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Jung und extrem

Politisch extreme Positionen waren für Jugendliche schon immer attraktiv. Im Umgang mit Extremismus kommt der Sozialen Arbeit eine Schlüsselposition zu.

Jugendliche testen gerne ihre eigenen Grenzen – sei es beispielsweise bei riskanten sportlichen Aktivitäten oder beim Alkohol- und Drogenkonsum. Jugendliche testen aber auch gerne die Grenzen, die durch gesellschaftliche Normen gesetzt werden. Die Rebellion gegen die Erwachsenenwelt findet in der Affinität zu politisch extremen Positionen eine Ausdrucksform unter vielen. Die Geschichte zeigt unter anderem anhand der 68er-Bewegung, dass extreme Überzeugungen bei jungen Menschen schnell Anklang finden, ihr Handeln kann dann eine Veränderung der Gesellschaft herbeiführen. So dürften die Jugendproteste in den 80er-Jahre in mehreren Schweizer Städten mit dem Ruf nach mehr (autonomen) Freiräumen für die Jugend sowie die Wohnungsnot-Bewegung in den 90er-Jahren durch eine ausgeprägte linke Orientierung bei vielen jungen Menschen zu erklären sein. Auch daraufhin hat sich die Gesellschaft der Schweiz verändert.
Extremismus im Jugendalter wird allerdings nur selten mit etwas Positivem in Zusammenhang gebracht. Er löst im Gegenteil regelmässig Sorgen aus, wird als Gefahr eingestuft: als Gefahr für die Entwicklung der Jugendlichen selbst, aber auch für Dritte. Derzeit wird eine solche Gefahr insbesondere mit Blick auf den islamischen Extremismus wahrgenommen. Terroristische Anschläge in Europa wie am 13. November 2015 in Paris und am 22. März 2016 in Brüssel haben zu weltweiter Empörung geführt sowie zur Besorgnis und Verängstigung beigetragen. In der Schweiz hat es solche Anschläge bislang nicht gegeben. So genannte Jihadreisende, die sich aus der Schweiz aufmachen, um im syrischen Bürgerkrieg auf der Seite des IS mitzukämpfen, sowie sich radikalisierende muslimische Jugendliche in Schweizer Städten sind jedoch Thema in den Medien, aber auch für die Soziale Arbeit.
Als «extrem» gelten jene Positionen, die die Demokratie ablehnen und sie – auch unter Anwendung von Gewalt – überwinden möchten. Der Rechtsextremismus negiert dabei das Prinzip der Gleichheit aller Menschen: Fremdenfeindlichkeit und Nationalismus bilden seine wesentlichen Kernelemente. Der Linksextremismus ist demgegenüber antikapitalistisch, antifaschistisch und antimilitaristisch ausgerichtet und zielt ebenfalls auf die Überwindung des Staates und dessen Ersetzung durch die Anarchie ab. Ziel des islamischen Extremismus ist die Errichtung eines islamischen Gottesstaats, in dem die Grundrechte keine Geltung mehr besitzen.

Aktuell relevante Extremismen
Verlässliche Zahlen zur Verbreitung von Extremismus im Jugendalter gibt es nicht. Hierfür wären repräsentative Befragungsstudien notwendig. Denn wie bei negativen Phänomenen allgemein gilt auch beim Extremismus: Nur ein kleiner Teil der Taten wird polizeilich registriert und damit erfasst. Laut dem Bericht «Sicherheit Schweiz 2015» ist im Bereich des Linksextremismus in der Schweiz eine hohe Aktivität zu verzeichnen. 2014 wurden 218 Fälle von gewaltsamen Ereignissen registriert, dies bei seit 2010 leicht rückläufiger Tendenz. Beim Rechtsextremismus lag die Fallzahl 2014 bei 19: Im Vergleich zu 2010 hat sie sich mehr als halbiert. Inwieweit Jugendliche in diese Taten involviert waren, geht aus dem Bericht nicht hervor. Studien aus Deutschland belegen aber, dass gerade im Bereich des rechts- wie linksextremen Verhaltens eine hohe Beteiligung von Jugendlichen festzustellen ist. Zum Jihadismus beziehungsweise islamischen Extremismus sind Anfang 2016 bereits 72 Fälle von jihadistisch motivierten Reisenden in Konfliktgebiete bekannt, Zahlen zu islamisch extremistischen Taten liegen jedoch nicht vor. Eine Studie des Departements Soziale Arbeit der ZHAW zeigt, dass die meisten Jihadreisenden zwischen 24 und 35 Jahre alt sind, so dass man eher von einem Erwachsenen- als von einem Jugendphänomen sprechen muss.

