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Unterstützung für psychisch kranke Eltern

Mit dem Projekt «SanaChild» bieten das Sanatorium Kilchberg und das Kinder- und Jugendhilfezentrum Horgen eine Beratung für Patientinnen und Patienten mit Kindern an. Die ZHAW Soziale Arbeit hat die Pilotphase wissenschaftlich begleitet.

Klärt man als Mutter oder Vater seine Kinder nicht über seine psychische Erkrankung auf, geben sie sich oftmals die Schuld dafür. (Bild: iStock)

Von Regula Freuler

Wie sage ich es meinem Kind? «Das ist weitaus die häufigste Frage, die mir gestellt wird», sagt Linda Kühni. Sie ist eine der beiden Sozialarbeiterinnen des Kinder- und Jugendhilfezentrums Horgen, die im Rahmen des Projekts «SanaChild» alternierend jeden Mittwochnachmittag im Sanatorium Kilchberg psychisch erkrankte Mütter und Väter beraten.

«Viele Eltern verschweigen ihren psychischen Zustand den Kindern aus Sorge, dass es diese zu sehr belastet oder dass sie sich fürchten», weiss Kühni, die vor ihrem Studium der Sozialen Arbeit an der ZHAW als ausgebildete Psychiatriepflegefachfrau tätig war. Manche schämen sich auch. Doch das Verheimlichen macht es nur schlimmer – für beide Seiten. So geben sich viele in Unkenntnis gelassene Kinder selbst die Schuld an der Situation: Vielleicht weint Mama immer, weil ich nicht brav bin? Will Papa nicht mehr mit mir spielen, weil ich mein Zimmer nicht aufräume? Manche beginnen auch, eine Erwachsenenrolle zu übernehmen. «Sie erledigen dann Aufgaben, denen sie nicht gewachsen sind», sagt Kühni.

Hilfe zur Selbsthilfe

Laut einer Studie leben in der Schweiz rund 20'000 bis 50'000 schulpflichtige Kinder mit psychisch krankem Elternteil, die Dunkelziffer dürfte noch viel grösser sein. Sie haben ein mehrfach erhöhtes Risiko, später selbst psychisch zu erkranken. Ebenso sind sie häufiger von Misshandlungen und Vernachlässigung betroffen. Dennoch kommen Kinder in Therapieplänen der Psychiatrie oft nur am Rande oder gar nicht vor.

Die Sozialarbeiterin Linda Kühni, die im kjz Horgen hauptsächlich als Beiständin und Vormundin von Kindern und Jugendlichen tätig ist, berät die Eltern im Sanatorium Kilchberg darum nicht nur in juristischen und finanziellen Fragen wie zu Besuchsrecht, Obhutsrecht und Alimentenhilfe. Viel häufiger geht es in den Beratungen um Erziehungsfragen, wie man mit dem Kind über die Krankheit spricht und wie man den Wiedereinstieg in den Alltag nach dem Klinikaufenthalt abfedern könnte.

«SanaChild» ist sozusagen Hilfe zur Selbsthilfe. Das heisst, die Sozialarbeiterinnen informieren die Eltern über Dienstleistungen und vermitteln Adressen. Den nächsten Schritt müssen die Eltern aber in der Regel selbst tun – ausser, sie wollen es nicht. «Es ist sehr wichtig, dass die Entscheidung in ihrer Hand liegt», sagt René Meyer.

Eltern behalten Kontrolle

Der Leiter des Horgener Kinder- und Jugendzentrums (kjz) initiierte das Projekt «SanaChild» im Jahr 2019. Immer wieder hatte er festgestellt, dass psychisch belastete Eltern sich kaum nach einem der zahlreichen Unterstützungsangebote erkundigen. «Viele fürchten, dass man ihnen die Kinder wegnimmt, was so nicht stimmt», sagt Meyer. Müssen sie jedoch selbst aktiv werden, liegt nicht nur die Verantwortung, sondern auch die Kontrolle bei ihnen. Auf diese Weise können Ängste abgebaut werden.

Für Familienberatungsstellen ist es auch oftmals herausfordernd, eine Zusammenarbeit mit Kliniken aufzubauen und zu etablieren. Bei Harald Müller, dem Pflegedirektor des Sanatoriums Kilchberg, stiess der kjz-Leiter mit seiner Anfrage auf grosses Interesse. Rund 20 bis 25 Prozent der Patientinnen und Patienten haben minderjährige Kinder, doch sie zu erreichen, sei mit anderen Angeboten bisher nur stockend gelungen. Bei «SanaChild» sei das nun anders, sagt Müller, der das Projekt gemeinsam mit René Meyer leitet. Seit dem Start im Juli 2019 sind die Termine an den Mittwochnachmittagen sehr gut gebucht. Woran liegt das?

