Die Gegenwart als Kunstwerk: «Watching the World» zeigt die Vielfalt der Welt im permanenten Live-Zustand
Das Kunstprojekt «Watching the World» von Webcam-Künstler Kurt Caviezel und Helmut Grabner vom ZHAW Institut für Datenanalyse und Prozessdesign erschafft mit unzähligen Webcam-Bildern, die durch künstliche Intelligenz kuratiert werden, eine Ausstellung, die das «Jetzt» der Welt zeigt.
Eine Ausstellung, die mithilfe Künstlicher Intelligenz kuratiert wird und durch einen fortwährenden Datenstrom niemals endet. So könnte man das Projekt «Watching the World» knapp beschreiben. Doch was der Webcam-Künstler Kurt Caviezel, Helmut Grabner, Dozent am Institut für Datenanalyse und Prozessdesign (IDP) der ZHAW School of Engineering und Fitim Abdullahu, wissenschaftlicher Assistent, zusammen geschaffen haben, lässt sich nur schwer auf ein Label reduzieren. Das Projekt ist nicht nur Gegenwartskunst und gleichzeitig faszinierendes Live-Fenster auf die ganze Welt, sondern ebenso Anlaufpunkt und Forschungsobjekt für Studierende.
Händisch nicht zu bewältigende Bilderflut
Für «Watching the World» dienen 10.000 öffentlich zugängliche Webcams und Überwachungskameras auf der ganzen Welt als Ausgangsmaterial – und es werden immer mehr. Im Schnitt senden diese alle 15 Minuten ein neues Bild. Geordnet in unterschiedlichen Kategorien sehen Besucherinnen und Besucher der Projekt-Homepage eine sich ständig ändernde Live-Collage. Würde man alle Bilder eines Tages ausdrucken, wäre der Stapel so hoch wie die Cheops-Pyramide. Für einen Menschen eine nie zu bewältigende Bilderflut. Und genau hier verbindet sich die Kunst von Kurt Caviezel mit den Instrumenten der Datenanalyse von Helmut Grabner. Mithilfe künstlicher Intelligenz (KI) lassen sich die Webcam-Bilder thematisch sortiert darstellen - egal, ob Fahrrad, Mensch oder gar Farbe.
Welche Bilder interessieren, welche nicht?
Als Forschungsprojekt bietet «Watching the World» für Studierende viele Ansatzpunkte für Bachelor- und Masterarbeiten. «Fast alle Themen im Bereich Data Science werden abgedeckt», erklärt Dozent Helmut Grabner. So stellen sich bei der Datenanalyse ganz unterschiedliche Fragen: «Welche Bilder halten wir für interessant und welche nicht? Auch Erkenntnisse, die in ganz andere Bereiche vordringen, wirft das Projekt auf. Etwa bezogen auf Privatsphäre und Datenschutz in unterschiedlichen Kulturen und Mentalitäten. Bei einer Webcam blickt der Betrachter plötzlich in das Wartezimmer eines Arztes in den USA. In der Schweiz schwer vorstellbar, in den USA scheinbar kein Problem. Dabei verfolgte der Arzt offensichtlich ein ganz pragmatisches Motiv: «Die Webcam wurde dort angebracht, damit Patienten und Patientinnen von Zuhause sehen können, wie stark gerade die Arztpraxis frequentiert ist», erklärt Grabner.
Doch auch Skurriles gibt es zu entdecken. Etwa ein Bild, auf dem ein überbelichtetes Flugzeug zu sehen ist, auf dem passend zum Bild «Cargolux» (Lux ist die Einheit für Beleuchtungsstärke) zu lesen ist, oder fehlerhafte Aufnahmen, auf denen Datenversatzstücke zu sehen sind, wodurch die Aufnahme optisch auffällt. Alle haben ihren eigenen Reiz. Und genau das macht «Watching the World» aus, Momente im unüberschaubaren Big Data der Erde, die erst durch künstliche Intelligenz entdeckt und dadurch zum Kunstwerk werden.
Das Projekt «Watching the World», erstmals vorgestellt am Swiss Digital Day im vergangenen November in Zürich, zieht inzwischen auch internationale Aufmerksamkeit auf sich. Seit dem 4. Dezember ist «Watching the World» im Chengdu Contemporary Image Museum in China auf einem 6 mal 2,5 Meter grossen Screen zu sehen.
Weitere Informationen: Das Projekt “Watching the World”: https://webcamaze.engineering.zhaw.ch/