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Von der Idee bis zum Prototyp: Neues Getriebe für einen elektrischen Müllwagen

Unterricht mit Start-up-Feeling: Ein echtes Produkt entwickeln die Studierenden der School of Engineering in der Projektschiene. Gefördert werden neben Fach- auch Sozial- und Kommunikationskompetenzen.

Impact Nr. 33 vom Juni 2016

«Wir machen so etwas wie Tesla – nur für einen Laster»: Einblick in den Unterricht für angehende Ingenieure der School of Engineering.

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Sie heissen Driveco, Lorr-E oder Chraftwerk Engineering: Insgesamt sechs kleine Firmen befinden sich im Raum eines ehemaligen Sulzer-Gebäudes am Lagerplatz in Winterthur. Getrennt sind sie nur durch dünne Stellwände, an denen Konstruktionspläne hängen. Auf den Laptop-Bildschirmen sind Visualisierungen zu sehen, auf den Tischen stehen Modelle, und darum herum diskutieren junge Leute. Was nach Start-up-Business klingt, ist in Wirklichkeit die sogenannte Projektschiene, ein Unterrichtsmodul im ZHAW-Studiengang Maschinentechnik. Die Klasse befindet sich im vierten Semester des Studiums und hat sich in sechs Teams aufgeteilt oder, besser: in sechs imaginäre Ingenieurbüros. Der Auftrag: Ein LKW der Müllabfuhr soll auf elektrischen Antrieb umgerüstet werden. Dazu braucht es ein neues kompaktes Getriebe. Dieses sollen die angehenden Ingenieure konzipieren, berechnen und im CAD konstruieren sowie ein Funktionsmuster bauen.

Stop-and-go-Fahren verursacht einen hohen Dieselverbrauch

«Bisher sind diese Fahrzeuge höchst ineffizient unterwegs. Das stundenlange Stop-and-go-Fahren verursacht einen exorbitanten Dieselverbrauch», erklärt Gabriel Schneider, Dozent für Produktentwicklung am ZHAW-Zentrum für Produkt- und Prozessentwicklung (ZPP). «Die Studierenden erarbeiten nun Lösungskonzepte für dieses Problem.»

Beim Auftraggeber handelt es sich um die Winterthurer Firma Designwerk, die sich auf die Elektrifizierung von Fahrzeugen spezialisiert hat. Auch einen elektrisch angetriebenen Mülltransporter hat Designwerk bereits konzipiert. Um weitere Varianten und Ideen für die Anordnung von Elektromotor, Getriebe und Antrieb auf die Räder zu entwickeln, ist die Firma mit dem Auftrag an das ZPP herangetreten. «Die Studierenden kennen die Geometriedaten des Lastwagens und wissen, was für Leistungsprofile nötig sind», erklärt Schneider und fährt fort: «Wie sie die Aufgabe im Detail lösen, lassen wir aber völlig offen – kreative, neue Wege sind dabei absolut erwünscht.»

Die Studierenden haben ein Semester lang Zeit. Am Ende präsentieren alle Gruppen dem Auftraggeber ihre Lösung. «Gut möglich, dass die besten Lösungsansätze in das Konzept von Designwerk miteinfliessen», so Schneider. Innerhalb des Teams nehmen die Studierenden verschiedene Expertenrollen ein. Wie in einer richtigen Firma gibt es Verantwortliche für Berechnung, Konstruktion, Einkauf oder die Projektleitung. Das setzt Teamarbeit voraus: Die jeweiligen Experten müssen sich untereinander abstimmen, um eine gute Lösung zu finden.

Präsentation vor echten Auftraggebern

Die Studierenden spielen auf diese Weise reale Entwicklungsabläufe durch. «Das selbstständige Arbeiten im Team macht einerseits Spass, ist andererseits aber auch eine Herausforderung», meint Maschinentechnik-Student Philipp Glauser und fügt hinzu: «Dass wir unsere Lösungsvorschläge nicht nur den Dozenten, sondern einem echten Auftraggeber vorstellen dürfen, wirkt sich besonders motivierend auf unsere Arbeit aus.» Sein Kommilitone Armin Gemperle schlägt ähnliche Töne an: «Die Projektschiene ist für mich bisher das spannendste Modul des Studiums, weil wir hier die gelernte Theorie praktisch anwenden. Ich könnte mir auch gut vorstellen, nach dem Studium in der Produktentwicklung zu arbeiten.»

