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Seismograf für die Eurozone

In welchen Konstellationen drohen schwankende europäische Staatsanleihen den Rest der Eurozone anzustecken? Messinstrumente von Peter Schwendner, Forscher am Institut für Wealth & Asset Management der ZHAW School of Management and Law, geben Antworten.

Impact Nr. 32 vom März 2016

Die neue Linksregierung in Portugal will die Austeritätspolitik lockern. Spaniens Sozialisten bekunden wochenlang Mühe, eine tragfähige Regierung zu bilden. Finanzmarktspezialist Peter Schwendner visualisiert, wie die iberischen Staatsanleihen unter Druck geraten. «Sehen Sie hier», sagt der Forscher und Dozent an der ZHAW School of Management and Law und zeigt auf eine interaktive Europakarte. Verschiedenfarbige Pfeile symbolisieren die Kräfte, die auf die Staatsanleihen der Eurozone einwirken. Wöchentliche Auswertungen erlauben es einzuschätzen, wie gross die Gefahr ist, dass die Schwäche einzelner Staaten auf andere Euroländer übergreift.

Beim ESM offene Türen eingerannt

Dieses Instrument – es nennt sich «Contagion Risk Monitor» – hat der 44-jährige Forscher am Institut für Wealth & Asset Management zusammen mit Physikern des ZHAW-Instituts für Angewandte Simulation entwickelt. Es handelt sich um eine Art Seismografen, der selbst minime Erschütterungen an Märkten für Staatsanleihen registriert. Entstanden ist der Ansatz im Rahmen eines Projekts in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), der in Luxemburg als Teil des Euro-Rettungsschirms tätig ist.Beim ESM schien Schwendner offene Türen einzurennen, als er sein Vorhaben per Mail vorstellte. Der ESM interessierte sich für das Projekt des Finanzmarktpraktikers, um Gespräche mit Investoren und Politikern besser mit evidenzbasierten Aussagen begleiten zu können. Die Resultate sind im «Journal of Network Theory in Finance» nachzulesen. Es zeigte sich, dass die Investoren den ESM-Anleihen vertrauen und dass die technischen Instrumente genügen, um die Stabilitätsprobleme in der Eurozone zu lösen, solange der politische Konsens intakt bleibt.

Der Clou am Seismografen ist, dass er sich auf echte Signale beschränkt. Zufällige Ausschläge filtert er heraus. Damit ist er aussagekräftiger als der übliche Blick auf die Zu- oder Abnahme von Renditen unterschiedlicher Staatsanleihen. Fehlsignale gibt es im Alltag viele, etwa in illiquiden Märkten. Das weiss Schwendner aus seiner Finanzmarktpraxis. Während 15 Jahren analysierte der promovierte Physiker die Ausschläge und die Muster von Börsendaten, zuletzt bei einem Anbieter von Staatsanleihen-Absicherungsprodukten für Pensionskassen, davor in der Derivateabteilung einer renommierten deutschen Privatbank: «Finanzmarktakteure versuchen, Marktbewegungen zu antizipieren, andere reagieren darauf, Netzwerkeffekte entstehen.»

Weshalb verhält sich der Markt anders?

Unversehens aber veränderten sich die lange gültigen Muster, nachdem die Notenbanken die Finanzkrise mit ihrer beispiellosen Liquiditätsschwemme bekämpft hatten. Keiner konnte die Vorgänge erklären. Schwendners Forscherehrgeiz war geweckt. 2013 wechselte er an die ZHAW, um die Zusammenhänge zu ergründen. Nach der Studie mit dem ESM will er das Instrument mit weiteren europäischen Partnern breiter nutzen. Ziel ist, den Zusammenhang von Wirtschafts- und Kapitalmarktdaten sowie der politischen Stimmung in diversen Ländern aufzuzeigen. Damit liessen sich Verhandlungen vielleicht rationaler führen, und es könnte verhindert werden, dass monatelang blockierte Entscheidungen den Volkswirtschaften schaden.

Autor: Thomas Müller