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Ein Pionier der Barrierefreiheit

Seit über 20 Jahren entwickelt Alireza Darvishy computergestützte Lösungen zur Überwindung von Barrieren. Aus eigener Erfahrung weiss er aber auch, dass die Hürden nicht immer rein technischer Natur sind.

Alireza Darvishy leitet das ICT-Accessibility Lab an der ZHAW School of Engineering.
Alireza Darvishy leitet das ICT-Accessibility Lab an der ZHAW School of Engineering.

Alireza Darvishy leitet das ICT-Accessibility Lab an der ZHAW School of Engineering. In diesem nationalen Kompetenzzentrum geht es darum, ICT-basierte Lösungen zur Überwindung von Barrieren für Menschen mit Beeinträchtigungen zu konzipieren und zu implementieren. Als beeinträchtigt gelten schätzungsweise zehn bis 15 Prozent der Gesamtbevölkerung. Das muss keine Behinderung, sondern kann auch eine Alterserscheinung sein. Häufig hört Alireza Darvishy die Frage: Warum den Aufwand betreiben für nur zehn Prozent der Bevölkerung? Er entgegnet, dass Barrierefreiheit nicht immer als Speziallösung gesehen werden sollte: «Wenn beispielsweise die Strassen besser markiert und gut sichtbar sind, dann nützt das ja schlussendlich allen. Oder wer ein Haus baut, denkt ja auch an den Feuerschutz, obwohl die Wahrscheinlichkeit gering ist, dass es jemals brennen wird.» Und genauso verhält es sich mit der Barrierefreiheit in der ICT – mit übersichtlichen Webseiten, vorlesbaren Dokumenten und für alle zugängliche mediale Inhalte. Das Nutzen ist der zentrale Aspekt in Darvishys Forschungsfeld. Dabei geht es aber nicht nur darum, neue Technologien zu entwickeln, sondern auch darum, Bestehendes nutzbar zu machen. Beispielhaft dafür steht das Projekt PAVE – ein Webtool, das PDF-Dateien auf ihre Barrierefreiheit prüfen und verbessern kann, so dass sie sich für Vorleseprogramme eignen. Das Webtool ist als einziges frei verfügbares Programm inzwischen weltweit bekannt.

Informatik bot grosse Chance

Zusammen mit fünf Geschwistern aufgewachsen hat Alireza Darvishy früh gelernt, sich durchzusetzen. Daran änderte sich auch nichts, als er durch einen Unfall im Alter von 15 Jahren schwer sehbehindert wurde. Im Gegenteil: «Ich wusste immer, was ich wollte», so Darvishy. Von seinen Eltern, die selbst als Lehrer arbeiteten, hat er auf seinem Bildungsweg die nötige Unterstützung erfahren. Die Informatik war in den 1980er-Jahren noch etwas weitgehend Unbekanntes und bot ihm eine grosse Chance, wie er selber sagt: «Ich spürte, dass mir dieses Gebiet ganz neue Perspektiven eröffnet.» Darvishy durfte für das Studium aus dem Iran in die Schweiz reisen. Hier hatte er die Möglichkeit, einen weltweit neuen Computer mittels Braille-Display zu bedienen und auf diese Weise Programmieren zu lernen. «Ich war überaus motiviert, ehrgeizig und zielstrebig», sagt Darvishy. Neben dem Zugang zur Technik verschaffte sich Darvishy auch Zugang zu den Büchern, die es damals noch nicht in elektronischer Form gab. «Die Lehrbücher haben meine Freunde auf Band gesprochen und ich hatte dann eine ganze Bibliothek mit Hunderten von Kassetten.»

Mehr Sensibilisierung nötig

Auf seinem Weg betrieb Alireza Darvishy einen enormen Aufwand, der sich auch auszahlen sollte. «Bildung ist für einen Menschen mit Behinderung noch wichtiger, um sich gut in die Gesellschaft integrieren zu können», so Darvishy. Längst hat er sich bewiesen. Neben anderen Auszeichnungen erhielt er im Jahr 2016 einen Preis von der UNESCO für sein Engagement in der digitalen Befähigung von Menschen mit Behinderungen. Aber auch als Hochschulprofessor erlebt Darvishy häufig Momente, in denen sein Gegenüber entweder nicht genügend sensibilisiert ist, um Verständnis für seine spezifischen Bedürfnisse aufzubringen oder aber die Behinderung im Vordergrund steht anstelle seiner Fachkompetenz. «Für viele Menschen ist es schwer zu akzeptieren, dass ich genauso ein Fachmann auf meinem Gebiet sein kann wie ein Mensch ohne Beeinträchtigung», sagt Darvishy. «Ein solches Verhalten ist hinderlicher als die Beeinträchtigung an sich.» Deswegen wünscht er sich mehr Sensibilisierung, und das möglichst früh. «Kinder sollten schon in der Schule mit Menschen in Kontakt kommen, die Beeinträchtigungen haben, dann ist das für sie etwas Normales – auch später als erwachsener Mensch», sagt Darvishy. «Nur wer die Barriere erkennt, kann auch helfen, Lösungen zu finden.»

Kämpfen für Hochschulen ohne Barriere

Auch Menschen mit Behinderung sollten sensibilisiert werden, findet Alireza Darvishy. Oft würden sich Betroffene in der Opferrolle verstecken. «Ohne zu kämpfen kommt man nicht weiter im Leben, egal ob mit oder ohne Behinderung», ist er überzeugt. Seit einigen Monaten arbeitet Darvishy zusammen mit Forschungspartnern aus anderen Schweizer Hochschulen an einem neuen Projekt zum Thema Chancengleichheit. Gemeinsam entwickelt man Lösungen, wie die Arbeit von Forschenden, Lehrenden und Nachwuchsforschern mit Behinderungen an Schweizer Hochschulen ohne Barrieren gestaltet werden kann. Darüber hinaus will das Projekt Forschende mit und ohne Behinderungen vernetzen. «Ich bin nicht für irgendwelche Quoten», sagt Darvishy. «Aber die Hürden könnten niedriger sein und daran arbeiten wir.»