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Soziale Arbeit und Gesellschaft: «Wir können gemeinsam am aktuellen Tun lernen»

Was bewegt Jugendliche zu Schülerdemos? Was trägt Soziale Arbeit zur Bewältigung der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts bei: ein Interview mit Ursula Blosser, Direktorin des ZHAW-Departements Soziale Arbeit, aus der aktuellen Ausgabe des Hochschulmagazins ZHAW-Impact.

«Die jüngere Generation will ihre Interessen in die von älteren Semestern dominierte Politik einbringen»: Ursula Blosser

Interview aus Impact 44

Frau Blosser, Jugendliche sind apolitisch, hiess es lange. Und jetzt: grosse Schülerdemos gegen Klimawandel und Ressourcenverbrauch. Wie kommt das?

Ursula Blosser: Darauf gibt es keine pauschale Antwort. Vor allem Jugendliche aus der Mittel- und Oberschicht, die grosse Chancen haben, gefördert zu werden, sehen gleichzeitig in ihrem Umfeld, dass Lebensläufe und Arbeitskarrieren unsicher sein können. Das Vertrauen in traditionelles politisches Handeln ist Skepsis gewichen, ob es den Exponentinnen und Exponenten wirklich um Lösungen für anstehende Probleme geht. Zudem will die jüngere Generation ihre Interessen in die von älteren Semestern dominierte Politik einbringen.

Böse Zungen behaupten, sie wollten nur die Schule schwänzen.

Darauf würde ich nichts geben. Jugendliche sind sensibel für das, was ihr Leben und ihre Zukunft positiv oder negativ beeinflussen könnte. In den Diskussionen um Nachhaltigkeit kommt der Wille zum Ausdruck, persönliches Verhalten und gesellschaftliche Ziele ernsthaft aufeinander abzustimmen.

Der Umbau hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft ist eine grosse Herausforderung des 21. Jahrhunderts. Wie nimmt die Soziale Arbeit ihre Verantwortung wahr?

Unsere Forschenden untersuchen Voraussetzungen, Wirkungen und Zusammenhänge des beruflichen Handelns im Sozialbereich. Sie fördern mit ihren Erkenntnissen, die sie mit Praxis und Politik oder unter Einbezug von Adressatinnen und Adressaten erörtern oder erarbeiten, soziale Nachhaltigkeit.

Was heisst das konkret?

Wenn der Übergang aus der Kinder- und Jugendhilfe in das Erwachsenenalter erforscht wird, zeigt sich, was zum Gelingen beiträgt und welches mögliche Stolpersteine sind. Daraus lassen sich passende  Anschlusslösungen ableiten. Auch bei der Diskussion um die Anwendung standardisierter Modelle im Kindesschutz können Erkenntnisse aus unserer Forschung nicht nur zur Versachlichung beitragen, sondern auch zeigen, wo diese Modelle positiv eingesetzt werden können und wo die Grenzen liegen.

Nicht immer wird Hilfe gutgeheissen. Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden spüren heftigen Gegenwind.

Natürlich gibt es in diesem Metier auch Gegenwind: Menschen, die in den KESB oder in der Sozial­hilfe arbeiten und von politischen Expo­nentinnen und Exponenten oft bar von Faktenwissen und Respekt desavouiert werden, haben meine grosse Hochachtung. Manchmal braucht es die Fähigkeit, einstecken zu können oder auszuhalten, dass es nicht immer so geht, wie man es sich für die Klientinnen und Klienten und die Gesellschaft wünscht.

Oft fehlt es im Sozialbereich an Ressourcen – finanziellen, personellen oder zeitlichen.

Wer Weiterentwicklung haben will, muss Mittel gezielt einsetzen. Mir scheint es wichtig, dass wir uns in der Sozialen Arbeit darüber im Klaren sind, nach welchen Werten wir handeln wollen. Das gilt aber auch für die ganze Gesellschaft. Wenn etwa alles Medizinische dafür getan wird, dass Menschen sehr alt werden, und dann stellt man ihnen im hohen Alter aber für Betreuung – etwa für langsames Essen und Waschen, Gespräche, Zuwendung – keine finanziellen Mittel zur Verfügung, so ist das doch unverständlich.

Im Herbst startet die ZHAW mit einem eigenen Masterstudiengang in Sozialer Arbeit. Weshalb?

Die Verschränkung von Lehre, Forschung und Entwicklung sowie Praxis ist gerade auf der Masterstufe für Lehrende und Studierende zentral. Dies zu realisieren, gelingt am besten mit Themen, zu denen wir selbst forschen. So können wir zusammen mit Studierenden und Praxisorganisationen Entwicklungen verfolgen und Lösungen erarbeiten. Wir können flexibler auf aktuelle Themen eingehen und diese in die Ausbildung integrieren. Wir können also gemeinsam auch mit anderen Departementen an der ZHAW am aktuellen Tun lernen, und das ist der Kern einer anwendungsorientierten Fachhochschule.

