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Vorgestellt: Dr. iur. Andrea F. G. Raschèr

In unserer Rubrik «Vorgestellt» möchten wir unsere über 70 Dozierenden zu Wort kommen lassen. In dieser Ausgabe haben wir uns mit unserem langjährigen Dozenten für Kulturpolitik und Kulturrecht, Dr. iur. Andrea F. G. Raschèr, unterhalten. Er wagt den Blick in die Kristallkugel bezüglich Auswirkungen der aktuellen Pandemie auf die Kulturpolitik und Kulturförderung und bezieht Stellung zur Schweizer Kulturförderung im internationalen Vergleich.

Andrea Raschèr hat Querflöte und Klavier studiert. Danach hat er an der Uni Zürich in Jus promoviert und arbeitete parallel als Opernregisseur. Ab 1995 wurden die Zusammenhänge von Recht und Kultur sein Metier: Er leitete bis 2006 die Einheit Recht und Internationales im Bundesamt für Kultur. Nach einem Studium an der Hochschule für angewandte Psychologie ist er seit 2007 Inhaber von Raschèr Consulting in Zürich. Das Beratungsunternehmen ist spezialisiert auf Kunstrecht und Kulturpolitik sowie Executive-Coaching und Mediation. Er ist Lehrbeauftragter für Kulturrecht, Kulturpolitik und Compliance im Kunsthandel und hegt eine leidenschaftliche Liebe zu Musik, Theater, Oper und Film.
(Foto: Dominik Landwehr)

Sie unterrichten an der ZHAW und an weiteren Hochschulen unter anderem Kulturpolitik und Kulturrecht. Wieso ist es für Kulturmanagerinnen und -manager wichtig, über ein kulturpolitisches und rechtliches Grundverständnis zu verfügen?
Politik und Recht gestalten unsere Gesellschaft. Auch die Kulturförderung. Es ist deshalb für Kulturmanager*innen wichtig, diese Mechanismen zu kennen und zu wissen, was wo welche Wirkung hat. Dazu kommen die spezifischen Sprachen der Politik und des Rechts. Wer sich in der Kulturförderung bewegen will, ist darauf angewiesen, sich in beiden Bereichen auszukennen.

Sie haben jahrelang als Regieassistent und Opernregisseur gearbeitet. Inwiefern hat die künstlerische Tätigkeit Ihre Arbeit in der Kulturpolitik und Kulturförderung beeinflusst?
Durch meine Arbeit an verschiedenen Opernhäusern in Europa habe ich die unterschiedlichen Systeme kennengelernt. Kulturpolitisch bestand Einigkeit über die Notwendigkeit der Unterstützung von Opernhäusern, die per se sehr kostenintensiv sind.
Ich habe vor allem in Deutschland gearbeitet und dort war die Ausdünnung der Theaterlandschaft in den neuen Bundesländern nach der Wende höchst eindrücklich. Es waren nicht nur die Schliessungen, die unmittelbar sichtbar wurden, sondern die sukzessiven Einschnitte im Spielbetrieb: Das ging von der Verminderung der Anzahl Premieren und Vorstellungen bis hin zum Wechsel vom Ensemble- zum Gastspieltheater. Es fehlte der politische Wille zum Erhalt dieser sogenannt «festen Häuser». Damit ging der wichtigste Humus verloren, der gerade jungen Künstler*innen die Möglichkeit gab, ihre Bühnenerfahrungen zu machen, sich zu behaupten und sich das Repertoire anzueignen. Darüber hinaus haben Städte, die zu DDR-Zeiten für Aufsehen gesorgt haben, eine Hauptattraktion verloren, sodass sie heute teils kaum noch präsent sind, wie beispielsweise Anklam, wo Frank Castorf erste Arbeiten realisierte.
Es entstand ein Vakuum und führte zur paradoxen Situation, dass zahlreiche Theatergebäude dank Mitteln aus der Denkmalpflege baulich in perfektem Zustand waren – oft aber die Mittel für den Betrieb fehlten. Die Bundesländer waren zögerlich. Dafür haben sich jene Städte, die sich zu Theaterbünden zusammenschlossen, bewiesen, dass ein vielfältiges Programm durchaus überlebensfähig ist.
Mir hat dies gezeigt, dass auch in der Kulturpolitik das Gärtchendenken Gift ist – und dass auch in der Kulturförderung ein ganzheitlicher Blick sowie Kooperationen zwischen den Akteuren zentral sind. Für Einzelinteressen gibt es zu wenig Mittel – gerade bei Opernhäusern, die als «kulturelle Supertanker» viel Geld brauchen, um überhaupt in Fahrt zu kommen.

