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Soziale Arbeit

Hatespeech untergräbt die Demokratie

Hasskommentare florieren im Netz. In einem ZHAW-Projekt werden Methoden erforscht, wie der toxischen Gesprächskultur im digitalen Raum beizukommen ist. Nicht zuletzt, um die Demokratie zu stützen, wie Projektleiterin Judith Bühler sagt.

von Claudia Peter

Der Kommentar unter einem Artikel über eine Luzerner Künstlerin schreckt auf. Judith Bühler, die am Departement Soziale Arbeit zum Thema digitale Öffentlichkeit und Hass im Netz forscht, ordnet ihn als rassistisch-nationalistisch ein und sagt: «Dieser Kommentar enthält Abwertung und Diskriminierung.»

Ein wachsendes gesellschaftliches Problem

Hassrede – oder Hatespeech – in Sozialen Netzwerken ist auch in der Schweiz ein wachsendes gesellschaftliches Problem, denn Hassrede verletzt Menschen, diskriminiert und wertet ab. Sie grenzt bestimmte Menschengruppen aus und kann gegebenenfalls gar zu realer Gewalt führen, wie die Forscherin sagt. 

Und nicht nur das: «Hatespeech untergräbt die Demokratie», sagt Judith Bühler mit Nachdruck. «Die Diskurse sowohl in der Öffentlichkeit als auch auf Social-Media-Plattformen verschieben sich zunehmend in Richtung gruppenspezifischer Menschenfeindlichkeit. Trotz der Empörung, die immer wieder auf entsprechende Angriffe folgt, gewöhnen sich die Menschen zunehmend an extreme Äusserungen. Dies führt zu einer Verschiebung der Grenze des Sagbaren.»

Ebenso wie in der analogen Welt gibt es auch in der digitalen einen öffentlichen Raum. Während dieser in der analogen Welt dem Staat unterstellt ist, in der Schweiz also demokratischen Prinzipien folgt, ist die digitale Öffentlichkeit der Privatwirtschaft unterstellt. Die Gesetzgebung und die Einflussnahme des Staates etwa durch die Soziale Arbeit hinken hinterher. «Nebst Gesetzen und Regulierung braucht es eine Art «digitale Streetwork», sagt Bühler, «doch es ist unklar, wie diese organisiert und finanziert sein könnte.»

Social Influencer:innen

Darüber hinaus fehlt es an Grundlagenforschung, wie man überhaupt wirkungsvoll gegen Hassrede vorgehen kann. Mit diesen Themen befasst sich Judith Bühler in ihrem aktuellen Forschungsprojekt «Social Influencer:in – Mit wirksamer Gesprächsführung gegen Hass im Netz» der ZHAW. Es ist eine Zusammenarbeit mit den Praxispartner:innen National Coalition Building Institute Schweiz (NCBI ) und der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR). Das Projektteam besteht aus Fachleuten der Sozialen Arbeit, Informatik, Soziologie, Kriminologie, Geschichtswissenschaften, Sozialökonomie sowie Rechtswissenschaften.

Eine Methode, welche das Team unter der Leitung von Judith Bühler testet, sind sogenannte digitale Streetworker:innen, auch Social Influencer:innen genannt. Sie reagieren in Onlineforen auf Hassrede mit organisiertem, zivilcouragiertem und methodengeleitetem Handeln in Form von Counter Speech, auf Deutsch: Gegenrede. 

Wirksam gegen Hass im Netz

Im Falle des eingangs erwähnten Kommentars schrieb ein:e ZHAW-Social-Influencer:in folgende Reaktion: «Es ist verständlich, dass du eine starke Meinung zu diesem Thema hast. Allerdings zeigt sich, dass viele Künstlerinnen, auch aus der Schweiz, durch ihre Musik einen wichtigen Beitrag zur Kultur leisten und oft auf relevante Themen aufmerksam machen. Diese Diskussionen und die Vielfalt in der Musikszene sind bereichernd und tragen zu einer offenen Gesellschaft bei, was auch in vielen kulturellen Berichterstattungen betont wird.»

Im ersten Projektjahr wurden 13 Personen als Social Influencer:innen engagiert, die an der ZHAW Soziale Arbeit oder Kommunikation studieren. Die Social Influencer:innen arbeiten spezifisch geschult, professionell begleitet und mit technischer Unterstützung. Sie wenden drei Strategien an: Empathie, analoger Perspektivenwechsel und Alternative Narrative sowie DiQu – Fokus auf die Diskursqualität.

