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Konstruktiver Lebensraum

Unkoordinierte Perfektionierung, Standardisierung und Normierung schränken den Spielraum von Architekturschaffenden zunehmend ein. Es gilt, künftige Lebensmodelle zu reflektieren und deren Umsetzung durch die gezielte Vernetzung von Forschung, Lehre und Praxis zu erleichtern.

Weiterbauen im Lärm

Umbaustrategien für mehr Wohn- und Lebensqualität an lärmbelasteten Lagen

In der Schweiz leben zahlreiche Menschen an lärmbelasteten Wohnlagen. Die im Zusammenhang mit dem Lärmschutz verschärfte Baubewilligungspraxis schränkt die Spielräume für die umfassende Sanierungen bestehender Bauten ein, so müssen ältere Wohnbauten und Siedlungen in der Schweiz oft Neubauten weichen. Als Grund für den Ersatz anstelle eines Umbaus nennen Bauträger neben dem Willen zur Verdichtung oft das Fehlen eines zeitgemässen Wohnkomforts. An lärmbelasteten Lagen sei die Erfüllung der heutigen Anforderungen an dem Lärmschutz im Bestand nicht möglich oder mit nicht zumutbarem Aufwand verbunden sei. Ein durch das Bundesamt für Wohnungswesen unterstütztes Forschungsprojekt am IKE der ZHAW setzt sich mit der Frage auseinander, wie die Wohn- und Lebensqualität an lärmbelasteten Lagen durch Strategien des Weitebauens verbessert werden kann.

Als Fallbeispiele werden zwei Siedlungen der Terresta Immobilien- und Verwaltungs AG in Winterthur untersucht. Es handelt sich um lärmbelastete Siedlungen mit günstigem Wohnraum und Sanierungsbedarf. Das Departement Soziale Arbeit der ZHAW erhebt, welche Aspekte der Wohn- und Lebensqualität für die betroffenen Menschen wichtig sind. Mit einer architektonischen Untersuchung durch Masterstudierende des Instituts IKE der ZHAW wird das Potential der bestehenden Liegenschaften ausgelotet.

Resultierend aus den Untersuchungen werden gesamtheitliche Strategien zur Verbesserung der Lebensqualität an lärmbelasteten Lagen erarbeitet.

Eine Kooperation mit dem Departement Soziale Arbeit

Bauen im Lärm

Vorschläge für ein künftiges Wohnen in der Stadt

Unsere Ortschaften werden dichter, die Menschen mobiler und etablierte Grenzen zwischen Aktivitäts- und Ruhezeiten verschwimmen zugunsten einer 24-Stunden-Gesellschaft. All das macht unsere Siedlungsgebiete auch lauter.

Im Wohnungsbau ist der Lärmschutz deshalb zu einem prägenden Planungsparameter avanciert. Angesichts der gesundheitlichen Risiken einer übermässigen Lärmbelastung sind die Vorschriften zu Recht streng. Doch der allzu starke Fokus auf bestimmte für sämtliche Wohnräume gleichermassen geltende Immissionsgrenzwerte engt den Spielraum zur Entwicklung ganzheitlich qualitätsvoller Lösungen stark ein. Für ebenso zentrale Überlegungen – etwa zur Einbettung in den städtebaulichen Kontext oder zur Belichtung und Ausrichtung der Innenräume – bleibt den ArchitektInnen kaum Luft. Dabei sind qualitätsvolle öffentliche Räume und attraktiver Wohnraum im Hinblick auf die Siedlungsentwicklung nach innen gefragter denn je. Mit der Zukunftsperspektive einer umweltverträglichen Stadt mit einem hohen Anteil an Langsamverkehr und Elektromobilität vor Augen, erscheinen die von der Strasse abgewandten Bauten, wie sie das geltende Regulativ hervorbringen kann, anachronistisch.

In Zusammenarbeit mit dem Departement Soziale Arbeit misst das IKE die Gesetzgebung an den baulichen und gesellschaftlichen Realitäten und schlägt Strategien für ein sozialverträgliches, zukunftsfähiges Wohnen am Lärm vor. Im interdisziplinären Austausch wird Lärm nicht als eine rein naturwissenschaftliche, messbare Grösse betrachtet, sondern als eine unter vielen Standortqualitäten (bzw. Belastungen), die es beim Bauen und Wohnen zu berücksichtigen und zu gewichten gilt, begriffen.

