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Wer im «Gemeindelotto» verliert

Durch eine Gesetzesänderung erhalten vorläufig aufgenommene Personen im Kanton Zürich neu Asylfürsorge statt Sozialhilfe. Wie tief diese ausfallen darf, interpretiert jede Gemeinde anders.

Wenn Unterstützungsleistungen zur Glückssache werden

«Warum werde ich bestraft?» Diese Frage stellen sich seit dem 1. Juli 2018 viele vorläufig aufgenommene Personen im Kanton Zürich. Sie kommen aus Ländern wie Syrien, Irak oder Eritrea und sind vor Krieg, Armut oder staatlicher Verfolgung in die Schweiz geflohen. Hier gelten sie als vorläufig aufgenommene Ausländerinnen und Ausländer. Eine Bezeichnung, die irreführend ist, denn über 90 % von ihnen bleiben ihr Leben lang in der Schweiz. Durch eine Gesetzesänderung im Kanton Zürich erhalten sie neu keine Sozialhilfe mehr, sondern Asylfürsorge.

Empfehlungen statt Verbindlichkeit

Dies bedeutet konkret: Der Grundbedarf für den Lebensunterhalt wird gesenkt und viele Betroffene müssen ihre Wohnung aufgeben und in eine Kollektivunterkunft ziehen. Zudem besteht die Gefahr, dass Integrationsmassnahmen nicht mehr finanziert werden. Das Geld reicht nicht mehr für grundlegende Dinge wie ein Busticket für die Lokalzone, Medikamente oder Spielgruppenplätze. Wie das neue Gesetz konkret umgesetzt wird, kann jede Gemeinde selbst entscheiden. Das heisst, je nachdem, in welcher Gemeinde jemand wohnt, fallen die gezahlten Gelder unterschiedlich tief aus. Eine Einzelperson ab 25 Jahren erhält in Dielsdorf beispielsweise CHF 300 im Monat für Mietkosten. Die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe SKOS empfiehlt in ihren Richtlinien einen Betrag von CHF 1200. Zürich ist eine der Gemeinden, die sich an den SKOS-Richtlinien orientieren und sich dafür aussprachen, die Mietkostenbeiträge nicht zu senken. Doch auch hier – im besten Fall also – erfahren die Betroffenen eine Kürzung um ein Drittel ihrer bisherigen Unterstützungsleistungen. «Gemeindelotto» nennt Moritz Wyder, Geschäftsleiter des Vereins map-F, diesen Zustand, der in seiner Brisanz noch dadurch verstärkt wird, dass vorläufig aufgenommene Personen, die auf Asylfürsorge angewiesen sind, die Gemeinde neu nicht mehr wechseln dürfen. Selbst wenn sie woanders eine bezahlbare Wohnung finden, was schwierig genug ist.