Neben der gelungenen Kommunikation mit dem therapeutisch tätigen Personal sei vor allem die Niederschwelligkeit des Angebots ausschlaggebend, ist Harald Müller überzeugt: «Die Eltern wissen, dass die Gespräche vertraulich behandelt werden. Es gibt keinen inhaltlichen Rapport zwischen dem Klinikteam und den Sozialarbeitenden.» Letztere würden die Klinik im Falle einer Kindswohlgefährdung zwar informieren. «Aber in diese Situation sind wir zum Glück nie gekommen», so Harald Müller.

Vermittlung durch psychiatrisches Fachpersonal

«SanaChild» wurde mit einer Anschubfinanzierung des Amts für Jugend und Berufsberatung des Kantons Zürich ermöglicht. Silvia Gavez und Julia Quehenberger, wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am Institut für Kindheit, Jugend und Familie der ZHAW Soziale Arbeit, haben die Pilotphase zwischen Juli 2019 und April 2020 wissenschaftlich begleitet. Dabei stellten sie fest, dass das Projekt tatsächlich eine wichtige Ergänzung zur Erwachsenenpsychiatrie bietet.

Das stationäre Fachpersonal hatte die Aufgabe, die Patientinnen und Patienten auf «SanaChild» aufmerksam zu machen und sie bei Bedarf anzumelden. Über 70 Prozent der Eltern, die sich beraten liessen, wurden auf diese Art auf das Angebot aufmerksam. Laut Gavez und Quehenberger sprechen diese Zahlen für eine gelungene Umsetzung und Verankerung des Projektes. Der Umstand, vor Ort beraten zu werden, dürfte zum Erfolg ebenfalls stark beigetragen haben.

Vorbild für andere Kliniken

Über ein Drittel der Empfehlungen, welche die Sozialarbeiterinnen abgaben, betrafen Angebote der Jugend- und Familienhilfe der jeweiligen Wohnorte der Familien. Wie viele Eltern anschliessend eine Hilfeleistung in Anspruch nahmen und welche, oder ob sie sich hauptsächlich mit jemandem über ihre Sorge um das Kind austauschen und Erziehungsfragen stellen wollten, kann aufgrund der wissenschaftlichen Begleitung nicht beantwortet werden.

Dennoch sind sich alle Beteiligten einig, dass Klinik und Beratungsstelle mit «SanaChild» eine Versorgunglücke schliessen konnten. Das Angebot wird deshalb weitergeführt. Die positiven Erfahrungen haben sich auch bereits herumgesprochen. So bieten auf der gegenüberliegenden Seeseite seit September die Clienia-Privatklinik Schlössli und das Kinder- und Jugendhilfezentrum der anliegenden Bezirke ebenfalls eine gemeinsame kostenlose Sprechstunde für psychisch kranke Eltern an.

Beratung von psychisch kranken Eltern: Weiterbildung und Angebote

Der wissenschaftliche Bericht der ZHAW über das Projekt «SanaChild» ist nicht öffentlich verfügbar. Fachleuten und interessierten Medien geben die Projektleiter Auskunft: René Meyer, Leiter Kinder- und Jugendhilfezentrum Horgen, E-Mail rene.meyer@ajb.zh.ch; Harald Müller, Pflegedirektor Sanatorium Kilchberg, harald.mueller@sanatorium-kilchberg.ch.

Die ZHAW Soziale Arbeit bietet mit dem Kurs «Kinder psychisch kranker Eltern» eine Weiterbildung für Fachpersonen in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sowie der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Auch der CAS «Gesprächsführung und Beziehungsgestaltung» richtet sich unter anderem an Praktikerinnen und Praktiker in ambulanten und stationären psychiatrischen und sozialpädagogischen Kontexten.

Das Institut Kinderseele Schweiz (iks) ist eine Stiftung zur Förderung der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen mit psychisch kranken Eltern oder krankem Elternteil. Das iks geht zurück auf die interdisziplinäre Arbeitsgruppe «AG Familienpsychiatrie», zu der sich die Integrierte Psychiatrie Winterthur-Zürcher Unterland und das Sozialpädiatrische Zentrum des Departements Kinder- und Jugendmedizin am Kantonsspital Winterthur im Jahr 2003 zusammenschlossen. Die ZHAW Soziale Arbeit (damals noch Hochschule für Soziale Arbeit Zürich) erarbeitete mit der AG Familientherapie 2006 eine Prävalenzstudie.