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Der Chemie-Professor im «Kaffee-Kosmos»

Chahan Yeretzian hat das Kaffee-Kompetenzzentrum der ZHAW zu einer weltweit führenden Adresse für Kaffeeforschung aufgebaut. Die Entdeckungen aus seinem Labor sind bei Unternehmen sehr gefragt.

ZHAW-Impact Nr. 40

Emma ist sensorisch absolut Spitze. Kastenförmig thront sie auf einem Tisch, ist mit Schaltern, Tasten und einer schwenkbaren Pipette ausgestattet. Wenn Chahan Yeretzian die Aromavielfalt einer Kaffeemischung analysieren will, setzt er Emma in Betrieb. Sie trennt dann die aus dem Kaffee entwichene Luft in Komponenten und schickt diese einzeln durch einen Schlauch, wo sie Yeretzian mit der Nase beurteilen kann. «Kaffee hat lediglich etwa 30 Geruchsmoleküle», klärt der Kaffeeforscher auf, «viel weniger, als die Leute meinen, und trotzdem mehr als viele andere Lebensmittel.»

Jedes Gerät hat einen Namen

Emma ist ein Gaschromatograph aus Metall und Plastik, aber Chahan Yeretzian spricht von ihr wie von einer Mitarbeiterin aus Fleisch und Blut. «Wir geben jedem Laborgerät einen Namen», sagt er und schmunzelt, «jedes hat eine Persönlichkeit.» Zudem sei so allen im Team immer klar, von welchem der vielen Geräte die Rede sei. Mit der Fülle von Messgeräten, Röstern, Mühlen und Kaffeemaschinen deckt Yeretzians Reich das ganze Spektrum an Analysemethoden ab. Der Professor für Analytische Chemie legt Wert darauf, kein Spezialist zu sein: «Wir erforschen alle Schritte der Kaffeeherstellung, von der Bohne bis zum fertigen Getränk.» Dazu gehören die fürs Aroma wichtigen Fermentations- und Röstprozesse, aber auch die physikalisch-chemischen Vorgänge der Mahlung und Extraktion in Kaffeemaschinen. In einer Zeit, in der aus dem banalen Alltagsgetränk ein Lifestyle-Genussmittel geworden ist, beruht der Erfolg der Kaffeeanbieter zunehmend auf Forschung und Innovation.

Die Schweiz ist eine Drehscheibe im globalen Kaffeegeschäft, die wirtschaftliche Bedeutung des braunen Getränks überstrahlt diejenige von Käse und Schokolade um Längen. Yeretzian ist es gelungen, der enormen wirtschaftlichen Bedeutung eine akademische Forschung entgegenzusetzen. Unter seiner Ägide entwickelte sich das «Coffee Excellence Center» am ZHAW-Campus in Wädenswil zu einem weltweit führenden Forschungsstandort für Kaffee. Die Entdeckungen aus dem Labor werden von Kaffeeunternehmen aus der ganzen Welt genutzt, um Produkte und Technologien voranzutreiben.

«Kaffee hat lediglich etwa 30 Geruchsmoleküle.»

Chahan Yeretzian

Aromatisch und gesund

Vieles deutet darauf hin, dass Kaffee nicht nur munter macht, sondern auch zur Gesundheit beiträgt. Mit dem Schweizer Maschinenbauer Bühler entwickelte Yeretzian einen Röster und einen Röstprozess, der nicht nur Aromen erzeugt, sondern auch den Gehalt an Antioxidantien erhöht – jenen Substanzen, die den Alterungsprozess aufhalten können. Die Verschmelzung von Aroma- und Gesundheitskompetenz wird auch im Kaffeegeschäft immer wichtiger.

Zunehmend in den Fokus rückt auch der Zusammenhang von Wasser- und Kaffeequalität. Yeretzian und sein Team haben ein auf Härte und Alkalinität von Wasser basierendes Messsystem aufgestellt und daraus Methoden für die Wasserbehandlung abgeleitet. Diese sind für Baristi und Hersteller von Kaffeemaschinen nützlich, weil sie so ihre Produkte noch köstlicher machen und gleichzeitig die Geräte schützen können.

Frischeindikatoren

Ein weiterer wichtiger Forschungsgegenstand ist die Frische. Chahan Yeretzian hat eine Methode entwickelt, um die Gase zu messen, die nach der Röstung aus dem Kaffee treten – ein zuverlässiger Indikator für die Frische. Was die Espressoliebhaberin am Schäumchen erkennt, betrachtet Yeretzian wissenschaftlich: Je mehr Kohlendioxid entweicht, desto frischer ist der Kaffee. Auch die Verpackung spielt für die Frische eine entscheidende Rolle. Für Tchibo entwickelte Yeretzian mit seinem Team eine neue Aromaverpackung mit Drehverschluss.

Die Wörter fliessen in breitem Berner Dialekt aus ihm heraus – er sagt «ds Gaffe», als habe es nie etwas anderes gegeben. Dabei hat er armenische Wurzeln und ist im syrischen Aleppo geboren und aufgewachsen; der Vater war Direktor der syrischen Eisenbahn. Nach dem Sechs-Tage-Krieg im Jahr 1967 wanderte die Familie nach Bern aus, wo der Vater eine Stelle in einer internationalen Organisation fand. Der siebenjährige Chahan sprach Arabisch, Armenisch und Französisch und fühlte sich fremd und unverstanden. «Obschon ich Armenier bin, wurde ich als Araber wahrgenommen und auch rassistisch diskriminiert», erinnert er sich an die erste Zeit in der Schweiz.

