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Der gewalttätige Klient?

«Sozialarbeiter mit dem Tod bedroht» oder «Immer wieder werden Sozialarbeiter angegriffen»: So oder ähnlich betitelten Schweizer Medien Berichte zu schwerwiegenden Fällen von Gewalt gegen Sozialarbeitende.

Verschiedene internationale Studien zeigen, dass Gewalt im Sozial- und Gesundheitsbereich weit verbreitet ist: Dies betrifft insbesondere verbale Formen von Gewalt. In der Schweiz fehlt systematisches Wissen zu diesem Thema bisher weitgehend. Das Institut für Delinquenz und Kriminalprävention nahm diese Ausgangslage zum Anlass, um mittels einer Befragung erste Einblicke für die Schweiz zu gewinnen. 

Hintergründe zur Studie

Für die Studie wurden Studierende der Sozialen Arbeit zu ihrer Tätigkeit in der Praxis befragt. Dieses Vorgehen hat den Vorteil, dass Schlüsse zu den Gewaltrisiken in unterschiedlichen Bereichen der Sozialen Arbeit möglich sind. Insgesamt 236 Studierende haben an der Befragung teilgenommen. Der Begriff Gewalt wird im Rahmen der Studie weit gefasst: Neben physischen Formen von Gewalt wie Schlagen, Treten oder Schubsen werden auch verbale Formen von Gewalt wie Beleidigungen, Beschimpfungen und Bedrohungen sowie Gewalt gegen Sachen berücksichtigt. 

Hoher Anteil an Betroffenen

Da die praktische Erfahrung der Studierenden zum Teil mit einem geringeren Mass an Klientenkontakt verbunden war als für ausgebildete Sozialarbeitende üblich und Studierende mit Gewalterfahrungen eher geneigt sind, an der Umfrage teilzunehmen, kann kein exaktes Bild gezeichnet werden. Es lässt sich jedoch gleichwohl eine Tendenz aufzeigen. Die Befragung ergab, dass mit 76,0 % etwas mehr als drei Viertel der Befragten in den letzten zwölf Monaten Opfer irgendeiner Form von Gewalt durch Klientinnen und Klienten geworden waren. Besonders häufig waren Beleidigungen, Beschimpfungen und Bedrohungen – ein Ergebnis, das sich mit internationalen Studien deckt. Die Befragung zeigte weiter, dass das Risiko, Opfer von Gewalt durch Klientinnen und Klienten zu werden, zunimmt, je häufiger jemand mit Menschen mit Behinderungen oder verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen zu tun hat. 

Weiterbildungen zum Schutz

Fast zwei Drittel der Befragten gaben an, dass ihre Arbeitgeber Angebote wie Weiterbildungen zum Umgang mit Aggression und Gewalt bereitstellen. Fast die Hälfte der Befragten hatten von diesen Angeboten Gebrauch gemacht. 

Gewalt als Normalzustand

35,8 % der Befragten sehen Gewalt als Teil des Arbeitsalltags von Sozialarbeitenden. Sie gaben an, sich daran gewöhnt zu haben, dass Klientinnen und Klienten aggressives Verhalten zeigen könnten. Die Ergebnisse der Befragung belegen keinen direkten Zusammenhang zwischen den Gewalterfahrungen einerseits und der Lebenszufriedenheit oder der psychischen Gesundheit der Studierenden andererseits. Die Studierenden haben sich freiwillig für das Studium und die Arbeit mit ihrer Klientel entschieden und kommen anscheinend gut mit den Herausforderungen ihrer Tätigkeit zurecht. Die Kolleginnen und Kollegen sowie die organisationalen Gegebenheiten haben sich die Studierenden hingegen nicht selbst ausgesucht. Es überrascht daher nicht, dass sich Aggressionen unter Kolleginnen und Kollegen sowie die Arbeitsbelastungen negativ auf den sozialen Zusammenhalt und die Lebenszufriedenheit der Studierenden auswirken. Die Befragung macht also deutlich, dass Organisationen gut daran tun, den internen Rahmenbedingungen eine hohe Beachtung zu schenken.

Erste Einblicke für die Schweiz

Erste Einblicke in das Thema Gewalterfahrungen von Sozialarbeitenden in der Schweiz machen deutlich, dass dieses Phänomen auch hierzulande keine Seltenheit ist. Durch die Befragung von Studierenden war es möglich, verschiedene Arbeitsbereiche einzubeziehen und so erste Unterschiede und Spezifika herauszuarbeiten. Zukünftige Forschungen könnten diese Perspektive erweitern, indem fertig ausgebildete Sozialarbeitende in einer repräsentativen Stichprobe befragt würden. Dadurch entstünde ein umfassenderes Bild der Verbreitung von Gewalt im Arbeitsalltag von Sozialarbeitenden und entsprechender Folgen.