Eigenheim: Wohntraum oder Vorsorgefalle?
Wer sich den Traum von Wohneigentum erfüllen will, ist zunehmend auf Vorsorgegelder angewiesen. Mehr als die Hälfte derjenigen, die Vorsorgegelder vorbezogen haben, hätten ihr Eigenheim nicht ohne Vorbezug finanzieren können. Nur ein Viertel der Personen, die Pensionskassengelder vorbezogen haben, verfügen über einen konkreten Plan diese ganz oder teilweise zurückzuzahlen. Knapp ein Drittel der Personen, die sich Wohneigentum wünschen, möchten aus Angst vor Vorsorgelücken keine Gelder aus der 2. oder 3. Säule vorbeziehen. Dies zeigt eine aktuelle Studie von Raiffeisen Schweiz und der ZHAW School of Management and Law.

57 Prozent der Personen, die kein Wohneigentum besitzen, träumen von den eigenen vier Wänden. Bei den 18- bis 30-jährigen Nicht-Wohneigentümern wünschen sich sogar fast drei Viertel (74%) in Zukunft ein Haus oder eine Eigentumswohnung. Die Nachfrage nach Wohneigentum ist hoch, wer jedoch ein Eigenheim kaufen möchte, braucht dafür aufgrund steigender Preise immer mehr finanzielle Mittel. Weil das Ersparte allein oftmals nicht reicht, greifen Personen zunehmend auf ihre Vorsorgegelder zurück.
Ohne Vorsorgegelder reicht es oft nicht
45 Prozent der Befragten konnten sich den Eigenheimtraum bereits erfüllen. Mehr als zwei Drittel davon (68%) waren dafür neben den eigenen Ersparnissen auf weitere Finanzierungsquellen angewiesen. Eine wichtige Rolle spielt der Vorbezug von Geldern aus der 2. und 3. Säule, die sogenannte Wohneigentumsförderung. Vorsorgegelder werden immer häufiger für den Erwerb von Wohneigentum eingesetzt, wie das Beispiel der Säule 3a zeigt. Von den Wohneigentümern, die ihr Eigenheim vor dem Jahr 2000 gekauft haben, nutzten lediglich sieben Prozent Gelder aus der Säule 3a für die Finanzierung ihres Eigenheims. In den Jahren 2000 bis 2010 waren es 19 Prozent und seit dem Jahr 2011 ist der Anteil auf 33 Prozent gestiegen. Die Umfrage zeigt, dass zum Zeitpunkt der Befragung 20 Prozent der befragten Wohneigentümerinnen und Wohneigentümer Gelder aus der Säule 3a vorbezogen und 16 Prozent diese verpfändet haben. Bei der 2. Säule (Pensionskasse) entschieden sich 27 Prozent für den Vorbezug und sieben Prozent für eine Verpfändung. 56 Prozent der Befragten, welche die Wohneigentumsförderung genutzt haben, hätten sich ohne Vorsorgegelder kein Eigenheim leisten können. «Viele setzen bei der Finanzierung ihres Wohneigentums auf eine Kombination verschiedener Mittel. Mehr als ein Drittel geht dabei ‹all in› und nutzt mutmasslich praktisch alle verfügbaren Finanzierungsquellen. Die Wohneigentumsförderung ist oft entscheidend für die Erfüllung des Wohntraums», sagt Robert Eberle, Leiter Wohnen und Finanzieren bei Raiffeisen Schweiz.
Verzicht auf Rückzahlung birgt Risiken
Die Wohneigentumsförderung wurde bei der Säule 3a im Jahr 1990 und bei der Pensionskasse im Jahr 1995 eingeführt. Mit der Rückzahlung der vorbezogenen Gelder setzen sich viele aber nicht auseinander. Von den Wohneigentümern, die Gelder aus der 2. Säule für den Eigenheimkauf eingesetzt haben, planen nur 25 Prozent konkret, dieses Kapital mit einer späteren Einzahlung ganz oder teilweise in die Pensionskasse zurückzuführen. Fast die Hälfte (47%) beabsichtigt nicht, die entstandene Lücke in der Pensionskasse zu schliessen. Tashi Gumbatshang, Leiter Kompetenzzentrum Vermögens- und Vorsorgeberatung von Raiffeisen Schweiz, sagt dazu: «Bei jedem Immobilienkauf mit Vorbezug aus der Pensionskasse sollte man die Schliessung der dadurch entstandenen Vorsorgelücken bereits einplanen. Ansonsten drohen tiefere Altersleistungen, was den Lebensstandard nach der Pensionierung, oder die Tragbarkeit des Eigenheims gefährden kann.» Das kontrastiert mit dem Wunsch einer Mehrheit der Befragten, möglichst lang im Eigenheim wohnhaft zu bleiben: 69 Prozent der 51- bis 65-Jährigen wünschen sich, auch nach der Pensionierung im gewohnten Umfeld zu leben.
Vorsorgelücken wecken Ängste
Für 28 Prozent der Befragten, die sich ein Eigenheim wünschen, käme ein Vorbezug von Pensionskassengeldern für dessen Finanzierung nicht in Frage, weil sie Einbussen bei der Altersvorsorge befürchten. Rund die Hälfte der befragten Wohneigentümerinnen und Wohneigentümer konnte ihr Eigenheim ohne Vorbezug aus der 2. oder 3. Säule finanzieren. 56 Prozent davon entschieden sich gegen einen Vorbezug von Vorsorgegeldern, da ausreichend andere finanzielle Mittel verfügbar waren. 28 Prozent der Eigenheimbesitzerinnen und -besitzer haben ihre Vorsorgegelder nicht angetastet, da sie Einbussen in der Altersvorsorge befürchten. «Viele Befragte sind sich trotz der offenkundigen Vorteile auch der versteckten Risiken bewusst, die mit der Finanzierung von Wohneigentum durch Vorsorgegelder verbunden sind», kommentiert Dr. Jürg Portmann, Co-Leiter des Instituts für Risk and Insurance an der ZHAW School Management and Law.
Über die Umfrage
Für die von Raiffeisen Schweiz und der ZHAW School of Management and Law durchgeführte Umfrage wurden vom 11. April bis zum 24. April 2024 1’151 Personen aus der Schweizer Bevölkerung im Alter von 18 bis 79 Jahren mittels geschichteter Zufallsstichprobe mit einem Link-Panel befragt. Die Repräsentativität der Stichprobe ist aufgrund der Panelqualität als hoch zu bewerten, wobei wie bei allen Online-Befragungen eine Verzerrung hin zu einem höheren Bildungsniveau und stärkerer Online-Aktivität besteht. Insbesondere das höhere Bildungsniveau dürfte zu höheren Werten bei Einkommens- und Vermögensfragen führen. Die Objektivität ist hoch einzustufen, da die Daten mittels standardisiertem Fragebogen erhoben und statistisch ausgewertet wurden. In der Umfrage werden nur signifikante Unterschiede (95%-Konfidenzniveau) ausgewiesen. Die Methodik der Querschnittsbefragung eignet sich gut, um ein Bild über das Wissen, die Einstellungen und das Empfinden der Schweizer Bevölkerung zu gewinnen. Kausale Aussagen hingegen sind nicht möglich. Die in der Studie ausgewiesenen Cluster wurden mit einer hierarchischen Clusteranalyse mit Ward-Clusterverfahren errechnet. Für die Analyse wurden Antwortmöglichkeiten aggregiert und einzelne Beobachtungen ausgeschlossen.
Dr. Jürg Portmann, ZHAW School of Management and Law
Telefon: +41 (0) 58 934 74 92
E-Mail: juerg.portmann@zhaw.ch