Die Projekte durchlaufen die typischen Entwicklungsphasen: von der Idee über das Konzept zu konkreten Konstruktionsplänen bis hin zur Gestaltung am Computer und als physisches Modell. Die Studierenden bauen schliesslich funktionstüchtige Modelle oder in anderen Fällen ganze Prototypen, was Schneider für elementar hält: «Nur die Hardware gibt einem die unmittelbare Reflexion; man sieht das Ergebnis und lernt daraus. Denn Papier ist ja bekanntlich geduldig und CAD-Modelle auch.» Am konkreten Produkt lassen sich Fragen zu Grösse, Design und Ergonomie beantworten – und Fehler sind schwer zu verschleiern. Dass die Ingenieure an ihren entwickelten Produkten wachsen, ist laut Schneider das, was die Projektschiene erreichen will. Zur physischen Umsetzung ihrer Modelle stehen den Studierenden am ZPP das Material und eine moderne Infrastruktur unter anderem mit 3D-Drucker, Lasercutter und Kunststoffbieger zur Verfügung.

«Dass wir unsere Lösungsvorschläge einem echten Auftraggeber vorstellen dürfen, wirkt besonders motivierend.»

Philipp Glauser, Student

Neben fachlichen und sozialen Kompetenzen geht es in der Projektschiene auch um Kommunikation, erklärt Schneider: «Das beste Konzept nützt wenig, wenn man den Kunden nicht davon zu überzeugen weiss. Ingenieurinnen und Ingenieure sollten in der Lage sein, dem Kunden auch kommunikativ auf Augenhöhe zu begegnen.» Deshalb erhalten die Klassen zusätzlich Besuch von Sprachdozenten für Deutsch und Englisch. Neben einer sauberen Projektdokumentation und dem Umgang mit Textsorten lernen die Studierenden, ihre Arbeit adressatengerecht zu präsentieren. «Die Studierenden üben den Umgang mit unterschiedlichen Zielgruppen wie Laien oder Experten», erklärt Renate Kummer, Dozentin für Deutsch und Kommunikation am Departement für Angewandte Linguistik. «Die Präsentationen dienen auch dazu, den Kundinnen und Kunden Rede und Antwort zu stehen – angemessen und kompetent auf Fragen und Einwände einzugehen.» Durch die ganz real aufgebauten Kommunikationsabläufe mit Auftraggebern erhalten die Studentinnen und Studenten, Routine in der Kommunikation.

Diese Projektschiene im Studiengang Maschinentechnik wird nicht nur am ZPP veranstaltet, sondern dort auch stetig weiterentwickelt. «Wir hinterfragen die Inhalte und Abläufe im Unterricht permanent, um die Studierenden noch besser auf die Praxis vorzubereiten», so ZPP-Leiter Adrian Burri. «Daraus ist zum Beispiel entstanden, dass wir die Aufgabenstellung viel offener formulieren als früher und dass die Studierenden ihre Modelle auch physisch erstellen, anstatt nur am Computer.» Ab dem kommenden Herbstsemester sollen Projekte auch über die Dauer von zwei Semestern realisiert werden. Laut Burri könnten die Studierenden so beispielsweise in einem Semester das Konzept und das Modell erarbeiten, im nächsten Semester dann einen richtigen Prototyp erstellen. «Es ist wichtig, Produkte zu entwickeln, für die es keine offensichtliche Lösung gibt und die Studierenden nicht wissen, wie das Ganze am Schluss aussehen soll. So können sie unvoreingenommen unterschiedliche Wege ausprobieren – vielleicht auch einmal einen falschen wählen und dann daraus lernen.» Vielleicht wird auf diese Weise aus dem einen oder anderen imaginären Ingenieurbüro dank innovativer Ideen doch noch ein Start-up-Business.

Autor: Matthias Kleefoot