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Crowdfunding – mehr als eine Frage der Finanzen

Wird über zivilgesellschaftliche Initiativen debattiert, so kommt die Rede rasch auf die Finanzen – und auf «Crowdfunding», eine Form von Fundraising in den sozialen Medien. Eine Studie des Instituts für Sozialmanagement zu derart finanzierten Projekten bringt Überraschendes zutage.

Illlustration einer Kartonschachtel mit der Aufschrift "Crowdfunding". Von links und rechts sieht man Hände, die Geld in die Box werfen.

von Konstantin Kehl und Larissa M. Sundermann

Ein Blick über die Landesgrenze: Angesichts der grossen Herausforderungen, die im Zuge der Flüchtlingswellen 2015 und 2016 auf Politik und Gesellschaft in Deutschland zugekommen sind, schrieb die Gemeinnützige Hertie-Stiftung im Herbst 2016 erstmals den Deutschen Integrationspreis aus. Ziel war es, überzeugende Projekte zu finden, zu fördern und bei der Umsetzung durch Qualifizierungs- und Beratungsangebote zu begleiten. Dabei standen von leidenschaftlich engagierten Menschen mit viel Enthusiasmus getragene Initiativen in der Flüchtlingshilfe im Vordergrund, die oft unter chronischem Geldmangel und fehlender öffentlicher Aufmerksamkeit leiden. Die Stiftung schuf Abhilfe und leistete einen Beitrag zur besseren Sichtbarkeit der Projekte und Initiativen. Begleitet und evaluiert wird der Integrationspreis seit Frühling 2017 vom Institut für Sozialmanagement der ZHAW. Im Rahmen einer Studie befragte das Forschungsteam deutschlandweit Projektleitende in der Integrations- und Flüchtlingsarbeit.

Integrationspreis zur Förderung von Projekten

Die Finanzierung des Integrationspreises kombiniert einen Crowdfunding-Contest mit der Vergabe von Stiftungspreisgeld. In der Finanzierungsphase im Frühjahr 2017 warben die zivilgesellschaftlichen Initiativen Mittel über ein Crowdfunding-Portal ein mit einem Ziel von mindestens 10’000 Euro. Anschliessend vergab die Hertie-Stiftung eine zusätzliche Förderung von bis zu 15’000 Euro an die 22 bestbewerteten Projekte. Auf diese Weise konnten 34 von 40 Initiativen erfolgreich finanziert werden. Über den Sommer setzten die Projektleitenden ihre Initiativen mit dem erhaltenen Geld um und bereiteten sich darauf vor, die Jury des Deutschen Integrationspreises von ihrer Entwicklung zu überzeugen. Während des gesamten Projektverlaufs stand den Projektleitenden bei Veranstaltungen und Webinare eine professionelle Beratung zur Seite. Sie wurden in technischen Fragen betreut und vernetzten sich untereinander. Im Herbst 2017 wurde der mit insgesamt 100'000 Euro dotierte Preis an drei Projekte verliehen.

Fundraising in Zeiten der Digitalisierung

Das Institut für Sozialmanagement führte zwei Begleiterhebungen zu den Projekten durch. Die vorläufigen Ergebnisse erlauben wertvolle Rückschlüsse dazu, wie sich Potenziale zivilgesellschaftlichen Engagements mit neuen Finanzierungsmechanismen in Zeiten der Digitalisierung besser ausschöpfen lassen. So empfanden viele Projektinitiatoren die neuartige Verbindung von Crowdfunding und Stiftungsförderung als positiv und innovativ. Es zeigte sich zudem, dass die aktive Teilnahme und das Erleben von Erfolgen und Misserfolgen die Akzeptanz von Crowdfunding an sich, aber auch hinsichtlich der Kombination mit traditioneller Stiftungsförderung steigern.

Vernetzung online und offline

Obwohl besonders in der Frühphase des Crowdfunding-Contest hauptsächlich als Zugang zu finanziellen Ressourcen wahrgenommen, fanden auch die technischen Unterstützungsangebote des Awards positive Bewertungen. Wünsche nach weiteren Unterstützungsangeboten hinsichtlich Social Media und Vernetzungsmöglichkeiten wurden geäussert. Bei der zweiten Befragung traten diese technischen Aspekte in den Hintergrund. Nun standen die öffentliche Aufmerksamkeit, die die Projekte durch die Unterstützung des Integrationspreises erreichten, sowie die Vernetzung in den virtuellen und realen Communities im Vordergrund.
Überraschenderweise wurde der Mehrwert des Crowdfunding-Ansatzes primär im Beitrag an Vernetzung und Aufmerksamkeit gesehen und nur sekundär in der Aussicht auf finanzielle Mittel. Die Studie macht allerdings ebenfalls deutlich, dass Crowdfunding in erheblichem Masse von der Unterstützung aus dem eigenen Netzwerk der Projekte, d.h. von Personen aus dem Umfeld von Freunden, Familie und dem Bekanntenkreis der Projektinitiatoren, lebt. Neben einem guten Netzwerk scheinen authentische und hartnäckige Personen hinter der Kampagne ein weiteres Erfolgsrezept zu sein.

Lessons Learned für die Schweiz

Die zentralen Erkenntnisse der Studie zum Deutschen Integrationspreis sind auch für die Schweiz mit ihrer föderalen Struktur des Sozialwesens und ihrer grossen Stiftungslandschaft interessant. Auf den Punkt gebracht liegt sie darin, dass nicht ausschliesslich finanzielle Mittel, sondern Vernetzung, Beratung und Kompetenzentwicklung der Schlüssel sind, um zivilgesellschaftliche Initiativen in der Flüchtlingshilfe effektiv und erfolgreich zu unterstützen. Mit der Evaluation des Deutschen Integrationspreises liegen Ergebnisse zu einem Ansatz der Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Projekten vor, welcher sich dezidiert die technischen Möglichkeiten der Digitalisierung zu Nutze macht, um soziale Probleme und Herausforderungen auf unkonventionelle Weise zu lösen. Sie zeigen, dass es selbst bei einem zunächst auf Geld fokussierten Förderansatz darum geht, die begrenzten Mittel klug einzusetzen und finanzielle mit nicht-finanziellen Ressourcen und Kompetenzen zu verzahnen. Daraus können nicht nur Organisationen und Initiativen lernen, die sich Crowdfunding als zusätzliche finanzielle Quelle vorstellen können, sondern auch Fördermittelgeber wie z.B. Stiftungen oder öffentliche Verwaltungen, wenn sie nach Ansätzen mit hoher Hebelwirkung suchen.