Mit den Ohren entwerfen

Im Sinne eines experimentellen Entwurfslabors erarbeiteten die Masterstudierenden des IKE im Herbstsemester 2019 im Rahmen des Unterrichtsmoduls Constructive Studio entwerferische Thesen für künftige Wohnmodelle an lärmbelasteten Lagen. Parallel dazu loteten sie im Unterrichtsmodul Constructive Research das auditive Potential von Fassaden im Stadt- und Wohnraum aus. In stetigem Austausch mit den Dozierenden sowie SpezialistInnen aus den Disziplinen Akustik, Lärmschutz, Klangraumgestaltung und Soziologie entstand dabei ein reicher Fundus an Ideen, aus dem das Forschungsprojekt auf mehreren Ebenen schöpft: Einige vielversprechende Ansätze werden weiter vertieft, auf ihr Potential zur gesellschaftlichen Integration hin untersucht und konzeptuell geschärft. Andere bilden die Basis für Workshops mit lärmbetroffenen Personen. Einzelne schliesslich, dienen einem Erkenntnisgewinn über das Potential von akustischen Simulationen für den architektonischen Entwurfsprozess.

Corina Suter lagert ihrem Wohnungsbau an der Zürcher Badenerstrasse eingeschossige Gewerbe- und Gemeinschaftsräume vor, die den Strassenraum beleben und die Wohngeschosse zugleich vor dem Strassenlärm abschirmen sollen. Erker und Risalite sollen Lüften im Lärmschatten ermöglichen. In Kombination mit der starken Plastizität der Fassade soll der eintreffende Schall über ein breites Frequenzspektrum gestreut und vielfältig reflektiert werden. Durch das Bündel der Massnahmen sollen die BewohnerInnen vor Lärm geschützt und zugleich die Klangqualität des öffentlichen Raums verbessert werden.

Mit Unterstützung der Empa wurde der Entwurf von Corina Suter anhand von raumakustischen Simulationen mit vier Projektvarianten verglichen. Die schrittweise Modulation der Geometrie und Materialisierung des Bauwerks ermöglichte es dem Forschungsteam, den Einfluss verschiedener gestalterischer Massnahmen auf die akustische Qualität des Aussenraums zu untersuchen.

Vom Regulativ zum Bauwerk

Bauvorschriften schlagen sich, in Überlagerung mit weiteren Planungsparametern, direkt auf unsere Baukultur nieder. So war auch das Lärmschutzregulativ in der Vergangenheit immer wieder Treiber für die Entwicklung neuer Gebäude- und Wohnungstypologien – und hat andere verschwinden lassen. Das IKE analysiert die Zusammenhänge zwischen geschriebenem und gebautem Gesetz und zieht daraus Schlüsse für ein künftiges Regulativ. Es untersucht einschlägige Typologien und fragt, welche städtebaulichen, architektonischen und sozialräumlichen Qualitäten die jeweiligen Bauten über die Sicherstellung des Gesundheitsschutzes hinaus bieten können. Mit Blick auf die Lebensdauer von Bauwerken interessiert dabei nicht nur die Gegenwart, sondern auch die kommenden Jahrzehnte – die gesetzliche Grundlage für eine nachhaltige Baukultur muss die Perspektive einer verkehrsberuhigten Stadt der Zukunft bereits heute mitdenken.

Wohnen im Einklang. Strategien zum Bauen im Lärm aus Forschung, Lehre und Praxis

Um das Bauen an lärmbelasteten Lagen ist derzeit eine heftige Debatte im Gang, die weit über Architekturkreise hinaus in Politik und Gesellschaft strahlt. Rigide Lärmschutzvorschriften bringen zunehmend introvertierte Wohnhäuser hervor, die unsere Baukultur und den öffentlichen Raum ernstlich schädigen. Lärm ist eng mit der Siedlungsentwicklung nach innen verknüpft. Zentrumsnahe Entwicklungsgebiete – wo auch der grösste Bedarf an zusätzlichem bezahlbarem Wohnraum besteht – sind naturgemäss oft lärmbelastet. Zugleich führt mehr städtische Dichte unweigerlich zu mehr Lärm. Das macht die produktive Verbindung von Lärmschutz und qualitätsvoller Architektur zu einer zentralen Herausforderung der Stadt- und Wohnraumentwicklung.