Wie steht die Schweiz bezüglich Kulturförderung im internationalen Vergleich da? Können Sie dies an einem konkreten Beispiel aufzeigen?
In den letzten Jahren wurde vor allem von bürgerlicher Seite der Ruf laut, Kultur (wieder) zu privatisieren und im Gegenzug private Spenden an Kulturinstitutionen vollumfänglich von den Steuern abziehen zu können. Als erfolgreiches Beispiel werden die USA genannt. Für die Schweiz ist dies kein Weg: Ein solches Modell läuft einem republikanischen Staatsverständnis zuwider, weil eine kleine Finanzelite darüber bestimmt, was möglich gemacht wird und was nicht. Die staatliche Kulturförderung in Europa und der Schweiz ist demokratischer – und aus meiner Sicht nachhaltiger.
Das folgende Beispiel zeigt dies eindrücklich: Aufgrund der Covid-19-Pandemie bekommen die Mitarbeiter*innen des Orchesters der Metropolitan Opera in New York seit fast einem Jahr keinen Lohn. Zwar erhalten sie Arbeitslosenunterstützung aber diese reicht nicht aus, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Zahlreiche Musiker*innen lassen sich frühpensionieren oder ziehen aus der Stadt und suchen anderswo Arbeit. Wer Glück hat, findet eine Stelle bei einem Orchester in Europa. Über ein Drittel will den Kulturbetrieb verlassen und in anderen Branchen arbeiten. Das sind alarmierende Zahlen. Zuerst für die Menschen, die ihre Arbeit verlieren. Darüber hinaus auch für die Orchester, die innerhalb kurzer Zeit viele gute Leute verlieren und damit an Qualität einbüssen. Dadurch werden sie für Musiker*innen immer weniger attraktiv. Ein Teufelskreis.
Auch bei uns wird es in der Orchesterlandschaft zu Veränderungen kommen. Trotzdem bin ich zuversichtlich, dass unser Fördermodell mit seinem längeren Planungshorizont besser agieren kann, um Entwicklungen nachhaltig zu gestalten. Voraussetzung ist, dass die Kulturpolitik bereit ist, dies proaktiv anzugehen.

Wagen wir zum Schluss einen Blick in die Kristallkugel: Welchen Einfluss wird die Covid-19-Pandemie auf die Entwicklung von Kulturpolitik und Kulturförderung haben?
Es ist wahrscheinlich, dass grosse Teile der Kulturwirtschaft längerfristig von dieser Krise geprägt werden – nicht nur finanziell, sondern auch in Bezug auf das Publikum, bei dem nicht sicher ist, in welchem Mass es «zurückkommt», weil es in der Zwischenzeit Alternativen gefunden hat. Dies gilt vor allem für jene Einrichtungen, die auf die körperliche Anwesenheit des Publikums oder von Teilnehmer*innen angewiesen sind, weil der (gemeinsame) Raum gerade die Grundlage für ihr Dasein schafft. Hier müssen neue Formen gefunden werden und das klassische Verhältnis – auch im räumlichen Sinne – von Publikum und Darsteller*innen hinterfragt werden.
Fragen stellen sich auch zur sozialen Sicherheit: Es hat sich gezeigt, wie fragil die Situation zahlreicher Kulturschaffender ist, vor allem, wenn sie als Selbständigerwerbende gelten oder nur partiell angestellt sind. Der künftige Fokus im Fördersystem darf nicht mehr nur Fragen der Altersvorsorge oder der Invalidität betreffen. Die Krise führt klar vor Augen, wie ungenügend die soziale Absicherung für Selbstständigerwerbende gerade im Kulturbereich ist, vor allem, wenn sie in bescheidenen und fragilen wirtschaftlichen Verhältnissen leben. Die bereits vor der Pandemie bei freischaffenden Künstler*innen zu beobachtende Tendenz zur Prekarisierung und gleichzeitig zur Selbstausbeutung muss gestoppt werden. Die Krise sollte Anlass sein, grundlegende Verbesserungen für prekäre Tätigkeitsverhältnisse und insbesondere den Kultursektor in die Wege zu leiten.
Wie es aussieht, wird uns die Pandemie noch einige Jahre begleiten; ihre Auswirkungen werden wir zeitversetzt wahrnehmen. Es besteht das Risiko, dass viele Menschen im Kultursektor ihr Tätigkeitsfeld verlieren. Die Krise zwingt uns, über die Symptombehandlung hinaus zu denken – nicht nur für den Kultursektor, sondern für die Gesellschaft als Ganzes. Es kann nicht sein, dass Menschen sich von einem Not-, Hilfs- und Unterstützungsprogramm zum nächsten hangeln. Es ist an der Zeit, dass wir auch die Einführung eines bedingungslosen Einkommens in Betracht ziehen.

Das ZKM-Team bedankt sich herzlich für das Interview!

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