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Experte für Prävention in digitalen Medien: «Man muss eine Vertrauensbasis schaffen»

Günther Bubenitschek von der Opferhilfeorganisation Weisser Ring schult Kinder und Jugendliche in Medienkompetenz. Von rigiden Verboten und Strafen hält er nichts.

In der Schweiz besitzt fast jeder Teenager ein Smartphone. (Bild: iStock)

Interview: Regula Freuler

Worum geht es bei digitaler Prävention für Jugendliche?
Günther Bubenitschek: Prävention in digitalen Medien kann zweierlei bedeuten: zum einen Schutz vor und Sensibilisierung für Gewalt im Netz wie Mobbing oder Hate Speech, zum anderen digital vermittelte Präventionsmassnahmen. Bei Ersterem geht es primär nicht um Verbote, sondern um den Erwerb von Kompetenzen. Kinder und Jugendliche sollen lernen, wie sie das Internet sinnvoll und sicher nutzen können. Das Zweite, die digitale Vermittlung, ist gerade in Corona-Zeiten noch einmal viel wichtiger geworden, um Jugendliche zu erreichen.

In der Schweiz besitzen 98 Prozent der Jugendlichen und 25 Prozent der Kinder ein Smartphone. Laut einer ZHAW-Studie haben ein Viertel von ihnen bereits Erfahrungen mit Cybermobbing gemacht hat. Wie medienkompetent sind sie, und wie gut wissen sie über die rechtliche Situation Bescheid?
Präzise strafrechtliche Tatbestände zu formulieren, fällt vielen schwer. Sie sagen dann eher, dass etwas «komisch» sei. Dazu kommt, dass für Jugendliche zwischen zehn und 18 Jahren sowieso ein spezielles Strafrecht gilt und Cybermobbing, was in der Schweiz im europäischen Vergleich besonders verbreitet ist, hierzulande keinen eigenständigen Straftatbestand darstellt. Aber, wie gesagt, bei der Prävention steht eher die Sicherheit im Vordergrund als die Straftat. Wenn es zum Beispiel um Datenschutz oder Persönlichkeitsrechte geht, sind viele ahnungslos.

«Heimlich die Kinder zu überwachen, ist kaum zielführend.»

Günter Bubenitschek, Landespräventionsbeauftragter des Vereins Weisser Ring und ZHAW-Dozent

Weshalb?
Wischen und Surfen können alle, das kann man sich einfach selbst beibringen. Bei komplexeren Themen benötigen die jungen Menschen fachliche Unterstützung. Zum Beispiel auch beim Verifizieren von Quellen. Zugespitzt gesagt: Nicht die Jugendlichen sind das Problem, sondern die Erwachsenen. Von ihnen bekommen sie diese sowohl nützlichen wie auch mächtigen Werkzeuge in die Hand gedrückt.

Leidet erworbene Sozialkompetenz online, quasi im Schutze der Anonymität?
Nicht zwingend, aber man muss die Kinder zusätzlich sensibilisieren. Oft fehlt den Eltern die Zeit dazu – und auch die Kompetenz. Viele können selbst nicht gut mit diesen Geräten umgehen. Die Folge davon sehen wir in Phänomenen wie der Internetsucht, die 2018 ins WHO-Klassifikationssystem für Krankheiten aufgenommen worden ist. Aber ich will hier das Internet nicht schlechtreden. Es geht schlichtweg darum, die Kinder zu begleiten.

In der Schweiz wird seit der Einführung des Lehrplans 21 ab der 5. beziehungsweise 6. Primarstufe das Fach «Medien und Informatik» unterrichtet, mit dem die Kinder medienkompetent werden sollen. Ist das früh genug?
Lange Zeit galt der Grundsatz: Bis dreijährig keine Medien, danach kann man mit Fernsehen anfangen, ab sechs Jahren mit Computerspielen, wenn das Kind es möchte. Mit neun Jahren dann eine begleitete Annäherung ans Internet, ab 12 Jahren unbegleiteter Zugang, und ab 14 Jahren kommt ein Smartphone in Betracht. Doch in der Realität sieht es anders aus. Erst recht seit der Pandemie.