Dieses Buch trägt die Ergebnisse intensiver Forschung zum Thema Lärm und Wohnungsbau zusammen, die am Institut Konstruktives Entwerfen der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) in Winterthur seit 2019 in Zusammenarbeit mit Soziologinnen, Akustikern und Lärmschutzexpertinnen und unter Einbezug von Betroffenen betrieben wird.

Es präsentiert zum einen die erste umfassende Analyse des Einflusses der Lärmschutzgesetze auf die Architekturpraxis und Baukultur in der Schweiz. Zum anderen bietet es aus dieser pionierhaften Forschung abgeleitete klare Strategien für das künftige Bauen im Lärm an, die grundsätzlich auch ausserhalb der Schweiz überall anwendbar sind. Mit Beiträgen von Oya Atalay Franck, Deborah Fehlmann, Tibor Joanelly und Astrid Staufer. Fotografien von Christian Senti.

Siedlungsbiografien

Nachhaltige Transformationsstrategien

Der politisch formulierte Wille zur Verhinderung der Zersiedelung und die damit einhergehende Verdichtung unserer Städte nach innen führen zu Aufzonungen und einem grossen Druck auf innerstädtische Ausnutzungsreserven. Wir ArchitektInnen werden in unserem Berufsalltag laufend mit Aufgabestellungen konfrontiert, die den Abriss und Ersatzneubau ganzer Siedlungen voraussetzen. Am Institut Konstruktives Entwerfen hinterfragen wir diese Abläufe und erforschen alternative Verdichtungsstrategien. Es interessiert uns, Verdichtung und die damit einhergehende Veränderung der Bausubstanz und der Bewohnerschaft nahe am Bestand und über einen längeren Zeitraum zu denken.

Beinahe jede Aufgabe, mit der wir als Planende konfrontiert werden, stellt einen Eingriff in die gebaute Umwelt dar. Für einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Bestand ist dessen Wertschätzung daher unabdingbare Basis. Den auf den Bestand angewendeten Wertebegriff gilt es somit weit mehr als nur ökonomisch zu verstehen – nämlich auch als Zuhause und vertraute Nachbarschaft, als Ort der Begegnung und des sozialen Austauschs, als Freiraum mit langjährig gewachsener Vegetation, als Kulturgut. Wenn wir lernen, den kulturellen, ökologischen und sozialen Wert der gebauten Umwelt genauso zu schätzen wie die unverbaute Landschaft, dann erscheint ein prozesshaftes Denken von Verdichtung als selbstverständlich – und damit eine auf allen Ebenen nachhaltigere Entwicklung unserer Städte.

Erhalt und Erneuerung von bestehenden Wohnbauten

Je mehr wir um Konzepte ringen, die erlauben, wirklich kostengünstigen Wohnraum neu zu erstellen, desto eher sollten wir die bestehenden Siedlungen schätzen lernen, die Menschen bereits mit ebendiesem versorgen. Vor dem Hintergrund des raumplanerischen Ziels der Siedlungsentwicklung nach innen und mit Blick auf heutige energetische Standards geraten Bestandesbauten allzu schnell in Verruf: zu wenig dicht, zu schlechte Gebäudehülle und vermeintlich nicht mehr zeitgemässe Wohnungen. Dennoch sind sie ihren BewohnerInnen ein geschätztes Zuhause. Die Suffizienz ihrer Alltagsrealitäten gelingt uns in Neubauten kaum und scheint doch wieder angebracht. Zudem weisen insbesondere die Siedlungen der Nachkriegszeit einen beachtlichen Grünbestand auf, der für die Identität ganzer Quartiere von Bedeutung ist.