Weshalb der Fokus «Transitionen und Interventionen» ?

Mit Transitionen meinen wir alles, was gesellschaftlicher Wandel mit sich bringt: Veränderungen in Institutionen, beruflich-fachliche Entwicklungen sowie Übergänge in der Biografie zum Beispiel vom Jugend- ins Erwachsenenalter, vom eigenen Zuhause in eine Einrichtung für ­Betagte. Übergänge im Lebenslauf sind grundsätzlich Momente, die immer mit Chancen und Risiken behaftet sind. Es lohnt sich, diese Momente zu verstehen und da gezielt wirksam zu werden. Dies gilt auch für gesellschaftliche Veränderungen und Wandlungsprozesse: Soziale Arbeit stellt sich die Frage, wo sie wie mit welchen Massnahmen rechtlicher, ökonomischer, sozialer oder pädagogischer Art intervenieren soll und wo nicht.

Sie sind schon sehr lange in der Sozialen Arbeit aktiv. Wie hat sich die Profession verändert?

Die Aufnahme der Sozialen Arbeit in die Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften 2013 ist ein Erfolg in der über hundertjährigen Geschichte der Verfachlichung sozialer Themen in der Schweiz. Forschung in den Themenbereichen Sozialer Arbeit wird vor allem von Fachhochschulen geleis­tet. Sie hat zum Verständnis und zur Bearbeitung von sozialpolitischen und gesellschaftlichen Fragestellungen wie auch zum vertieften Verständnis über Wirkungen von Interventionen und damit auch zur ­Professionalisierung der Sozialen Arbeit beigetragen.

Sie gehen im Mai in Pension. Worauf sind Sie stolz hinsichtlich der Entwicklungen am Departement?

Wir haben am Departement gezielt Forschung gefördert, dies auf der Basis einer geschärften inhaltlichen Strategie. In der Folge haben wir das Departement organisatorisch umgestellt und Zentren und Institute gebildet. Damit haben wir die fachliche Profilierung, die Verbindung von Lehre und Forschung und die Zusammenarbeit mit der Praxis auf ein breites fachliches Fundament gestellt. Auf diesem Weg war es ein konsequenter Schritt, das eigene Masterprogramm anzubieten. Damit haben wir eine gute Basis geschaffen, um die Profession und Disziplin der Sozialen Arbeit weiterzuentwickeln, auch in der Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen.

Wie aktivieren Sie Ihre eigenen Ressourcen jetzt neu?

Ich hatte das Glück, dass mir mein Berufsleben viele Gestaltungsmöglichkeiten bot. Und die habe ich auch genutzt – immer zusammen mit vielen anderen Menschen.
Einen Berufsweg geht man ja nie allein. Insofern bin ich sehr zu­frieden. Während dieser Zeit wusste ich immer, was wann wieder auf der Agenda stand, und kaum war die eine Herausforderung vorbei, kam wieder eine neue. Nun lasse ich mich auf das Experiment ein, zu sehen, was ist, wenn das wegfällt. Ich freue mich darauf, den vielen schönen und bereichernden Erfahrungen und Momenten, die das Leben sonst noch mit sich bringt, mehr Raum geben zu können. Ich glaube, ich habe einen offenen Zugang zu meinen Ressourcen und eine gewisse Resilienz – und die werden ja nicht pensioniert ...

Interview: Patricia Faller

Hochschulmagazin ZHAW-Impact

«Ressourcen» lautet das Dossierthema der März-Ausgabe des Hochschulmagazins ZHAW-Impact, das ab dem 20. März erscheint.

Eine Themenauswahl:

  • Damit Vegi aus der Exoten-Ecke rauskommt: ein vom Bund gefördertes Forschungsprojekt zu Innovationen in der Ernährung.
  • Wo entstehen Lebensmittelabfälle? Zwei neue Studien zeigen: Konsumenten entsorgen bedenklich viel. Was ist ein gutes Leben und was braucht es dazu? Zwei ZHAW-Absolventen machen die Probe aufs Exempel.
  • Ein Recycling von Bauteilen ist nicht nur ökologisch sinnvoll, es kann auch ästhetisch beflügeln, wie ZHAW-Architekturstudierende demonstrieren.
  • Wie kann man Journalismus angesichts mangelnder Ressourcen und starker Konkurrenz zukunftssicher machen? Ein Interview über strukturelle Förderung und Alternativen zu Facebook und Co.
  • Beim Personalschlüssel in der Pflege stehen Schweizer Spitäler vergleichsweise gut da. Trotzdem unterbleiben auch hierzulande bisweilen nötige Pflegeleistungen aus Zeitmangel.
  • Wer Zielkonflikte erkennt, setzt finanzielle Mittel deutlich besser ein. Ohne Sicht auf das grosse Ganze sehen viele Beteiligte nur die kurzfristigen Kosten und gehen in Abwehrhaltung.

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