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Ergänzungsleistungen: Auswirkungen der Reform auf die Sozialberatung

Die im März vom Parlament verabschiedete Reform soll 2021 in Kraft treten. Wo gibt es Anpassungen und was bedeutet die Neuregelung für die Soziale Arbeit?

von Uwe Koch 
Die Renten der AHV und IV haben den verfassungsmässigen Auftrag, die Existenz der Rentenberechtigten angemessen zu decken. Seit deren Einführung in den Jahren 1948 respektive 1960 konnte dieses Versprechen trotz diverser Revisionen und Ausbau des 3-Säulen-Prinzips nicht eingelöst werden. 1966 wurden die Ergänzungsleistungen zur AHV/IV (EL) eingeführt. Sie sind als Bedarfsleistungen ausgestaltet. Ähnlich wie bei der Sozialhilfe werden genau bezeichnete Ausgaben den Einnahmen gegenübergestellt. Bei einem Ausgabenüberschuss wird die Differenz in Form von EL ausgerichtet. In bis anhin drei grösseren Revisionen wurden die EL immer weiter ausgebaut: Sie haben die Funktion einer Pflegeversicherung übernommen sowie Leistungsreduktionen bei der AHV und der IV aufgefangen. Dies führte zu massiven Kostensteigerungen, die vor allem die Budgets von Bund, Kantonen und Gemeinden belasteten. Ein weiterer Kostentreiber sind die Babyboomer, welche zu einem Zuwachs der Altersrentenberechtigten führen.

Eine Reform mit Schwächen

Seit 2014 beschäftigen sich Bundesrat und Parlament mit der Reform der EL. Sie soll drei Ziele verfolgen: Erhalt des Leistungsniveaus, stärkere Verwendung der Eigenmittel und Verringerung der Schwelleneffekte. Nach langen und kontroversen Diskussionen hat das Parlament am 22. März 2019 die Reform verabschiedet, die voraussichtlich 2021 in Kraft treten wird. Übergangsbestimmungen sehen Folgendes vor: Führt die EL-Reform bei Betroffenen zu Kürzungen, werden diese frühestens 3 Jahre nach Einführung erfolgen. Führt die Reform zu einer Erhöhung der EL, erfolgt diese sofort. Dem Ständerat ist es gelungen, den Nationalrat mit seinen Sparmassnahmen in die Schranken zu weisen, dennoch kann das Resultat nicht nur überzeugen, wie die nachfolgenden Ausführungen zeigen. Es werden in der Folge nur ausgewählte Reformpunkte kurz skizziert und deren Auswirkungen auf die Sozialberatung aufgezeigt. Eine ausführliche Übersicht über alle Reformpunkte findet sich auf der Website des Bundesamts für Sozialversicherungen.

Erhöhung der Mietzinsmaxima

Die für die EL anrechenbaren Mietzinsmaxima werden endlich angehoben. Mit den bisherigen Mietzinsen von maximal CHF 1’100 für Einzelpersonen und CHF 1’250 für Ehepaare deckten die Mietzinsmaxima 2017 die Mieten von lediglich 68% der Alleinstehenden und 63% der Ehepaare ab. Insbesondere in den Städten waren die Ansätze deutlich zu tief: Rentenberechtigten stand dadurch weniger Geld für ihre alltäglichen Ausgaben zur Verfügung. Die Mietzinsmaxima werden bedarfsgerechter ausgestaltet, indem neu regionale Unterschiede sowie bei Mehrpersonenhaushalten höhere Mieten berücksichtigt werden können. Je nach Region und Haushaltsgrösse beträgt die Erhöhung zwischen 10% und 60%.

Mehr Geld für Miete – aber nicht für alle

In der Sozialberatung ist auf eine wichtige Neuerung hinzuweisen. Die Erhöhung der Mietzinsmaxima führt in vielen Fällen zu einer geringeren Ausgabenlast. Dies gilt aber nicht zwingend für Personen, die in einer Wohngemeinschaft oder im Konkubinat leben. Sie erhalten derzeit maximal den Betrag für eine Einzelperson als Mietzins, neu wird die Miete anhand der Anzahl Personen im Haushalt berechnet. Heute wird einer im Konkubinat lebenden AHV-Rentnerin ein Mietzinsmaximum von CHF 1’100 angerechnet, wenn ihre Wohnung CHF 2’200 kostet. Ab 2021 werden nur noch CHF 810 (1/2 von 1’370 + 250) als Mietzinsausgabe berücksichtigt. Diese Regelung entspricht der Handhabung bei der Berechnung der wirtschaftlichen Sozialhilfe. Insbesondere für Erwachsene mit einer Behinderung, die bei ihren Eltern oder in einer Wohngemeinschaft leben, kann sich die finanzielle Situation somit deutlich verschlechtern.