map-F – ein Verein setzt sich ein

Als das Stimmvolk im Kanton Zürich im September 2017 entschied, dass vorläufig Aufgenommenen die Leistungen gekürzt werden sollen, haben sich Vertreterinnen und Vertreter des «Nein-Komitees» zusammengetan und map-F gegründet. Der Verein macht sich für vorläufig aufgenommene Personen stark und dient ihnen und von der Gesetzesänderung betroffenen Organisationen und Behörden als Anlaufstelle. Eines seiner wichtigsten Anliegen: Es sollen angemessene Mindeststandards festgelegt werden, die für alle Zürcher Gemeinden verbindlich sind. Durch Öffentlichkeitsarbeit und Einflussnahme auf den gesellschaftspolitischen Diskurs sollen zudem die Situation für die Betroffenen langfristig verbessert und deren Integration gefördert werden.
Moritz Wyder hat einen Bachelorabschluss in Sozialer Arbeit von der ZHAW und ist seit April 2018 Geschäftsleiter von map-F. Dass die Gesetzesänderung eine Verschlechterung für die betroffenen Menschen bringen würde, sei klar gewesen, sagt er: «Der Verein sucht deshalb nach Möglichkeiten, die Lebensumstände der Betroffenen zu verbessern.» Solange keine gesetzliche Veränderung bewirkt werden könne, seien die Mitarbeitenden von map-F im Direktkontakt mit den Betroffenen meist in der Rolle der Informationsvermittler. Dies liege nicht zuletzt daran, dass die Gemeinden oft nicht klar und vollständig über die Gesetzesänderung und ihre Auswirkungen informieren würden. Die Mitarbeitenden von map-F erklären dann den Sachverhalt und dass es sich nicht um eine Bestrafung handle – auch wenn es sich so anfühlen möge. Durch den Kontakt mit map-F haben die Menschen zumindest die Möglichkeit, über ihre Situation zu sprechen und sich Gehör zu verschaffen. Und in manchen Fällen habe ein Rekurs durchaus Chancen und es könne eine Verbesserung erzielt werden, so Moritz Wyder. Doch der Verein sei bestrebt, mehr zu tun. Es sei den Mitarbeitenden von map-F darum wichtig, Einfluss auf den öffentlichen Diskurs zu nehmen. «Das Thema im Gespräch zu halten und langfristige Lösungen für ein Problem zu finden, das kurzfristig nicht gelöst werden kann», fasst Moritz Wyder die Ziele des Vereins zusammen.

Mundpropaganda und ein Netzwerk

map-F sucht den Kontakt zu Betroffenen und Organisationen. Kein einfaches Unterfangen, obschon das Angebot niederschwellig ausgelegt ist. Die Mundpropaganda funktioniert gut und die Freiwilligenorganisationen Solinetz Zürich und Freiplatzaktion, die sich ebenfalls für geflüchtete Menschen einsetzen und im zehnköpfigen Vorstand von map-F vertreten sind, dienen als Multiplikatoren. Dennoch macht sich Antje Cubela, Vorstandsmitglied von map-F und ebenfalls Absolventin des Bachelorstudiums in Sozialer Arbeit an der ZHAW, keine Illusionen: «Wir versuchen, unser Angebot niederschwellig zu halten, dennoch ist die Hürde für viele zu hoch, so ist eine Reise nach Zürich mit Kosten verbunden, die nach den Kürzungen nicht mehr zu stemmen sind.» Und auch der Austausch mit den verschiedenen Gemeinden sei nicht immer einfach. So würden einige Gemeinden kein Interesse an einer Offenlegung ihrer Praxis zeigen und sich darauf berufen, dass sie dies nicht zwingend müssen. Andere Gemeinden seien hingegen froh um Informationen und Richtlinien.

Eine Rechnung, die nicht aufgeht

Zwei Drittel des Stimmvolkes wollten eine Kürzung. «Wir müssen deren Argumente aufnehmen und versuchen, auf sie einzugehen», weiss Antje Cubela. Das Hauptargument der Kürzungsbefürworter seien die Kosten, die vorläufig Aufgenommene generieren würden. Diese müssen gesenkt werden. Antje Cubela gibt zu bedenken: «Die Kürzung der Unterstützungsgelder beraubt diese Menschen der Möglichkeit, sich zu integrieren – und das kostet mittel- und langfristig erst recht.». So haben Untersuchungen des Bundes gezeigt, dass jeder Franken, der in die Integration investiert würde, später bis zu 4 Franken einspare. Moritz Wyder fügt hinzu, dass das Finanzierungssystem problematisch sei und überdacht gehöre: «Eine engagierte Gemeinde muss mehr bezahlen», dies sei nicht zwingend. Welchen Einfluss die Integrationsagenda 2019 auf die Situation haben wird, bleibt abzuwarten. Gewiss ist, dass der Verein map-F sich auch künftig stark machen wird für die Verbesserung der Lebensbedingungen von vorläufig aufgenommenen Menschen.