«Anspruchsvoller, aber auch viel spannender»
Informatik-Dozent Mark Cieliebak setzt in seinem Unterricht Flipped Classrooms ein. Was das heisst, welche Vorteile die neue Lehrform hat und wie sie sich weiterentwickeln könnte, erklärt er im Gespräch.

Sie setzen in Ihrem Unterricht Flipped Classrooms ein. Was muss man sich darunter vorstellen?
Mark Cieliebak: Im herkömmlichen Frontalunterricht werden die Grundlagen eines Themas in einer Vorlesung behandelt. Anschliessend müssen die Studierenden zum Beispiel als Hausaufgaben Fragen lösen oder angewandte Beispiele studieren. In einem Flipped Classroom funktioniert das umgekehrt: Die Studierenden erarbeiten sich die Grundlagen zu Hause selber, indem sie etwa ein Kapitel in einem Fachbuch studieren. Anschliessend beantworten Sie online Lesekontrollfragen. Daraus erkenne ich, welche Themen sie verstanden haben und wo noch Diskussionsbedarf besteht. Diejenigen Punkte, die vielen bei der Lektüre nicht klar wurden, werden dann im Unterricht behandelt.
Das klingt nach viel Aufwand für Sie als Dozent, aber auch nach zeitintensiver Vorbereitung für die Studierenden.
Das stimmt. Für mich als Dozent ist der Unterricht anspruchsvoller, weil ich bis am Vorabend des Unterrichts nicht weiss, welche Themen ich am nächsten Tag intensiv behandeln muss. Auch während des Unterrichts kann viel Unvorhergesehenes passieren, so dass ich in meinem Fachgebiet viel sattelfester sein muss, als wenn ich einfach eine gewöhnliche Vorlesung halten würde. Für mich ist der Unterricht dank der intensiven Diskussionen aber auch viel spannender.
Und die Studentinnen und Studenten?
Bei ihnen kommt mein Unterricht grösstenteils gut an. Nicht jeder Student beteiligt sich rege an der Diskussion, die meisten aber schätzen die neuen Möglichkeiten, die sie dank Flipped Classroom haben. Klar, ihre Vorbereitungszeit nimmt zu, weil wir das Selbststudium, das eigentlich hinter jedem ECTS-Punkt steckt, auch tatsächlich einfordern. Dafür können Sie sich den Stoff in ihrem eigenen Tempo erarbeiten und im Unterricht dann die wirklich spannenden Fragen des Fachgebiets diskutieren.
Was bringt ihnen das in akademischer Hinsicht?
Die Pädagogische Hochschule Zürich hat eine entsprechende Studie durchgeführt. Darin sagen die Studierenden, dass Flipped Classroom zum Verständnis des Stoffes beitrage, dass sich zum Beispiel Methoden- und Kommunikationskompetenzen verbessert und dass sie auch bei ihren Arbeits- Lern- und Kontrollstrategien teils markante Verbesserungen wahrgenommen hätten.
Eignet sich Flipped Classroom für jedes Fach?
Ja, grundsätzlich schon. Es ist – vom Aufwand, den ich als Dozent betreiben muss, einmal abgesehen – auch relativ einfach, von konventionellem Unterricht auf Flipped Classroom umzustellen. Der Pflichtstoff ist mit der Lektüre abgedeckt, der Unterricht selber kann dann sehr flexibel gestaltet werden. Allerdings ist es nicht ratsam, alle Vorlesungen eines Semesters als Flipped Classroom zu führen, weil sich die Belastung der Studentinnen und Studenten dadurch enorm erhöhen würde und es schlicht nicht möglich ist, in jeder Unterrichtsstunde kreative Fragen zu stellen und anspruchsvolle Aufgaben zu lösen. Es soll eine willkommene Abwechslung zum herkömmlichen Unterricht bleiben.
Wo liegen die Schwierigkeiten dieser Unterrichtsform?
Als grosse Herausforderung habe ich die Suche nach geeigneter Begleitlektüre empfunden. Viele Lehrmittel sind auf klassischen Unterricht ausgerichtet, das heisst auf die Nachbearbeitung des in der Vorlesung vorgestellten Stoffs. Wir hingegen benötigen Fachbücher, die für das Selbststudium geeignet sind. In einzelnen Modulen ist uns das gelungen, andernorts gibt es noch Optimierungspotenzial. Eine gute, wenn auch zeitintensive Möglichkeit wäre, selber ein Begleitbuch für den Unterricht zu verfassen. Darüber denken wir derzeit nach.
Sie sind mit Ihren Lehrformen also nicht allein auf weiter Flur?
Nein. Das Interesse meiner Kolleginnen und Kollegen nimmt stetig zu. Ich erhalte bestimmt wöchentlich Anfragen von Dozierenden, die mehr über Flipped Classroom erfahren wollen. Daneben gibt es aber auch Dozentinnen und Dozenten, die von Frontalunterricht und herkömmlichen Vorlesungen überzeugt sind. Die erwähnte Studie der PH Zürich zeigt, dass beide Lehrformen das Fachwissen gut vermitteln. Ob man sich für Flipped Classroom begeistern kann, hängt unter anderem von eigenen Vorlieben und persönlichem Unterrichtsstil ab.
Warum begeistern Sie sich dafür?
Als ich vor drei Jahren an der ZHAW School of Engineering als Dozent anfing, habe ich mich selber gefragt, wie ich unterrichtet werden möchte. Während meiner eigenen Ausbildung mochte ich es überhaupt nicht, wenn ein Dozent einfach einen vorformulierten Text heruntergeleiert hat. Denn einen Text lesen kann ich auch selber. Ich habe mich also mit innovativen Lehrformen auseinandergesetzt und bin schliesslich bei Flipped Classrooms gelandet.
Werden sich diese innovativen Lehrformen an der School of Engineering weiterentwickeln?
Ich denke schon. Persönlich interessiere ich mich zum Beispiel für MOOCs – für Massive Open Online Courses. Mit MOOCs kann man praktisch ausschliesslich online einen Abschluss machen, und zwar bei den absoluten Topshots des jeweiligen Fachgebiets. Uns als Fachhochschule fehlen diese internationalen Superstars, dafür sind wir stark in der persönlichen Begleitung und Betreuung unserer Studierenden. Das liesse sich kombinieren: Die Studentinnen und Studenten erarbeiten sich via MOOCs die zentralen Grundlagen eines Fachs, wir kümmern uns um die Einordnung und die praktische Anwendung. Mit so einer Kombination wäre die ZHAW für die Zukunft sehr gut aufgestellt.