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Sozialpädagogische Familienbegleitung: keine Qualität ohne Wirkung

Das neue Kinder- und Jugendheimgesetz wird es dem Kanton Zürich erlauben, Massstäbe zur Qualität sozialpädagogischer Familienbegleitungen zu setzen. Die Krux daran ist: Ohne Bezug auf Wirkungen bleibt Qualität ein leerer Begriff.

von David Lätsch
Das neue Kinder- und Jugendheimgesetz (KJG) des Kantons Zürich wird voraussichtlich in weniger als eineinhalb Jahren in Kraft treten, die Ausarbeitung der entsprechenden Verordnung ist in vollem Gang. Für Organisationen, die sozialpädagogische Familienbegleitungen anbieten, bringt das neue Gesetz erhebliche Veränderungen mit sich. Sie unterstehen künftig der Aufsicht sowie der Melde- und Bewilligungspflicht durch die Bildungsdirektion. Der Kanton wird mitreden wollen, wenn es um Dinge wie die Anstellungsbedingungen, die Ausbildung des Personals oder weitere mutmassliche Indikatoren der Qualität von Familienbegleitungen geht. Nur: Lässt sich Qualität überhaupt beurteilen?

Qualität ohne Wirkung?

Vom neuen Gesetz verspricht sich der Kanton eine bessere Gesamtplanung der ergänzenden Hilfen zur Erziehung. Verpflichtet sind die kantonalen Planer in ihren Entscheidungen per Gesetz auf die Grundsätze der Wirksamkeit, Qualität und Wirtschaftlichkeit. Drei Begriffe also. Reichen nicht zwei? Geht es bei der Entwicklung von Qualität nicht darum, jene Voraussetzungen zu schaffen, unter denen beabsichtigte Wirkungen möglich werden? Ist Qualität insofern nicht genauer ein Mittel zum Zweck der Wirksamkeit?

Im Diskurs um wirksame Praxis in sozialpädagogischen Handlungsfeldern gibt es die Stimmen, die das verneinen und die Qualität einer Hilfe von ihrer Wirkung trennen. Dahinter steht ein Prinzip, für das die Alltagssprache einen bündigen Ausdruck gefunden hat: «Operation gelungen, Patient verstorben». Das klingt zynisch, ist so abwegig aber nicht. Denn es kommt vor, dass eine Ärztin in einer vorbildlich organisierten Klinik nach allen Regeln ihrer Kunst operiert und doch das Leben der Patientin nicht erhalten kann. Genauso mag es vorkommen, dass eine Sozialpädagogin in einer denkbar professionell aufgestellten Organisation nach allen Regeln ihrer Kunst handelt und doch nicht dazu beitragen kann, dass sich das Leben einer Familie zum Besseren wendet. Wirkung und Qualität sind zweierlei.

Fehlendes Wissen

Nur: Diese Unterscheidung lässt sich nicht vom Einzelfall lösen und verallgemeinern. Kann eine Form von Hilfe, die in der Regel nicht die beabsichtigte Wirkung hat, qualitativ überzeugen? Das zu bejahen, wäre tatsächlich zynisch, mindestens arg kleinmütig mit Blick auf das Potenzial der helfenden Zuwendung. Der Gedankengang zeigt vielmehr, dass Qualität in sozialpädagogischen Hilfen zwar nicht im Einzelfall, aber doch im Allgemeinen eng auf Wirkungen bezogen sein muss.

Dass das neue Kinder- und Jugendheimgesetz zwischen Wirksamkeit und Qualität unterscheidet, hat seinen Grund nicht darin, dass Wirksamkeit und Qualität gleichwertige Prinzipien sind. Es hat nur damit zu tun, dass wir über die Wirksamkeit sozialpädagogischer Hilfen kaum etwas wissen. Deshalb verschiebt sich die Diskussion hin zur Qualität und ihren mutmasslichen Indikatoren. Der Gesetzgeber muss so tun, als sei Qualität ein Grundsatz sui generis.