Bern, Los Angeles, München, Lausanne, Ohio, Singen, Wädenswil

Zum Chemiestudium kam er eher zufällig, und noch heute stellt er sein Berufsbild eigenwillig dar: «Ich bin zwar Chemiker, aber ich fühle mich nicht nur als Chemiker.» Sein Interesse gelte den Naturwissenschaften generell, dem rationalen Denken und Vorgehen. Für Chemie entschied er sich, weil sie eine zentrale Rolle inmitten aller naturwissenschaftlichen Disziplinen einnimmt und in diese ausgreift. Professor zu werden und aus der Hochschule heraus angewandte Forschung zu perfektionieren, das war zeitlebens sein grösster beruflicher Antrieb. Nach dem Doktorat in Chemie an der Universität Bern lernte Yeretzian als Post-Doktorand an der University of California in Los Angeles (UCLA) – eine Zeit, die seine wissenschaftliche Arbeits- und Denkweise entscheidend geprägt hat. «Teamwork funktioniert dort auch in grossen Teams», sagt er, «wissenschaftliche Erkenntnisse werden diskutiert und ausgetauscht ohne Angst, dass Ideen geklaut werden könnten.» Ein solches Umfeld hautnah erleben zu dürfen, gehörte zu seinen nachhaltigsten Erfahrungen. In dieser Zeit machte er auch mit zahlreichen Publikationen in renommierten Fachjournalen auf sich aufmerksam.

«Ich bin zwar Chemiker, aber ich fühle mich nicht nur als Chemiker.»

Chahan Yeretzian

Elf Jahre bei Nestlé und Nespresso

Nach Lehrjahren an der Technischen Universität München kam die akademische Karriere ins Stocken. Es wollte nicht klappen mit der Professur. Yeretzian wechselte in die Industrie und war zwischen 1996 und 2007 bei Nestlé und Nespresso in verschiedenen Führungspositionen in der Schweiz, den USA und Deutschland tätig. Dort kam er erstmals mit Kaffee in Kontakt. Er lernte die ganze Wertschöpfungskette kennen und initiierte ein neuartiges Analyseverfahren, bei dem es darum geht, die Aromaentwicklung von Lebensmitteln in Mund und Nase zu erforschen.

Doch das Spannungsfeld zwischen Wissenschaftlern und Managern machte ihm zu schaffen: Yeretzian spürte eine gewisse Machtlosigkeit der Wissenschaftler, in einem grossen Konzern wie Nestlé Dinge zu bewegen. Es half auch wenig, als er an der Universität Lausanne einen Master of Business Administration (MBA) erlangte und sich zunehmend in Management-Rollen abseits der Forschung entwickelte. Im Inneren war er Forscher und Wissenschaftler: «Eine akademische Karriere blieb mein Traum.»

«The Science and Art of Coffee»

Ein Traum, der über ein Stelleninserat der ZHAW doch noch Wirklichkeit wurde. Yeretzian bewarb sich und machte schon in der Vorstellungsrunde klar, an Kaffee forschen und einen Studiengang aufbauen zu wollen. Damit stiess er auf offene Ohren. Der von ihm entwickelte und geleitete Nachdiplomstudiengang «The Science and Art of Coffee» ist der erste seiner Art an einer Schweizer Hochschule und international einzigartig. Das Teilzeitstudium richtet sich an Akademiker und Praktiker, dauert neun Monate und umfasst den ganzen Kaffee-Kosmos von Anbau, Chemie, Sensorik, Handel bis zu Fragen der Nachhaltigkeit.

Weltweit leben 100 Millionen Menschen vom Anbau, von der Produktion und dem Verkauf von Kaffee. «Kaffee ist mehr als ein Getränk, es ist eine Welt in sich: Alle Probleme dieser Welt kommen in der Wertschöpfungskette zum Ausdruck», sagt Yeretzian und macht noch auf die damit verbundene Verantwortung aufmerksam. Er selbst fühlt sich auch dann für den Kaffeepflanzer in Indien und dessen Familie verantwortlich, wenn er im weissen Laborkittel eine neue Kapsel testet. Am Kaffee hängen so viele Themen, die nichts mit Chemie zu tun haben, sondern mit Ökologie oder Ökonomie, folglich gebe es unheimlich viel zu entdecken. Zum Beispiel den «Cold Brew», der vor allem in den USA heiss geliebt wird und allmählich auch die europäischen Bars erreicht. «Cold Brew» ist mehr als kalter Kaffee, laut Chahan Yeretzian «entsteht ein völlig neues Getränk». Kaffeepulver wird statt mit heissem mit Wasser in Zimmertemperatur übergossen und über eine längere Zeit stehengelassen. Durch das lange «Brühen» werden die Aromen schonend gelöst und das Getränk von Bitterstoffen befreit – ein echtes Produkt der Slow-Food-Generation. In Internetforen wird über die richtige Zubereitung gefachsimpelt und empfohlen, einen «Cold Brew» 12 bis 15 Stunden ziehen zu lassen. Derweil ist Yeretzian längst zu einem wissenschaftlichen Befund gelangt. Seiner Ansicht nach reichen fünf Stunden: «Nach dieser Zeit passiert nicht mehr viel.»

Autorin: Corinne Amacher

Hochschulmagazin ZHAW-Impact

«Energiewende» lautet das Dossierthema der aktuellen Ausgabe des Hochschulmagazins ZHAW-Impact. Eine Auswahl der Themen: Wie können Städte und Gemeinden die Bevölkerung zum Energiesparen bewegen? Wie hat sich der Energiediskurs verändert? Weshalb schrecken Hauseigentümer vor Investitionen in erneuerbare Energien und Effizienz zurück, obwohl Fördergelder und Steuererleichterungen locken? Wie sieht eine wirksame Energie- und Klimapolitik aus? Intelligente Netze und Lösungen, dank derer Solarenergie erzeugt werden kann, wenn sie gebraucht wird, nicht nur, wenn die Sonne scheint.

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