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«Die Umstellung des Energiesystems betrifft uns alle»

Das Thema Erneuerbare Energien ist ein Dauerbrenner. Der Ausbau erneuerbarer Energien ist mitverantwortlich dafür, wie widerstandsfähig, klimafreundlich und wirtschaftlich unabhängig unsere Gesellschaft in den kommenden Jahrzehnten sein wird. Mirko Bothien, Schwerpunktleiter Erneuerbare Energien am Institut für Energiesysteme und Fluid-Engineering (IEFE), spricht im Interview über die Forschung und Herausforderungen am Institut.

Mirko Bothien, wo stehen wir zusammengefasst im internationalen Vergleich im Bereich der Erneuerbaren Energien?

Gemäss den Daten des Bundesamtes für Energie (BFE) liegt der Anteil an Erneuerbaren Energien an der Endenergie in der Schweiz bei knapp 30 %, bei der Elektrizität sind es etwa 66 %. Dieser Anteil ist erfreulich und die Schweiz damit, gemäss ihren Zielen, mehr oder weniger im Soll. Zurücklehnen dürfen wir uns aber definitiv nicht, der Strombedarf wird durch die Elektromobilität und die Elektrifizierung der Wärme stark steigen. Im internationalen Vergleich gibt es Länder, die schon weiter sind, und solche, die uns hinterherhinken.

Aktuell liegt der grösste Anteil an erneuerbaren Energien bei der Stromproduktion mit etwa 57 % bei der Erzeugung aus Wasserkraft, danach folgt Solarenergie mit knapp 8 %. Verschwindend gering ist hingegen der Anteil der Windenergie mit nur 0.22 %. Um die ambitionierten Ausbauziele des Mantelerlasses bis 2035 zu schaffen, benötigen wir linear gerechnet einen Zubau der neuen Erneuerbaren Energien von circa 2.4 Terawattstunden (TWh) pro Jahr. Im Jahr 2024 haben wir im Vergleich 1.1 TWh zugebaut. Der Löwenanteil des Zubaus wird durch Photovoltaik geschehen, dabei wäre die Windenergie sehr wichtig, da Wind vor allem im Winter weht.

«Die Schweiz liegt beim Anteil der Erneuerbaren Energien gemäss ihren Zielen im Soll. Zurücklehnen dürfen wir uns aber definitiv nicht.» - Mirko Bothien, Schwerpunktleiter Erneuerbare Energien am Institut für Energiesysteme und Fluid-Engineering

An was arbeitet ihr im Schwerpunkt Erneuerbare Energien aktuell?

Das Institut arbeitet an Technologien, die eine sichere, saubere und nachhaltige Stromversorgung ermöglichen. Wir erforschen das Verhalten von erneuerbaren, CO2-freien Brenn- und Treibstoffen. Dazu gehört die Umwandlung der in Wasserstoff, Ammoniak oder Sustainable Aviation Fuel gespeicherten Energie in Gasturbinen. Solche Gasturbinen erleben momentan einen regelrechten Boom, unter anderem aufgrund der vielen neuen Rechenzentren, denn sie sind flexibel bezüglich Last und Brennstoff und somit auch prädestiniert für den Ausgleich von Schwankungen der Erneuerbaren Energien. Im Rahmen von internationalen und nationalen Forschungsprojekten beschäftigen wir uns mit der Verbrennungsdynamik dieser Brennstoffe, um die Eigenschaften zu verstehen. Wir entwickeln neue Modelle für die Nutzung der Brennstoffe und führen experimentelle Untersuchungen durch.

Hintergrund unserer Forschung ist, dass mit dem starken Ausbau von Solar- und Windstrom zum einen, die Fluktuationen der Einspeisung steigen werden und es zum anderen, in den Sommermonaten zu einer Überproduktion kommen wird. Eines der wichtigsten Themen ist deshalb die Stromspeicherung, um saisonale Schwankungen wie die Winterstromlücke auszugleichen. Deshalb werden Gasturbinen, die CO2-frei und verlässlich on demand Strom produzieren, aus meiner Sicht eine wichtige Säule des zukünftigen Energiesystems.

In welchen weiteren Bereichen forscht ihr zurzeit?

In der Photovoltaik forschen wir an der Optimierung bei teilverschatteten PV-Anlagen, grossflächigen Anlagen in Berggebieten und im landwirtschaftlichen Bereich und weiteren Projekten. Ein anderer Bereich sind integrierte Kälte-Wärme-Systeme zur Optimierung des Energieverbrauchs in grossen Gebäuden und die dazugehörigen Kältemittel. Hier stellt sich die Frage, wie bestehende fossile Heizungen und Klimainfrastruktur durch solche Systeme ersetzen werden können. Weitere Bereiche, in denen wir am IEFE aktiv sind, sind die Energiespeicherung, die Netzstabilität, die Einbindungen der fluktuierenden Erneuerbaren Energien ins Netz und die Vorbeugung von Blackouts.

