Intervention
Sozipedia – Kolumne über Fachbegriffe auf Abwegen

Wir agieren in der Sozialen Arbeit auf vielfältige Weise. «Beraten», «unterstützen», «fördern», «animieren», «gestalten», sogar «managen»: So lauten Schlüsselbegriffe in Stellenprofilen der Sozialen Arbeit. «Intervenieren» hingegen taucht als Tätigkeitsbeschreibung seltener auf, vermutlich, weil wir den Begriff alltagssprachlich mit etwas Übergriffigem verbinden. Intervention wird oft verstanden als ein eingreifendes Durchsetzen von Macht und Stärke, mit dem ein höheres, meist paternalistisch definiertes Ziel erreicht werden soll. Aber trifft dieses Bild den Begriff der Intervention wirklich?
Ein Blick auf die Wortherkunft ermöglicht einen breiteren Zugang: Das lateinische «intervenire» bedeutet wörtlich übersetzt «dazwischenkommen» und wurde vielfach als «vermitteln» oder «für jemanden eintreten» verstanden. Erst als die internationale Diplomatie im 19.Jahrhundert ausgebaut wurde, erhielt der Begriff die Konnotation von machtgestützter Interessendurchsetzung.
Dazwischenkommen, vermitteln, für jemanden eintreten – aus der Perspektive einer adressat:innenorientierten, partizipativen und anwaltschaftlichen Sozialen Arbeit erschliessen diese Bedeutungen des Begriffs ein anderes Verständnis von Intervention, das eher prozess- und entwicklungsorientiert ist. Intervention, so der 2013 verstorbene Sozialpädagoge Burkhard Müller sinngemäss, sei das unmittelbare, zielgesteuerte und auf eine konkrete Wirkung hin ausgerichtete Einmischen der Sozialen Arbeit in die Lebensrealitäten ihrer Adressat:innen. Dieses Einmischen dürfe vorhandene Potenziale der Selbstbestimmung nicht gefährden und müsse sich an strengen Kriterien messen lassen. Dies vor allem dann, wenn die Intervention im Zwangskontext erfolge. Der Königsweg aller Intervention bleibe deshalb stets das gemeinsame Handeln von Sozialer Arbeit und Adressat:innen in einem über faire Kompromisse und tragfähige Beziehungen entwickelten Arbeitsbündnis; nur in einem solchen koproduktiven Prozess könne Intervention nachhaltig Wirkung entfalten.
Gelingende, fachlich und ethisch angemessene Interventionen setzen deshalb ein fundiertes Fallverstehen voraus. Sie verlangen von der Sozialen Arbeit ein professionelles Einlassen auf die Lebenslagen, Deutungsmuster und manchmal diffusen Beziehungsangebote des Gegenübers. Ihr Ausgangspunkt ist immer der Respekt gegenüber der Biografie, dem Alltag und den Bewältigungsstrategien unserer Adressat:innen.
Die Kolumne als Podcast
Wollen Sie mehr hören über Fachbegriffe der Sozialen Arbeit hören, deren Bedeutung im Laufe der Jahre durch häufigen Gebrauch vielleicht verwässert wurde?
Martin Biebricher, Co-Studiengangleiter Bachelor, spricht mit Menno Labruyère, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Digital Campus und ausgebildeter Sozialarbeiter, im gleichnamigen Podcast regelmässig über Fachbegriffe auf Abwegen.
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