Stärkere Berücksichtigung des Vermögens

Neben den Renteneinnahmen wird bei der Berechnung der EL auch der Anteil des Vermögens berücksichtigt, der über dem Freibetrag liegt. Dieser Freibetrag wird bei Alleinstehenden von CHF 37‘500 auf CHF 30’000 und bei Ehepaaren von CHF 60‘000 auf CHF 50’000 reduziert. Während diese Reduktion in der Logik des EL-Systems bleibt, sind von der Sozialhilfe zwei Regelungen übernommen worden, die schlecht zu einer Sozialversicherung passen. Die eine Anpassung betrifft die Einführung einer Vermögensschwelle für den Bezug von Ergänzungsleistungen. Auch wenn die Eintrittsschwelle mit CHF 100’000 für Alleinstehende und CHF 200’000 für Ehepaare eher hoch angesetzt ist, widerspricht sie klar dem Ziel der Reform, die Schwelleneffekte zu verringern. Absolut systemwidrig ist die Verpflichtung zur Rückerstattung der rechtmässig bezogenen EL. Übersteigt das Erbe einer verstorbenen EL-berechtigten Person CHF 40’000, ist der EL-Bezug rückerstattungspflichtig. Bei Ehepaaren erfolgt die Rückerstattung beim Zweitverstorbenen. Auch wenn diese Rückerstattung nur die Erben einer EL-berechtigten Person betrifft, lässt sich dies nicht mit dem eigentlich unantastbaren Grundsatz der Sozialversicherungen vereinbaren, dass nur unrechtmässig bezogene Leistungen zurückzuerstatten sind.

Anrechnen, was nicht mehr vorhanden ist

Ein noch weitergehender Tabubruch ist die Neuregelung bei einer Vermögensverminderung. Heute wird nur sanktioniert, wer Vermögenswerte verschenkt oder einen Erbvorbezug tätigt. Das Bundesgericht hat in steter Rechtsprechung die Durchführungsstellen wiederholt ermahnt, dass diese keine Lebensführungskontrollen vornehmen dürfen. Konnte belegt werden, dass Vermögen für eigene Bedürfnisse verwendet wurde, so musste dies von der Verwaltung akzeptiert werden. Mit dem Argument, dass Transparenz und Rechtssicherheit gewährleistet werden sollen, hat der Bundesrat den Begriff Vermögensverzicht gesetzlich definiert. Neu ist hierbei, dass der Bundesgesetzgeber jährliche Ausgabengrenzen festgelegt hat. Gibt eine Person mit über CHF 100’000 Vermögen jährlich mehr als 10% ihres Vermögens aus, wird ihr dies als Vermögen weiterhin angerechnet. Bei Personen mit einem Vermögen von unter CHF 100’000 Franken gelten Beträge ab CHF 10’000 pro Jahr als Vermögensverzicht.

Verzicht auf Anrechnung bei «wichtigen Gründen»

Auf die Anrechnung der Ausgaben, die über dem Schwellenwert liegen, kann verzichtet werden, wenn sie aus wichtigen Gründen erfolgen. Es bleibt zu hoffen, dass der Bundesrat diese wichtigen Gründe nicht zu eng definiert. So oder so wird das Privatleben von EL-Gesuchstellenden in Zukunft noch stärker ausgeleuchtet. Erschwerend kommt hinzu, dass nicht nur die letzten Jahre kontrolliert werden, sondern die 10 Jahre vor Beginn des Rentenanspruchs. Dient es tatsächlich der Rechtssicherheit, wenn man sich ab 55 Jahren überlegen muss, ob eine teure Zahnbehandlung oder der Kauf eines Autos später die Existenzsicherung gefährden kann? Zudem ist damit zu rechnen, dass die vermehrte Anrechnung von Vermögensverzichten insbesondere im Heimbereich zu einer Mehrbelastung der Sozialhilfe führen wird.

Reduzierte Leistungen für Familien mit Kindern

Für Kinder unter 11 Jahren wird der anrechenbare Betrag für die Existenzsicherung von CHF 840 auf CHF 590 gesenkt. Bei jedem weiteren Kind wird der Betrag um ein Sechstel gekürzt. Diese Reduktion des Existenzbedarfs wird teilweise durch die höheren angerechneten Mietzinse und die Berücksichtigung der Kinderbetreuungskosten aufgefangen.

Ältere Ausgesteuerte bei der beruflichen Vorsorge bessergestellt

Positiv an der Reform der Ergänzungsleistungen ist eine Gesetzesanpassung betreffend die berufliche Vorsorge. Verliert eine über 58-jährige Person heute ihre Stelle, so scheidet sie automatisch aus der Pensionskasse aus und muss ihr Altersguthaben auf ein Freizügigkeitskonto überweisen lassen. Sie hat im Alter in der Regel keinen Rentenanspruch. Neu kann diese Person in ihrer bisherigen Vorsorgeeinrichtung bleiben und im Alter eine Rente beziehen, wobei sie für die Beiträge selber aufkommen muss, wenn sie das Alterskapital weiter erhöhen möchte.

Abschliessende Betrachtung

Mit der EL-Reform sollten gleichzeitig Kosten eingespart und die Mietzinsmaxima erhöht werden. Es erstaunt daher nicht, dass die Diskussionen sehr kontrovers geführt wurden. Mit dem Ergebnis sind weder der Arbeitgeberverband noch die Behindertenverbände richtig glücklich. Die Unzufriedenheit ist aber derart gleichmässig verteilt, dass weder von rechts noch von links ein Referendum zu erwarten ist. Auch wenn die Reform erst 2021 in Kraft tritt, ist es in der Sozialberatung wichtig, sich bereits jetzt mit den Änderungen auseinanderzusetzen, da eine Intervention von heute sich auf den Anspruch auf EL von morgen auswirken kann.