Was sind aktuelle Ergebnisse aus euren Projekten?

Alle unsere Projekte liefern laufend Ergebnisse. Wir konnten zum Beispiel für die Skalierung von Flammentransferfunktionen für Wasserstoff erste Ansätze entwickeln und veröffentlichen. Das war eine Herausforderung, da Wasserstoff besondere Charakteristiken besitzt und man Aussagen über das Verhalten der Flamme von Wasserstoff in der Maschine basierend auf atmosphärischen Tests nur schwer treffen kann.

Weiter entwickelten wir für die Modellierung hochfrequenter Verbrennungsschwingungen ein Simulationstool, das zur Vorhersage genutzt werden kann. Das ist wichtig für die Entwicklung von neuen Gasturbinenbrennkammern. Diese Ergebnisse wurden in einschlägigen Journals veröffentlicht und auf internationalen Konferenzen präsentiert. Das Feedback der Industriepartner und der Akademie war sehr positiv. Gerade vor kurzem hatte einer meiner Doktoranden auf diesem Thema seine Verteidigung erfolgreich gemeistert.

Welche Rahmenbedingungen fordern bei der Arbeit heraus?

Die Drittmittelakquise für unsere Forschung wird immer herausfordernder. Immer mehr Akteure bewerben sich auf die zur Verfügung stehenden Mittel. Kürzungen im Bundesetat und auf europäischer Ebene treffen uns direkt. Einige Forschungsgruppen sind ausserdem von der Unsicherheit der Firmen über die wirtschaftliche Lage und daraus folgenden zögerlichen Investitionen betroffen. Wir arbeiten mit vielen Industrieunternehmen aus unterschiedlichen Branchen des Energiesystems und Grössen, von KMU bis zu Weltkonzern, Forschungsinstitutionen und staatlichen sowie privaten Organisationen zusammen. Da gibt es viele Aspekte, die eine Rolle spielen.

Wieso ist eure Arbeit im Bereich Erneuerbare Energien für die Öffentlichkeit relevant?

Am IEFE betreiben wir angewandte Forschung in einer Vielzahl von relevanten Feldern, welche oft einen direkten Einfluss auf Produkte unserer Partner hat. Die Umstellung des Energiesystems, um dem Klimawandel zu begegnen, ist eine Herkulesaufgabe, die uns alle betrifft. Dies ist nur durch gemeinsame Anstrengungen zu bewältigen. Energiespeicher, die Bereitstellung von sicherem, sauberem und verfügbarem Strom, CO2-Neutralität, die Netzstabilität sowie moderne, effiziente, robuste Wärmepumpen, Kälteanlagen und Wärme-Kälte-Systeme werden in Zukunft zentral sein – alles Themen, an denen wir arbeiten.

Was waren Höhepunkte der vergangenen Jahre am Institut?

Wir konnten sehr erfolgreich grosse EU-Projekte akquirieren, besonders solche im Zusammenhang mit Wasserstoff. Mehrere Projekte sind gestartet und laufen. Vor kurzem hat unser Konsortium fürs Projekt FLEX4H2, in dem wir ein sicheres, effizientes und brennstoffflexibles Verbrennungssystem entwickeln, den Preis als Best Success Story an den Europäischen Clean Hydrogen Partnership Awards für unsere Errungenschaften in der Wasserstoffverbrennungstechnologie gewonnen. 

Am Institut haben wir verschiedene Prüfstände aufgebaut, zum Beispiel um die Wasserstoffverbrennung experimentell zu untersuchen. Ausserdem haben wir unseren Rechencluster signifikant erweitert. Das ist auch ein Grund, weshalb wir in so vielen Forschungsprojekten ein gefragter Partner sind.

Welche Ziele wollt ihr in den kommenden Jahren erreichen?

Wir wollen weiterhin ein verlässlicher Partner in thermischen und elektrischen Fragestellungen im Bereich Energie sein und durch angewandte Forschung zusammen mit unseren Industriepartnern einen Beitrag zum CO2-freien Energiesystem der Zukunft leisten. Im neuen Gebäude TT, das wir nach Fertigstellung beziehen, erweitern wir unsere Testfähigkeiten beispielsweise durch eine Power-to-H2-to-Power-Anlage und eine Mikrogasturbine. Diese Anlagen sind ziemlich besonders und eine tolle Voraussetzung zur Akquise weiterer Forschungsgelder.