Eine Antwort auf einen Hasskommentar, dessen Urheber sich über die journalistische Berichterstattung empört und Medienschaffende mit behindertenfeindlichen Begriffen abwertet, wurde gemäss den drei Strategien folgendermassen formuliert: «Hallo, ich verstehe, dass du dieses Thema anders siehst. Persönlich denke ich, dass es wichtig ist, solche Vorfälle nicht zu verharmlosen, da sie auch rechtliche und ethische Fragen aufwerfen. Ein respektvoller und sachlicher Umgang hilft, Missverständnisse zu vermeiden. LG»

Grosse Mehrheit sind stille Mitlesende

Der Adressat der Counter Speech ist dabei nicht primär die Person, welche die Hassrede verfasst hat. «Meinungen via öffentliche Kommentare zu ändern, funktioniert selten», erklärt Bühler. «Gerade wenn es um problematische Radikalisierung gehe, empfiehlt sich ein Eins-zu-eins-Dialog.» Die Beiträge der Social Influencer:innen richten sich deshalb vielmehr an stille Mitlesende, welche die Mehrheit im Netz darstellen.

Je nach Studie produzieren nämlich nur zwischen 10 und 20 Prozent der Nutzenden tatsächlich Content in Form von eigenen Beiträgen oder Kommentaren. Die restlichen 80 bis 90 Prozent lesen still mit, «liken» vielleicht einmal etwas oder teilen es. Dass diese Menschen nicht nur die Hasskommentare sehen, sondern auch, dass man anderer Meinung sein kann und wie man dem Hass begegnen kann, das ist das Ziel des Projekts «Social Influencer:in».

Konstruktive Diskussionskultur fördern

«Wir bewegen uns im Spannungsfeld zwischen Schutz vor Diskriminierung und dem Recht auf freie Meinungsäusserung», ordnet Bühler eine der grössten Herausforderungen beim Thema Hatespeech ein. Zudem gibt es keine klare juristische Definition von Hassrede. Was für die einen als gewohnte Ausdrucksweise angesehen wird, kann für andere verletzend sein. «Vielen ist vielleicht gar nicht bewusst, weshalb ihr Kommentar als Hassrede gelten kann», so Bühler. Die Social Influencer:innen treten deshalb nicht als Polizei auf, sondern zeigen vielmehr auf, weshalb ein Kommentar verletzend wirken kann und wie man seine Meinung anders zum Ausdruck bringen könnte. Das Ziel des Projekts besteht darin, eine positive und konstruktive Diskussionskultur im digitalen Raum zu fördern. Dazu sollen Menschen befähigt werden, konstruktiv auf provokative oder hasserfüllte Kommentare zu reagieren und somit deeskalierend zu wirken.

Unterstützung durch KI-Applikation

Unterstützt werden die Social Influencer:innen beim Aufspüren der Hasskommentare von einer KI-Applikation, welche an der ZHAW School of Engineering vom Projektteam entwickelt wurde. Ob mit dem vom System gefundenen Kommentar interagiert wird, ist aber den Social Influencer:innen überlassen. Diese entscheiden entlang von professionellen Kriterien und formulieren methodengeleitet Counter Speech als Antworten.

Das Projekt ist noch in der Pilotphase. Wie Social Influencer:innen über den Projektrahmen hinaus eingesetzt werden könnten, ist noch offen. Etwas ist für Judith Bühler aber bereits klar: Die Social Influencer:innen müssen entlöhnt werden. Dies zum einen, weil die Arbeit emotional fordernd ist. «So etwas macht man nicht einfach aus Goodwill.» Aber auch, weil die Medienunternehmen mit der Emotionalisierung des Dialogs, und vor allem mit der negativen Emotionalisierung durch Hass und Angstmacherei Geld machen: «Sehr, sehr viel Geld! Ich sehe nicht ein, weshalb Menschen in ihrer Freizeit dem gratis entgegenwirken sollen.»

Verantwortung von Staat und digitalen Plattformen

Die Verantwortung sieht Judith Bühler auch bei den Betreibenden der digitalen Plattformen und beim Staat. «Einerseits benötigen wir Gesetze, mit denen die Unternehmen angehalten werden, demokratiefeindliche Hassrede in ihren Foren zu unterbinden, statt sie algorithmisch zu befördern. Und der Staat soll Verantwortung im digitalen privatwirtschaftlichen Raum übernehmen und den Auftrag der Sozialen Arbeit fördern, indem er etwa digitale Sozialarbeiter:innen beschäftigt. Es geht um nichts weniger, als die Grundwerte der Demokratie auch im digitalen Raum aufrechtzuerhalten.»