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«Es gibt 465 Bio- und Eco-Label in 199 Ländern»

Mit Testergebnissen und Gütesiegeln werben Unternehmen um Vertrauen. Doch wie finden sich Konsumenten im Label-Dschungel zurecht? Ein Auszug des Interviews mit den ZHAW-Marketingexperten Senem Glaunsinger und Frank Hannich in der aktuellen Ausgabe des Hochschulmagazins ZHAW-Impact mit dem Dossier «Getestet».

ZHAW-Impact Nr. 35 vom November 2016

Das Joghurt im Kühlschrank trägt ein Gütesiegel mit den Schlagworten «Tierwohl», «Klimaneutrale Herstellung», «Sicherung bäuerlicher Familienbetriebe». Da hat man doch gleich ein gutes Gewissen. Ist das berechtigt?

Senem Glaunsinger: Die Bauern in der Schweiz durchlaufen einen sehr aufwendigen Zertifizierungsprozess, bevor sie Siegel wie die Bio-Knospe verwenden dürfen. Sie müssen beweisen, dass sie diese Werte leben. Auch später werden sie immer wieder überprüft, ob sie die Vorgaben einhalten. 

Sind Joghurts mit solchen Siegeln nachhaltiger als jene ohne?

Senem Glaunsinger: Nicht unbedingt. Wenn es sich um ein Joghurt aus Schweizer Milch handelt, dann nicht. In der Schweiz gibt es recht hohe Standards für Tierhaltung und Umweltschutz – anders als in der EU. Die Bio-Knospe ist dann ein Hinweis, dass der Bauer zusätzlich etwas für das Tierwohl tut.

Bleiben wir bei den Bio-Labeln: Fast jeder Handelskonzern hat sein eigenes. Dann gibt es mehr oder weniger strenge Label von Erzeuger- oder Umweltorganisationen oder jenes der EU.

Senem Glaunsinger: Es gibt 465 Bio- und Eco-Label aus 25 Industriesektoren in weltweit 199 Ländern. 

Wie soll man sich da noch zurechtfinden?

Senem Glaunsinger: Orientierung kann zum Beispiel die Website labelinfo.ch bieten. Sortiert nach Produktgruppen findet man hier Hintergrundinformationen zu allen in der Schweiz gängigen Labeln.

Frank Hannich: Auch Konsumentenschutzorganisationen oder der WWF sind eine gute Quelle. Allgemein schafft heutzutage das Internet Transparenz unter anderem mit Vergleichsplattformen wie Holidaycheck im Ferienbereich oder Comparis. Für Konsumentinnen und Konsumenten sind die Peer-to-Peer-Kommentare – also das, was Personen, die in der gleichen Situation sind, über die Marke sagen – sehr wichtig.

Im Textilbereich fehlt ein Label, das umfassend eine sozial- und umweltverträgliche Produktion von Kleidung garantiert. Weshalb?

Senem Glaunsinger: «Das» Label im Textilbereich gibt es zwar nicht, aber es gibt schon einige vertrauenswürdige Label. Zum Beispiel «Naturaline», mit dem Coop verspricht, dass Bio-Baumwolle verwendet wird und soziale Standards eingehalten werden. Oder analog dazu das «Eco» der Migros. International sind hier vielleicht noch «Fair for life» oder «Cotton made in Africa» zu nennen, die auch die Produktionsprozesse von Textilien unter die Lupe nehmen.

Wie anspruchsvoll Garantien im Sozialbereich sind, weiss jedes Textilunternehmen, das schon mal wegen Kinderarbeit oder anderen sozialen Missständen bei Zulieferern in die Schlagzeilen geraten ist.

Frank Hannich: Je häufiger die Grundstoffe weiterberarbeitet und weitergereicht werden, desto komplizierter wird es, die Prozesse zu kontrollieren. Das ist im Textilbereich viel komplexer, als wenn man Nüsse in Südamerika einkauft, verpackt und in den Laden liefert.

Senem Glaunsinger: Die Bestandteile einer Jeans kommen aus vielen verschiedenen Ländern. Die Knöpfe werden in China hergestellt, die Reissverschlüsse in Thailand, die Baumwolle in Usbekistan, und gewebt und verarbeitet wird der Stoff nochmals woanders. Dies unter Kontrolle zu haben, ist für globale Marken eine echte Herausforderung.