Über die Wirksamkeit sozialpädagogischer Hilfen wissen wir so wenig, weil es aufwendig ist, diese Wirksamkeit systematisch zu untersuchen. In einer mehrjährigen Studie unternimmt das Institut für Kindheit, Jugend und Familie aktuell den Versuch dazu. Warum?

Probleme lösen

In den Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts freuten sich Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten über den Befund, dass sie erfolgreich waren. Den meisten ihrer Patientinnen und Patienten ging es nach der Therapie besser als vorher. Wissenschaftliche Studien bestätigten, was Praktikerinnen und Praktiker schon lange wussten. Doch dann kam jemand auf die Idee, nachzuprüfen, wie sich andere Menschen mit denselben Störungen ohne Psychotherapie in der gleichen Zeitspanne entwickelten. Siehe da: Auch denen ging es nachher besser als vorher! Diese Entdeckung führte zur Entwicklung einer ernstzunehmenden Therapieforschung. Ihr Grundsatz ist, dass unterschiedliche Behandlungsansätze (darunter den Ansatz der Nicht-Behandlung) in ihrer Wirksamkeit miteinander verglichen werden.

In der Forschung zu sozialpädagogischen Handlungsfeldern, zumal in den deutschsprachigen Ländern, hat diese schlichte Idee bisher kaum Anklang gefunden. Hier wimmelt es von kritischen Aufsätzen, die die vergleichende Wirkungsforschung für praktisch undurchführbar erklären, sie ethisch problematisieren oder ihr ideologisch die Daseinsberechtigung absprechen. Nur zaghaft entwickeln sich empirische Studien, die darauf angelegt sind, die Probleme der Wirkungsforschung nicht nur gedankenvoll zu reflektieren, sondern zu lösen.

Den Zufall nutzen

Das Design der ZHAW-Studie beruht auf der Idee, sich eine unvermeidbare Zufälligkeit zunutze zu machen. Wenn Eltern in der Schweiz in ihrer Erziehungsfähigkeit stark überfordert sind (oder Fachpersonen den Eindruck haben, sie seien es), dann hängt die Antwort auf die Frage, ob die Familie künftig sozialpädagogisch unterstützt wird – und wenn ja, in welcher Form –, von zahlreichen Faktoren ab, die in ihrem Zusammenspiel etwas Zufälliges haben. Beispielsweise spielt eine Rolle, welches sozialpädagogische, pädagogische oder familientherapeutische Angebot in der Region überhaupt verfügbar ist, wie gut etabliert die Beziehung der zuweisenden Stelle (z. B. der KESB) zu den entsprechenden Anbietern ist oder ob sich eine geeignete Finanzierung findet. Faktisch ist es deshalb so, dass Familien mit ähnlichem Unterstützungsbedarf unähnliche Leistungen in Anspruch nehmen.

Was die neue Studie bringen soll

Durch die Zusammenarbeit mit zahlreichen Anbietern von sozialpädagogischen Familienbegleitungen und verwandten Hilfeformen (z. B. Erziehungsberatung, Familientherapie) versuchen wir herauszufinden, ob sich zwischen den Hilfeformen kurz-, mittel- und langfristig unterschiedliche Verläufe ergeben – in Fällen, die von ihren Ausgangslagen her ähnlich gelagert sind. Dabei werden auch Familien in die Studie aufgenommen, die überhaupt keine Form professioneller Unterstützung erfahren, obwohl diese indiziert sein könnte.

Die Studie wird durch den Schweizerischen Nationalfonds gefördert. Erste Ergebnisse erwarten wir für Ende 2020, also kurz vor dem Zeitpunkt, an welchem das neue Kinder- und Jugendheimgesetz des Kantons Zürich in Kraft treten wird. Zu hoffen ist, dass die Studie dann dazu beitragen wird, den luftigen «Grundsatz» der Qualität durch empirische Befunde zu erden.