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Freiwilligeneinsatz im Lockdown: «Die Solidarität ist gross»

Studierende der ZHAW Soziale Arbeiten bekommen Credit Points für gemeinnützige Arbeit während der Corona-Krise. Bachelorstudentin Stefanie Pfrunder hat mitgeholfen, in Zürich ein Nachbarschaftsnetzwerk aufzubauen.

von Regula Freuler

Stefanie Pfrunder zieht einen Flyer aus ihrer Mappe. Er zeigt jüngere und ältere Menschen als gezeichnete Figuren, alle mit Superman-Cape. «Das ist unsere zweite Generation von Flugblättern», sagt die Bachelorstudentin und fügt lachend an: «Im Vergleich zur ersten merkt man, dass wir inzwischen jemanden mit Grafik-Kenntnissen im Team haben.»

Am Anfang musste eben alles schnell gehen. Innert kürzester Zeit hat Pfrunder ein Nachbarschaftsnetzwerk in Zürich-Altstetten mitgeholfen aufzubauen. Initiantin der «Solidarischen Nachbarschaftshilfe K9» war eine andere junge Frau: Fabienne Vukotic. Als der Bundesrat am 13. März die Massnahmen gegen das Coronavirus verschärfte, entschloss sie sich zu handeln und suchte auf der Plattform hilf-jetzt.ch nach Gleichgesinnten. Tags darauf meldeten sich Stefanie Pfrunder sowie noch zwei weitere bei Vukotic, nach einer Woche waren es über 100.

Von da an ging es Schlag auf Schlag. Innerhalb von zwei Tagen hatte die Gruppe das Helfernetzwerk und die Koordinationsstruktur festgelegt. Man einigte sich darauf, was vermittelt wird: Einkäufe, die Besorgung von Medikamenten oder auch einfach Gespräche gegen die Einsamkeit. Inzwischen sind rund 400 Helferinnen und Helfer ins Netzwerk eingebunden. Kommuniziert wird über Telegram, Softphone und ein digitales Organisationstool, eine physische Zentrale gibt es nicht. «Was mich bis heute fasziniert: Ich kannte vorher keinen dieser Menschen», sagt Stefanie Pfrunder. «Dass sich auf anonymer Basis eine so grosse und zuverlässige Gruppe bilden lässt, zeigt: Die ist Solidarität gross.»

Mehr «menschliche Substanz»

Wir treffen uns an einem sonnigen späten Nachmittag bei der Kollerwiese in Zürich-Wiedikon. Im Gras sitzen Menschen auf Abstand in kleinen Gruppen beisammen, auf dem Spielplatz klappt das mit dem Physical Distancing hingegen noch nicht so richtig. Die 32-jährige Zürcherin ist Teilzeitstudentin im ersten Bachelor-Semester. Daneben arbeitet sie im Hort 15plusSHS, einem Angebot der Stadt Zürich, das Jugendliche mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen für die Berufswahl vorbereitet.

Stefanie Pfrunder hat bereits einen Master in Pflanzenphysiologie der Universität Zürich. «Ich habe mich stets in Vereinen und Gruppen engagiert, aber lange nicht daran gedacht, dass das ein Beruf sein könnte.» Nach einer anderthalbjährigen Velotour und einem Brotjob als Verpackerin bei einem Lebensmittel-Onlinehändler reifte in ihr die Gewissheit, dass ihr beim ursprünglichen beruflichen Weg die menschliche Substanz fehlte, wie sie es nennt. So entschloss sie sich für das Studium Soziale Arbeit an der ZHAW und bewarb sich bei der Stadt Zürich.

Intensive Gespräche

Pfrunder bekommt für ihren Freiwilligeneinsatz Credit Points. Indem die ZHAW Soziale Arbeit den Einsatz anrechnet, will das Departement in der Corona-Krise Organisationen des Sozialwesens entlasten. Rund 40 Studierende haben sich dafür gemeldet. «Ich freue mich natürlich über die Punkte, aber ich wäre auch sonst aktiv geworden», ist Stefanie Pfrunder überzeugt.

«Ich wünsche mir soziale Plattformen, auf denen man nicht nur Gegenstände, sondern auch Wissen, Talent, Fähigkeiten teilt.»

Stefanie Pfrunder, Bachelorstudentin

 

Anfangs wurde das Netzwerk im Kreis 9 nicht gerade überflutet mit Anfragen, erzählt sie. «Aber es geht im Grunde nicht um die Menge, sondern um die Qualität. Die Gespräche waren intensiv, und die Menschen freuten sich alleine schon darüber, mit jemandem reden zu können.» Negative Erfahrungen haben sie fast keine gemacht. Nur einmal regte sich jemand auf, einen Flyer im Briefkasten zu finden. Auch zu Betrugsfällen kam es nicht – trotz der Anonymität in der Gruppe. «Wir haben eine Datenschutzerklärung eingebaut, die einen zu den einzelnen Personen zurückführen würde», sagt Pfrunder, «und bei neuen Kontakten, die ich vermittelt hatte, rief ich anfangs im Anschluss noch einmal an und um sicher zu gehen, dass alles gut abgelaufen ist.»

Wie es weitergehen soll

Mittlerweile sind die Anfragen deutlich zurückgegangen, und die meisten aus dem Helfernetz sind wieder stärker in ihren eigenen Alltag eingebunden und nicht mehr so flexibel verfügbar. Das Projekt wird aber nicht beendet, sondern befindet sich in einer Transformationsphase. Eine Kerngruppe von 32 Teilnehmenden hat sich gebildet. Zum einen wollen sie den Namen ändern, weil es bereits einen Verein mit dem fast identischen Namen «Nachbarschaftshilfe» gibt und dieser auch im Kreis 9 präsent ist. Zum anderen will man nun per Umfrage und Diskussion herausfinden, wie es inhaltlich weitergehen soll.

Die bisherige Resonanz zeigt, dass viele Gedanken in Richtung Sharing-Plattform und Stärkung des Gemeinschaftslebens gehen: Reparatur-Werkstätten, Cafés, Koch- und Tanzabende. Wichtig ist Pfrunder, dass keine Doppelspurigkeiten entstehen. «Wir sind darum im engen Austausch mit den etablierten Einrichtungen im Quartier, mit den Gemeinschaftszentren und anderen», betont sie.

Was wünscht sie sich, mit dieser Initiative auszulösen? Sie muss nicht lange überlegen: «Mehr persönliche Begegnungen im Quartier und die unentgeltliche Nutzung vorhandener Ressourcen. «Auf der Plattform oder den Plattformen, die ich mir erhoffe, teilt man nicht nur Gegenstände, sondern auch Wissen, Talent, Fähigkeiten.» Als nächstes hofft Stefanie Pfrunder, dass sich die Lage beruhigt, damit sie mit allen Beteiligten im Sommer ein Fest feiern kann, sowohl mit Helfenden wie auch mit Nutzniessenden – eine weitere Gelegenheit, die Gemeinschaft zu stärken.