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Die Generationenverträge geraten aus dem Gleichgewicht

Schwache Finanzmärkte, niedrige Geburtenraten: Bei Vorsorgeeinrichtungen hat die Quersubventionierung von Jung zu Alt dramatische Ausmasse angenommen. Eine Besserung ist nicht so schnell in Sicht. Pensionskassen investieren vermehrt in Anlagen mit höherem Risiko, wie eine ZHAW-Studie zeigt.

Eine ältere Dame winkt einem Kind zu
Wie wird die Altersversorgung ihrer Enkelin einmal aussehen?

ZHAW-Impact Nr. 34 vom September 2016

Die Lebenserwartung hat markant zugenommen. Heute kann eine 65-jährige Frau damit rechnen, 87 Jahre alt zu werden. Ein 65-jähriger Mann stirbt im Durchschnitt mit 84. Zudem sind die Geburtenraten lange Zeit gesunken, bald werden die Babyboomer pensioniert.   Die Folge: Die aktive Generation muss eine wachsende Last schultern. Im Jahr 2014 kamen auf 100 Personen im erwerbsfähigen  Alter 30,6 Pensionierte. 2050 werden es laut Bundesamt für Statistik 52 sein – «eine drastische Zunahme», wie Daniel Greber, Leiter des Zentrums für Risk & Insurance an der ZHAW School of Management and Law sagt.

2015 erstmals Verlust bei AHV

Damit nicht genug. Die munter sprudelnden Erträge an den Finanzmärkten, die viele Probleme lösten, sind versiegt. Zwischen 2012 und 2014 warfen sie im Durchschnitt noch 6 bis 8 Prozent Rendite ab. Jetzt dümpeln die Kurse der Aktien an den Börsen vor sich hin. Die Zinsen verharren als Folge der Finanzkrise auf einem Rekordtief. Aktuell aufgelegte Schweizer Bundesobligationen zum Beispiel werfen minus 0,5 Prozent Zins ab.

Grebers Fazit: «Die Altersvorsorge steht vor einem Finanzierungsproblem.» Bei der staatlichen  Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) kommen jeweils die  Erwerbstätigen für die laufenden Renten auf. Dieses Umlageverfahren ist recht elastisch. Obwohl sich die Zahl der Rentner seit 1975 mehr als verdoppelt hat, blieben die Lohnabzüge seit über vierzig Jahren unverändert. Dank Produktivitätsfortschritten, Lohnwachstum und zugewanderten Arbeitskräften ist die Rechnung lange aufgegangen. «Nun stösst das System aber an seine Grenzen», sagt Greber. 2015 rutschte die AHV in die roten Zahlen. Der Ausgleichsfonds wies einen Verlust von 559 Millionen Franken aus. Damit wird deutlich, wie stark die Altersvorsorge von den Finanzmärkten abhängig ist. Denn 2014 war dank guten Anlageergebnissen noch ein Überschuss von 1,7 Milliarden Franken erzielt worden.

«Dritter Beitragszahler» fällt aus

Noch deutlicher zeigt sich die Problematik in der beruflichen Vorsorge. Dort, bei den Pensionskassen,  finanziert jeder Angestellte nach dem Kapitaldeckungsverfahren seine eigene Rente, zusammen mit dem Arbeitgeber. Das funktioniert aber meist nur noch in der Theorie. Der Grund: Der Rentenumwandlungssatz von 6,8 Prozent reicht nach der Pensionierung gerade mal für 14,7 Jahre (100:6,8). Wer also kommt  angesichts der gestiegenen Lebenserwartung für die verbleibenden vier respektive acht Lebensjahre auf? Bislang waren das die Finanzmärkte, sie galten als «dritter Beitragszahler».

Um das heutige Niveau halten zu können, ist laut Bundesamt für  Sozialversicherung (BSV) eine Anlagerendite von 5 Prozent pro Jahr nötig. Das können die Pensionskassen aber, so das BSV, nicht mehr erreichen. Da die Finanzmärkte inzwischen also zu wenig abwerfen, muss nun die jüngere Generation einspringen. «Diese Quersubventionierung an die Pensionierten hat inzwischen dramatische Ausmasse angenommen», erläutert Markus Moor, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Risk & Insurance. Die jüngere Generation trifft es vor allem deshalb, weil die laufenden Renten in der Pensionskasse unantastbar sind. So wollte es das Volk. Es schmetterte an der Urne 2010 eine Senkung der künftigen Renten mit einer wuchtigen Mehrheit von 73 Prozent Nein-Stimmen ab. Geregelt wird die Rentenhöhe über den Rentenumwandlungssatz. Zur Debatte stand in der Volksabstimmung eine Reduktion dieses Satzes von 6,8 auf 6,4 Prozent. Bei einem Satz von 6,8 Prozent gibt es pro 100‘000 Franken angespartes Alterskapital 6800 Franken Rente pro Jahr, bei 6,4 Prozent sind es noch 6400 Franken. Angestellte mit einem mittleren Einkommen können im Alter 65 mit einem Alterskapital von rund 450‘000 Franken rechnen.

