Falllast in der Sozialhilfe : Investitionen in der Sozialberatung zahlen sich aus.
In:
KOS-Jahrestagung, Flawil, 3. Mai 2018.
-
Eser Davolio, Miryam; Strohmeier Navarro Smith, Rahel; Zwicky, Heinrich; Gehrig, Milena; Steiner, Isabelle,
2017.
Zürich:
ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.
Verfügbar unter: https://doi.org/10.21256/zhaw-5546
-
Eser Davolio, Mirjam; Strohmeier Navarro Smith, Rahel; Zwicky, Heinrich; Gehrig, Milena; Steiner, Isabelle,
2017.
Zürich:
ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.
Verfügbar unter: https://doi.org/10.21256/zhaw-21881
-
Eser Davolio, Miryam; Steiner, Isabelle; Strohmeier Navarro Smith, Rahel; Zwicky, Heinrich; Gehrig, Milena,
2017.
Reduktion der Falllast verbessert Ablösequote und senkt die Unterstützungsdauer.
ZESO - die Zeitschrift für Sozialhilfe.
2017(4), S. 26-27.
Verfügbar unter: https://doi.org/10.5169/seals-839789
-
2016.
A quasi-experiment to evaluate the effects of reduced caseload in Switzerland.
Social Work Review.
2016(3), S. 47-53.
Verfügbar unter: http://www.swreview.ro/index.pl/a_quasi-experiment_to_evaluate_the_effects_of_reduced_caseload_in_switzerland