Alpine Rekomposition
Über das Wiederverwenden von Stahlinfrastrukturen im Misox
Masterthesis Sandro hauser
Frühlingssemester 2022
Dozierende Vorbereitung und Durchführung: Ingrid Burgdorf, Andreas Sonderegger, Astrid Staufer
Koreferenten: Franz Romero, Marco Graber
Fachexperten: Thomas Dürsteler, Patric Fischli-Boson
Vorwort der Dozierenden
Angesichts des fortschreitenden Klimawandels ist die Dringlichkeit des ressourcenschonenden Bauens unbestritten. Insbesondere das Thema des Re-Use von Bauteilen hat aktuell, mit dem Aspekt der grauen Energie als wesentlicher Parameter zur Reduktion der CO2-Emissionen, als Fragestellung stark an Relevanz gewonnen.
Mit seiner Masterthesis untersucht Sandro Hauser die Wiederverwendung von obsolet gewordenen Stahlinfrastukturen im alpinen Raum des San Bernadino, wo mit der Schliessung des Skigebietes Confin sechs in der Landschaft zurückgelassene Skiflift- und Seilbahnbauten dem Verfall preisgegeben wurden. Diese bilden die Ausgangslage für eine entwerferische Untersuchung zur möglichen Wiederverwendung ehemaliger Portalmasten, Fachwerk- oder Polygonstützen.
Der eigentlichen entwerferischen Untersuchung geht eine sorgfältige Analyse der Grundlagen voraus: Eine Bestandesaufnahme zur Übersicht über die obsoleten Infrastrukturen sowie eine exemplarische Katalogisierung der unterschiedlichen Bauteile loten das generelle Potential für eine Rekomposition aus. Parallel wird für Kulturlandschaft am Mont Grand im Misox ein Nutzungskonzept entwickelt, um mit einer Rückforstung bzw. Pflege der Kastanienselven der aktuellen Verwaldung entgegenzuwirken. Mittels der Gründung einer Kastaniengenossenschaft soll die traditionelle Kastanienverarbeitung in einer Nutzungssynthese mit einem «Rifugio» für zivilisationsmüde Ruhesuchende wiederaufgenommen und gestärkt werden.
Der Entwurf selbst umfasst eine neue Materialseilbahn, welche anhand ihrer Stationen die Orte definiert: Vom Berg oberhalb der rückzuforstenden Kastanienselven kommend, werden die Kastanien in das sogenannte «Rifugio» auf halber Strecke transportiert, welches in einem bestehenden Konglomerat ehemaliger Ställe und Dörrhäuschen auf bestehenden Grundmauern errichtet wird. Weiter talwärts nach Soazza führt die Materialseilbahn direkt in die Castagneria zur maschinellen Verarbeitung sowie zu Verkauf und Vermarktung der Kastanien in einem grösseren Massstab und Einzugsgebiet.
Die eigentliche Entwurfsrecherche wird glaubhaft und feinsinnig entwickelt. Es ist beeindruckend, wie die Wiederverwendung der Portalmasten zusammen mit der Typologie der traditionellen Häuser dank dem Mittel der Collage einen frischen, durch die Direktheit überraschend selbstverständlichen, architektonischen Ausdruck erreichen.
Abgerundet wird die Arbeit mit einer, für die Beurteilung der Projektidee nicht unwesentlichen, Grobkosten- und Renditeschätzung. Es zeigt sich, dass die Genossenschaft Mont Grand mit 3 Mio Investitionskosten rechnen müsste, welche die neue Materialseilbahn, das Rifugio Mont Grand sowie die Castagneria beinhalten.
Insgesamt beeindruckt die Arbeit von Sandro Hauser besonders aber durch die Breite der Recherche, welche in parallelen Strängen und unterschiedlichen Massstäben mit gleichbleibend hoher Sorgfalt, Engagement und Glaubhaftigkeit geführt wird.
Vor allem aber ist die Masterthesis bemerkenswert aufgrund der gesellschaftlichen Verantwortung, welche die Arbeit antreibt und immer wieder zum Ausdruck kommt. Es resultiert eine Entwurfsrecherche der leisen Töne, welche in Zeiten der «Stararchitektur», also im Gegensatz zum dominanten «Branding» durch Bauwerke, welche sich von ihrer Umgebung abzuheben suchen, gar nicht hoch genug geschätzt werden kann. Anstattdessen werden mit unermüdlichem Engagenment und viel Einfühlungsvermögen Orte geschaffen zur Stärkung der bestehenden Strukturen und zum Wohl der Gesellschaft.
Die vorliegende Masterthesis ist in Bezug auf die Eigenständigkeit und gesellschaftliche Relevanz der Themenwahl, Breite und Tiefgang der Untersuchung sowie das feinsinnige Entwurfsrepertoire beispielhaft.