Im Spannungsfeld zwischen Theorie und Praxis
Gegen Ende ihrer Ausbildung setzen Studierende des Bachelors Gesundheitsförderung und Prävention ihr theoretisches Wissen im Rahmen eines Praxisauftrags um. Eine wertvolle Erfahrung – trotz oder gerade wegen der teils herausfordernden Rahmenbedingungen im Berufsfeld.

Fehlende finanzielle Mittel, zu wenig Zeit, bürokratische Hürden: Die Bedingungen, unter denen Gesundheitsförder:innen arbeiten, sind nicht immer ideal. Das führt dazu, dass sich Projekte, Massnahmen und Interventionen nicht genau so umsetzen lassen, wie es im Lehrbuch steht. Oft müssen Abstriche gemacht, muss auf Best Practice und Goldstandard verzichtet werden. Kurzum: Zwischen Theorie und Praxis tut sich in der Gesundheitsförderung und Prävention häufig ein Graben auf. Mit diesem Theorie-Praxis-Gap werden auch die Studierenden des Bachelors in Gesundheitsförderung und Prävention konfrontiert – oft während des Praktikums, spätestens aber im Modul GP.606. In diesem setzen sie einen Auftrag mit Praxisbezug um, den sie von Praxispartner:innen oder aus Forschung und Lehre des ZHAW-Instituts für Public Health erhalten. «Die Studierenden können aber auch auf eigene Faust einen Auftrag organisieren», sagt Modulverantwortliche Alice Inauen.
Die Aufträge, die die Studierenden in kleinen Teams über mehrere Monate hinweg bearbeiten, widerspiegeln dabei das vielfältige Handlungsfeld der Gesundheitsförderung und Prävention: Bei der diesjährigen Durchführung erstellten die Studierenden unter anderem für eine Kita Empfehlungen für ergonomisches Arbeiten, für den Verein Stadtoase Zürich ein Konzept für einen gesunden städtischen Lebensraum oder Unterrichtsunterlagen zum Thema Alkohol- und Tabakwerbung für Schulen.
Nicht bloss für die Schublade
Da es sich bei den Aufträgen um konkrete Anfragen aus Praxis, Forschung und Lehre handelt, werden die von den Studierenden erarbeiteten Konzepte meistens auch umgesetzt – und verschwinden nicht sang- und klanglos in irgendeiner Schublade. So konnte eine Gruppe beispielsweise für die regionale Suchtpräventionsstelle von Stadt und Bezirk Winterthur einen Workshop entwickeln, der nun auf der Sekundarstufe II zum Einsatz kommt. «Dabei haben wir einen bestehenden Suchtpräventionsworkshop weiterentwickelt und ihn um das Thema psychische Gesundheit ergänzt», sagt Marie Damev. Die Studentin hatte zuvor bei der Präventionsstelle ein einjähriges Praktikum absolviert. In dieser Zeit wurde der Bedarf zur Erweiterung des Workshops thematisiert – insbesondere mit einem stärkeren Fokus auf die Förderung der psychischen Gesundheit. Marie Damev bot ihrem Vorgesetzten an, den Workshop im Rahmen des Moduls weiterzuentwickeln. «Wir erhielten daraufhin den Auftrag, einen 90-minütigen Workshop zu erarbeiten», sagt die Studentin. Doch nicht nur das: Damev führte diesen anschliessend selbst an der Kantonsschule Lee in Winterthur zweimal durch. «Da wir den Workshop selbst konzipiert haben, war ich etwas nervös», erzählt sie. Es sei trotzdem eine tolle Erfahrung gewesen, den Workshop selbst zu leiten – und nicht nur zu Papier zu bringen. «Es war ein Erfolgserlebnis, das Projekt bis zum Schluss begleiten und das Endresultat sehen zu können.»
Der starke Praxisbezug des Moduls ermöglichte der Gruppe wertvolle Erfahrungen. «Es hat uns erlaubt, mit Eigeninitiative selbst einen Auftrag reinzuholen und diesen sehr selbständig zu bearbeiten», sagt Marie Damev. Dabei hätten sie nicht nur den Theorie-Praxis-Transfer geübt, sondern auch erlebt, wie dieser durch äussere Faktoren erschwert werden kann. «Im Laufe des Auftrags lernten wir auch die Grenzen in der Praxis kennen.» So sei die Zeit zu knapp gewesen, um die Zielgruppe selbst in die Erarbeitung des Workshops miteinzubeziehen. «Wir mussten uns stattdessen mit alten Evaluationen des bestehenden Workshops begnügen. So konnten wir die Partizipation als eins der Grundprinzipien der Gesundheitsförderung nur bedingt berücksichtigen.» Eine Erfahrung, die für die künftige Berufspraxis dennoch nützlich sei, findet Marie Damev. «Denn es kommt oft vor, dass sich die Grundprinzipien unserer Arbeit nicht oder nur teilweise umsetzen lassen.»
Wissen anwenden, Erfahrungen einbringen
Auch für die Modulverantwortliche Alice Inauen ist es für den Lerneffekt zweitrangig, ob die Aufträge lehrbuchmässig umgesetzt werden. «Wertvoll sind die Erfahrungen. Denn die Studierenden reflektieren ihr professionelles Handeln und die Rahmenbedingungen in der Praxis.» Das Modul ermögliche ihnen, das theoretische Wissen aus dem bisherigen Studium konkret anzuwenden und ihre Erfahrungen aus den Praktika einzubringen. Darüber hinaus erlaube es die individuelle, interessengeleitete Vertiefung in eine Thematik. «Das hilft den Studierenden, wenn sie später im entsprechenden Bereich Fuss fassen wollen», sagt Inauen.
Handfestes zum Studiumsende
Auch wenn das selbständige Arbeiten im Modul gross geschrieben wird – komplett allein gelassen werden die Gruppen während der Auftragserledigung nicht: So bekommen sie im Verlauf des Moduls mehrere Coachings von Dozierenden. Diese unterstützen sie beispielsweise bei konkreten fachlichen Fragen oder bei Herausforderungen im Kontakt mit den Auftraggebenden. Und sie begleiten die Studierenden bei der Reflexion, etwa über die Grundprinzipien, den Theorie-Praxis-Gap oder ethische Grundfragen.
Neben den Coachings erhalten die Gruppen ausserdem fachliche Kurzinputs, die ihnen bei der Auftragserfüllung helfen sollen: So werden im Unterricht etwa das Design Thinking oder die Finanzierung und die strukturelle Verankerung von Projekten thematisiert. «Damit geben wir den Studierenden zum Ende des Studiums noch einmal nützliches Wissen für die Praxis mit», sagt Alice Inauen. Das Modul bereite sie so auf den kommenden Berufsalltag vor. «Und es gibt ihnen handfeste praktische Erfahrungen mit, die sie bei Bewerbungen vorweisen können.»