In der 5. Klasse sind die Kinder zehn- beziehungsweise elfjährig. War das nicht schon vor der Pandemie zu spät für Medienunterricht?
Das lässt sich nicht kategorisch sagen. Einige Kinder sind bereits in der 4. Klasse auf Social Media unterwegs, andere haben noch überhaupt keine Erfahrungen. Ich habe natürlich nicht den Überblick über sämtliche Schulen, aber grundsätzlich wird sehr viel getan – derzeit auch aus der Not heraus. Seit Corona sind nun auch junge Schülerinnen und Schüler täglich im Internet unterwegs, um an ihre Aufgaben heranzukommen und mit ihrer Lehrperson in Kontakt zu treten. Eltern stehen oftmals selbst unter grossem Druck und haben keine Zeit, ihre Kinder nebenher noch in die Feinheiten des Internets einzuführen. Die Schule muss hier also noch grundlegende Schritte weiter gehen.

Als Erwachsene schafft man es kaum, mit den neusten Onlinetrends mitzuhalten. Wie kann man die Kinder trotzdem begleiten?
Man muss nicht jedes neue Spiel oder jede neue App kennen. Es geht vielmehr darum, im Alltag mit den Kindern eine Vertrauensbasis zu schaffen. Ausserdem können Erwachsene dabei ihre eigene Medienkompetenz erweitern. Kinder zeigen ihnen gerne, was sie können. 

Vertrauen klingt gut. Aber Jugendliche wollen sich abgrenzen, ihre Privatsphäre erweitern.
Das ist entwicklungspsychologisch auch richtig. Man muss darum Regeln mit ihnen aushandeln und die Konsequenzen aufzeigen, was passiert, wenn sie sich nicht daranhalten. Als Eltern muss man nicht der beste Freund des Kindes sein, sondern man hat einen Erziehungsauftrag und muss gewisse Diskussionen aushalten.

Was halten Sie von Kontrollmechanismen wie dem regelmässigen Checken des Browser-Verlaufs oder das Ausschalten des Modems?
Wenn Jugendliche selbständige Persönlichkeiten werden sollen, sehe ich solche Massnahmen kritisch. Wenn man das machen will, muss man es vorher absprechen. Heimlich die Kinder zu überwachen, ist kaum zielführend. Und: Je älter sie werden, desto problematischer ist es.

Inwiefern hat die Pandemie die Präventionsprogramme verändert?
Die Schulen stellten innert kürzester Zeit auf Online-Formate um, doch lange nicht alle Lehrpersonen sind fit auf diesem Gebiet. Darum haben wir beim Weissen Ring eine Online-Fortbildungsreihe lanciert. Grundsätzlich sind die Anfragen nach Präventionsveranstaltungen allerdings zurückgegangen. Die Schulen sind am Anschlag. Es wurden auch Internet-Formate entwickelt, um Jugendliche im Internet zu erreichen, zum Beispiel zivile-helden.de zur Schulung von Zivilcourage.

Sie geben seit Jahren, auch als Sie noch im Polizeidienst waren, Präventionskurse an Schulen. Was wollen Kinder wissen?
Alles. Darum lautet die erste Lektion: Nicht alles, was im Internet steht, ist wahr.

Veranstaltung

Der Weisse Ring ist die grösste Opferhilfe-Organisation weltweit und ist in vielen Ländern präsent, auch in der Schweiz. Der ehemalige Erste Kriminalhauptkommissar Günther Bubenitschek ist Landesbeauftragter beim Weissen Ring und gibt Workshops zur Prävention in digitalen Medien. Er ist einer der Gäste an der ZHAW-Veranstaltung «Digitale Prävention – Jugendliche erreichen, aber wie?» am 2. März 2021. Dabei werden unter anderem digitale Formate zur Gewaltprävention vorgestellt und diskutiert.