Ursachen der Zuwendung zum Extremismus
Für viele Jugendliche dürfte die Ideologie von eher untergeordneter Relevanz dafür sein, sich einem Extremismus zuzuwenden. Sicher gibt es Jugendliche, die bewusst aufgrund ideologischer Überzeugungen den Anschluss daran suchen. Meist dürften es aber individuelle und soziale Bedingungsfaktoren sein, die Jugendliche anfällig dafür machen. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass es Extremismus übergreifende Bedingungsfaktoren gibt, wie Ergebnisse einer Studie unter Beteiligung des Departements Soziale Arbeit der ZHAW zeigen. So stellen Extremismen beispielsweise ein attraktives Identitätsangebot dar. Gerade Jugendliche, die sich in ihrer Identität unsicher sind, erhalten dadurch ein festes Weltbild und eine feste Identität. Im Prozess der Zuwendung zum Extremismus kommt den sozialen Medien eine immer wichtigere Rolle zu: Jugendliche greifen bei ihrer Suche nach Identitätsangeboten und Zugehörigkeiten auf das Internet zurück. Vertreter verschiedener Extremismen stellen entsprechend für Jugendliche attraktive Angebote ins Netz.
Daneben konnten in Studien weitere Faktoren identifiziert werden: Wenn sich Jugendliche von zentralen gesellschaftlichen Institutionen wie der Schule, der Polizei oder der Justiz ungerecht behandelt fühlen oder wenn sie generell risikoaffin sind, ist die Zuwendung zum Extremismus wahrscheinlicher. Die Extremismen ermöglichen einerseits eine Abwendung von «ungerechten» Institutionen, andererseits versprechen sie Abenteuer und Action.
Eine bislang wenig untersuchte Frage ist, wie es vor dem Hintergrund ähnlicher Bedingungsfaktoren dazu kommt, dass sich manche Jugendliche eher nach rechts, andere nach links orientieren und dritte wiederum den islamischen Extremismus attraktiv finden. Eine mögliche Antwort könnte im Umfeld der Jugendlichen zu suchen sein: Das Umfeld in Form der Familie, der Freundesgruppe oder der Vereins- und Freizeitmöglichkeiten in der Nachbarschaft gibt bestimmte Alternativen vor. Jugendliche schliessen sich möglicherweise deshalb dem Rechtsextremismus an, weil es vor Ort eine entsprechende Gruppierung gibt. Solche Umfeldfaktoren müssen jedoch immer auch mit den jeweils individuellen Problemdeutungen und Weltanschauungen, Identitäts- und Zugehörigkeitsfragen, diskriminierenden Erfahrungen oder Opfererfahrungen zusammenspielen.

Was kann die Soziale Arbeit leisten?
Die Soziale Arbeit verfügt über ein ausgeprägtes Wissen und vielfältige Zugänge zur Arbeit mit radikalisierten Jugendlichen. Sie kann sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher Ebene Prävention und Interventionen initiieren und gemeinsam mit weiteren Akteuren umsetzen. Ihr kommt damit eine Hauptaufgabe bei der Arbeit mit extremismusaffinen Jugendlichen zu. Dabei verfolgt sie stets eine mehrperspektivische Sicht auf die Extremismusproblematik, die nicht das Individuum in einer defizitorientierten oder gar pathologisierenden Sicht ins Zentrum stellt, sondern vielmehr die sozialen, gesellschaftlichen und politischen Zusammenhänge in Betracht zieht, um der Komplexität des Zusammenwirkens unterschiedlicher Einflüsse gerecht zu werden.
Die Soziale Arbeit berät und unterstützt alle jugendrelevanten Akteure wie Schule, Schulsozialarbeit, Jugendarbeit, Gemeinwesenarbeit und Vereine bei der Früherkennung von Radikalisierungen sowie beim Umgang mit betroffenen Jugendlichen. Die ZHAW bietet diesbezüglich auch Weiterbildungen an. Bei Jugendlichen, die extremistischen Gruppierungen angehören oder eine extremistische Identität aufgebaut haben, ist eine intensive Ausstiegs- bzw. Deradikalisierungsarbeit nötig – hierfür stellt die Soziale Arbeit Wissen, Zugänge sowie konkrete Interventionsansätze zur Verfügung. Notwendig ist in solch einer Situation eine intensive Arbeit mit den Jugendlichen selbst sowie mit ihrem Umfeld (Eltern, Lehrkräfte, Freunde und gegebenenfalls Polizei).
Hinsichtlich der Prävention von Radikalisierung sei gesagt, dass generell die durch Soziale Arbeit geleistete Jugendarbeit im Sinne der Gemeinwesenarbeit, der organisierten Freizeitgestaltung und der aufsuchenden Jugendarbeit einen wichtigen Beitrag leistet. Dort, wo es der Sozialen Arbeit gelingt, die Jugendlichen zu erreichen, ihre Probleme und Sorgen zu erfassen und ernst zu nehmen und ihnen bei der Identitätssuche unterstützend zur Seite zu stehen, wird neben anderen positiven Entwicklungen auch der Radikalisierung vorgebeugt.
Die Soziale Arbeit leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Prävention von und Intervention bei Extremismus. Sicherlich besteht jedoch noch Entwicklungsbedarf. Die Jugend ist eine dynamische Lebensphase, die auch Anpassungen auf Seiten der Sozialen Arbeit notwendig macht. Derzeit gelingt es zum Beispiel noch nicht, schweizweit Angebote für muslimische Jugendliche zur Verfügung zu stellen. Neben der geografischen Breite stellt die Radikalisierung über das Internet eine weitere bedeutsame Herausforderung dar, für die die Soziale Arbeit kreative und effektive Lösungen wird finden müssen.

Literaturverweise

  • Baier, D. u.a. (2016). Einflussfaktoren des politischen Extremismus im Jugendalter. Rechtsextremismus, Linksextremismus und islamischer Extremismus im Vergleich.
  • Eser Davolio, M. u.a. (2015). Hintergründe jihadistischer Radikalisierung in der Schweiz. Eine explorative Studie mit Empfehlungen für Prävention und Intervention. ZHAW.