Wie viele Gütesiegel gibt es in der Schweiz?

Frank Hannich: Konkrete Zahlen kann ich keine nennen. Aber man kann sagen, dass die Konkurrenz zwischen Labeln fast so stark ist wie zwischen Produkt- und Dienstleistungsmarken. Die Spielregeln sind auch ganz ähnlich. Eine Marke, die niemand kennt, schafft kein Vertrauen und ist nichts wert. Für ein Label, das niemand kennt, gilt dasselbe – zumindest aus Marketingsicht. Deshalb macht die Bekanntmachung der Label heutzutage bei vielen Zertifizierungsorganisationen einen grossen Anteil der Anstrengungen aus.

Vertrauen zu schaffen, ist ja der Kern der Siegel. Bewirkt man mit dem Wirrwarr nicht das Gegenteil?

Frank Hannich: Absolut. Der Verbraucher sagt sich: Wenn jedes Produkt ein Siegel hat, dann ist es ja egal, welches ich kaufe. Ein Schritt in die richtige Richtung sind deshalb Branchen- und Verbandsinitiativen. In der Kakaoverarbeitung hat etwa das UTZ-Siegel breite Akzeptanz, weil die ganze Branche wegen der sozialen Bedingungen beim Anbau in der Kritik steht. Zum Teil werden staatliche Aufgaben an diese Branchen- und Berufsverbände ausgelagert, die dann fast schon gesetzlichen Charakter in der Branche haben. Andererseits gibt es auch Initiativen, wo man den Eindruck hat, dass Produzenten, die in einem Bereich einen Nachteil haben, versuchen, gezielt Verwirrung zu stiften, indem sie ein eigenes Label kreieren, von dem niemand weiss, was es bedeutet. Oder es gibt im Lebensmittelbereich sogar gezielte Fälschungen als Teil der organisierten Kriminalität.

Senem Glaunsinger: Wenn man die Gütesiegel kategorisiert in staatliche Gütesiegel, jene von Organisationen oder Verbänden und firmeneigene Siegel, dann würde ich sagen, dass man einem firmeneigenen Label eher weniger traut als einem, das eine unabhängige Organisation verliehen hat. Es fehlt grundsätzlich die Transparenz bei den Labeln. Der Kunde fragt sich: Ist die Bio-Knospe ebenbürtig mit Migros-Bio? Oder wo sind da die Unterschiede?

Ist eine Ware oder eine Dienstleistung, die ein Gütesiegel trägt, schon per se besser oder vertrauenswürdiger als jene ohne?

Senem Glaunsinger: Das hängt vom Land ab, aus dem sie stammen. Handelt es sich um Produkte aus der Schweiz, kann man nicht sagen, dass Produkte ohne Label grundsätzlich schlechter sind. Bei einem Land mit fragwürdigen politischen und sozialen Bedingungen sieht das anders aus.

Interview: Patricia Faller

Senem Glaunsinger

Senem Glaunsinger ist Studienleiterin des CAS Marketing- & Corporate Communications sowie des CAS Brand  Management und Programm Managerin des CAS Health Care Marketing an der ZHAW School of Management and Law. Die Schwerpunkte der wissenschaftlichen Mitarbeiterin sind unter anderem die strategische Markenführung, Internal Branding und Kommunikationspolitik.

Frank Hannich

Frank Hannich ist Dozent im Bereich Marketing an der ZHAW School of Management and Law. Der Betriebsökonom leitet die Fachstelle Strategic Customer Relationship Management. Er ist Studiengangleiter des Master of Advanced Studies in Marketing Management. Professor Hannich doziert und forscht in den Bereichen Marketing mit Schwerpunkt CRM, Sport Marketing und Marktforschung.

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Mehr zum Thema «Getestet» in der aktuellen Ausgabe des ZHAW-Impact: Wie weist man hormonaktive Substanzen nach? Wer eignet sich als Pilotin oder Bankmanager? Was kann man gegen Prüfungsangst unternehmen?

Aktuelle Ausgabe ZHAW-Impact(PDF 4,5 MB)