Psychosoziale Belastungen und psychische Erkrankungen in der Wahrnehmung der Schweizer Arbeits- und Sozialversicherungsgerichte
Auf einen Blick
- Projektleiter/in : Dr. Sabine Steiger-Sackmann
- Stellv. Projektleiter/in : Dr. Philipp Egli
- Projektteam : Dr. Martina Filippo, Dr. Eva Slavik
- Projektvolumen : CHF 200'000
- Projektstatus : abgeschlossen
- Drittmittelgeber : Interne Förderung (ZHAW Forschungsschwerpunkt «Gesellschaftliche Integration»)
- Kontaktperson : Sabine Steiger-Sackmann
Beschreibung
Das Forschungsprojekt bewegt sich im Verantwortungsdreieck von
Arbeitgebenden, Sozialversicherungen und Arbeitnehmenden bzw.
Versicherten. Diese können gesund und arbeitsfähig sein; oder ihre
Leistungsfähigkeit ist irgendwo im Spektrum bis zu beeinträchtigt
und invalid einzuordnen.
Im modernen Sozialstaat werden diese Menschen nicht (mehr) sich
selber überlassen und letztlich ausgegrenzt. Vielmehr übernimmt die
Rechtsordnung eine integrierende Funktion, indem sie Arbeitgebenden
und Sozialversicherungen schützende Aufgaben zuteilt.
Arbeitgebende haben eine gesetzliche Fürsorgepflicht und müssen
Gesundheit und Persönlichkeit ihrer Mitarbeitenden (präventiv)
schützen. Unternehmen haben eine besondere Verantwortung gegenüber
erkrankten Mitarbeitenden: Ihre Entlassung kann als missbräuchlich
gelten und für eine gewisse Zeit müssen sie den Lohn
weiterbezahlen, bis Sozialversicherungen für den Erwerbsersatz
aufkommen oder Back to work-Massnahmen greifen. Allenfalls haften
Arbeitgebende gegenüber Arbeitnehmenden, aber auch gegenüber
Sozialversicherungen für Vernachlässigung ihrer
Fürsorgepflicht.
Die Pflichten von Arbeitgebenden und Sozialversicherungen sind aber
begrenzt durch die Schadenminderungspflicht der Betroffenen. Ob
Sozialversicherungen ihrerseits Leistungen erbringen müssen,
hängt von verschiedenen Kausalitätsbeurteilungen ab.
Ausschlussgründe können z.B. sozio-kulturelle Faktoren sein
(Migrationshintergrund, schwierige Familienverhältnisse), welche
praxisgemäss als nicht invalidisierend gelten und trotz
Gesundheitsproblemen nicht zu einer IV-Rente berechtigen.
Die Abgrenzung der Verantwortungsfelder erfolgt primär über
Gesetze, aber Rechtsanwender - letztlich Gerichte mit ihren
Urteilen – haben Beurteilungsspielräume. Je nachdem, wie diese die
Verantwortungsbereiche innerhalb ihres Ermessensspielraumes
ausweiten oder einengen, hat dies Einfluss auf die beiden anderen
Verantwortungsträger. Sind z.B. die Anforderungen an die Prävention
durch Arbeitgebende sehr gering, kommen mehr Leistungsfälle auf die
Sozialversicherungen zu; ist die Hürde für
Sozialversicherungs-Leistungen aber hoch, bleibt mehr an den
Betroffenen «hängen», oder die Wirtschaft ist vermehrt gefordert,
beeinträchtigte Menschen einzugliedern.
Auf diesem sozialpolitischen Hintergrund untersucht das Projektteam
Urteile darauf hin, wie sie im Einzelfall die Grenzlinien zwischen
diesen drei Verantwortungsbereichen ziehen. Die Hypothese ist, dass
der Verantwortungsbereich der Betroffenen tendenziell ausgeweitet
wird und Arbeitgebende und Sozialversicherungen sich tendenziell
zurückziehen (können), und zwar insbesondere bei den beweismässig
eher schwieriger zu fassenden psychischen Zuständen. Dadurch hoffen
wir, Richterinnen und Richtern Impulse zu geben, damit sie sich der
Tragweite ihrer Einzelfallentscheide vermehrt bewusstwerden und
einen Beitrag zur gesellschaftlichen Integration von psychisch
Belasteten leisten können.