Massiv weniger Rente im Alter

Trotz dem negativen Verdikt des Volkes läuft derzeit eine Umverteilung, die für manche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer deutlich weiter geht. «Manche Angestellte werden massiv weniger Geld im Portemonnaie haben, wenn sie dereinst ins Rentenalter kommen», betont Daniel Greber. Bei gewissen Arbeitgebern müssten gewisse Jahrgänge Rentenkürzungen um rund 20 Prozent hinnehmen. Abgewickelt wird die Quersubventionierung folgendermassen: Immer mehr Pensionskassen wenden den gesetzlich vorgeschriebenen Umwandlungssatz von 6,8 Prozent nur noch im obligatorischen Bereich an – das heisst bis zu einem Bruttolohn von rund 6500 Franken pro Monat. Bei Salären, die darüber liegen, gibt es – gesetzlich erlaubt – tiefere Rentenumwandlungssätze. Bei den SBB sind es 5,22 Prozent, bei der Zürcher Vorsorgeeinrichtung BVK 4,87 Prozent und bei der CS ab dem Jahr 2025 noch 4,8 Prozent. Markus Moor verdeutlicht das Ausmass der Umverteilung mit einer aktuellen Berechnung der BVK: «Jeder Erwerbstätige hat dort unfreiwillig 5500 Franken pro Jahr an die Rentnergeneration bezahlt.»

Bei den Pensionskassen führen die sinkenden Zinsen zu einem weiteren Problem. Im Branchenjargon ist vom «Anlagenotstand» die Rede. Die traditionell grösste Anlagekategorie, die Obligationen, sind angesichts der minimalen oder negativen Zinsen nicht mehr attraktiv. «Was soll man also tun? An den Aktienmärkten regiert die Unsicherheit. Und in der Schweiz finden sich kaum noch Immobilien, in die sich investieren lässt – viele Liegenschaften sind saniert, Neubauten schon finanziert. Die Pensionskassen  suchen verzweifelt nach neuen Anlagemöglichkeiten, um das heutige Rentenniveau finanzieren zu können», so Moor. Eine ZHAW-Studie zeigt auf, dass die Pensionskassen vermehrt in Anlagen mit höherem Risiko investieren, seien das ausländische Immobilien, Hedge Funds oder Versicherungsprodukte für Naturkatastrophen – mit den entsprechenden Gefahren, wie der wissenschaftliche Mitarbeiter betont: «Das zeigt ebenfalls auf, wie dringend der Handlungsbedarf in der Altersvorsorge ist.»

Rentenalter auf 67 Jahre

Nachdem der erste Anlauf von 2010 beim Volk gescheitert ist, soll nun ein sorgfältig austariertes Gesamtpaket Abhilfe bringen.  Der Bundesrat hat unter dem  Titel «Reform Altersvorsorge 2020»  (siehe Beitrag unten) verschiedene Massnahmen vorgelegt. Es sei wichtig, das Paket integral umzusetzen, betont Daniel Greber. Markus Moor fügt an, dass die Mehrheit der OECD-Länder angesichts der demografischen Entwicklung das Rentenalter auf 67 Jahre erhöht, während die Schweiz bloss das Rentenalter für Frauen auf 65 Jahre angleicht. «Aus wissenschaftlicher Sicht erscheinen die Reformbestrebungen der Schweiz als zögerlich», so  Markus Moor.

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«Rentenreform 2020»

Derzeit feilt das Parlament an den Details der vom Bundesrat vorgelegten «Rentenreform 2020». Nach dem Ständerat ist nun der Nationalrat am Werk. Die wichtigsten Punkte:

  • Künftig gilt für beide Geschlechter 65 Jahre als «Referenzalter». Die Pensionierung ist zwischen 62 und 70 Jahren möglich, auch gleitend. Heute werden Männer in der Schweiz mit 65 pensioniert, Frauen mit 64. Bürgerliche Nationalräte wollen weiter gehen und ein Rentenalter 67 respektive einen weiter gehenden Automatismus für Rentenaltererhöhungen verankern. Die linke AHV-Initiative hingegen fordert eine Rentenerhöhung um 10% (Volksabstimmung am 25.9. nach Redaktionsschluss).
  • Die Mehrwertsteuer wird um vorerst  1 Prozent erhöht. Pro Jahr fliessen so rund  3,2 Milliarden Franken zusätzlich in die AHV. Später steigt der Mehrwertsteuerzuschlag allenfalls weiter an.
  • In der Pensionskasse wird der Rentenumwandlungssatz von 6,8 auf 6,0 Prozent reduziert. Damit sinkt die monatliche Rente um 12 Prozent.
  • Der Bundesrat will diese Rentenkürzung ausgleichen, zum Teil mit etwas höheren lohnabhängigen Sparbeiträgen. Andere Punkte des Ausgleichs hat der Ständerat verändert.
  • Bietet eine Versicherung einem Betrieb eine Pensionskassenlösung an, muss sie 92 Prozent (bislang 90 Prozent) der erwirtschafteten Überschüsse an die Versicherten weitergeben.