Im Frühlingssemester 2019 wählten wir als Untersuchungsgegenstand für mögliche Transformationsstrategien gemeinsam mit unseren ForschungspartnerInnen drei Siedlungen aus unterschiedlichen Jahrzehnten aus, die aktuell keiner Notwendigkeit für bauliche Eingriffe unterworfen sind und doch ein Verdichtungspotenzial aufweisen. Es sind ganz alltägliche Siedlungen ohne besonderen baukulturellen Stellenwert, die exemplarisch für eine Wohnrealität sind, die mehr und mehr unter Druck gerät. Unterschiedliche Strategien erlauben den Erhalt eines Grossteils der Bausubstanz über einen langen Zeitraum. Die Erneuerung wird zum Prozess.

Siedlung Flüeli- / Bürglistrasse in Winterthur
GWG, Gemeinnützige Wohnbaugenossenschaft Winterthur

Kleine viergeschossige Holzbauten bilden beim Projekt von Linda Eisenbart mit den bestehenden Gebäudezeilen organisatorisch wie architektonisch eine Gesamterscheinung und eröffnen ihnen eine neue Entwicklungsperspektive. Eine winkelförmige Figur aus Erschliessungslaube und Balkon legt sich als Schwellenraum zwischen die Baukörper, ohne dass Fenster zu Wohn- oder Schlafräumen verstellt werden und bietet einen hindernisfreien Zugang für alle Bewohnenden. Die neue Erschliessung ist auch der Zugang für die Häuser eines weit in der Zukunft liegenden Ersatzneubaus. Der Prozess wird zum Prinzip.

Siedlung Georg-Kempf-Strasse in Zürich Affoltern
Pensimo Management AG, Immobilien-Anlagestiftung Turidomus

Beim Vorschlag von Cyril Kunz bilden die Neubauten mit dem Bestand ein symbiotisches neues Ganzes und eine veränderte Nachbarschaft, die eine Interpretation und einen Wandel der Freiraumstruktur als Ausgangspunkt hat. Dabei entsteht ein harmonisches Zusammenspiel zwischen Alt und Neu mit gegenseitigem Nutzen.

Siedlung Leimgrübel in Zürich Seebach
Liegenschaftenverwaltung der Stadt Zürich

Durch einen kontinuierlichen und vollständigen Überformungsprozess wird beim Verdichtungsvorschlag von Lluis Fernandez Villa die Siedlung Leimgrübel in Zürich Seebach in eine neue Ordnung überführt, die hinsichtlich Dichte, räumlicher Qualität und sozialer Infrastruktur potenziell leistungsfähiger ist. Dabei entfalten auch die Zwischenzustände überraschende eigene Qualitäten.

Siedlungsbiographien Entwerfen – Transformation statt Totalersatz

Publikation in der werk, edition:
ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Institut Konstruktives Entwerfen IKE (Herausgeber); Marc Loeliger, Andreas Sonderegger, Tanja Reimer, Philippe Koch (Autoren): Siedlungsbiografien entwerfen – Transformation statt Totalersatz

Städte erneuern sich - an ihnen wird stets weitergebaut. Heute stehen die Städte zudem vor der Aufgabe, sich baulich zu verdichten. Weil die Bauplätze in der Stadt stets schon besetzt sind, geschieht die Verdichtung in der Regel mittels Ersatzneubauten - vorher wird leergeräumt. Was aber, wenn wir, in Anlehnung an Lucius Burckhardt, den Neubau als Sonderfall denken und nicht mehr als die Regel? Welche Werte trägt der Bestand in sich? Welches Potenzial steckt im steten Umbau der bestehenden Stadt? Bestand, Abbruch und Neubau werden wie in einem Organismus als Zyklus des Wachstums und der Erneuerung verstanden.

Begreift man Stadt als organisches, wandelbares und fortwährend gestaltbares Gefüge in allen Massstäben, lassen sich entwerferische Transformationsstrategien entwickeln, die eine Haltung im Umgang mit dem Bestand verfolgen und nicht allein bauliche Operationen wie Ersatzneubau und Instandsetzung, Aufstockung, Anbau und Pinselsanierung gegenüberstellen. In der Publikation «Siedlungsbiographien Entwerfen – Transformation statt Totalersatz» haben wir die Fragestellung und die Erkenntnisse der Forschung und der Arbeiten der Studierenden zusammengefasst.

Aus dem Fundus exemplarischer studentischer Testentwürfe haben wir übertragbare entwerferische Transformationsstrategien herausgeschält, die zu neuartigen Lösungen im Umgang mit dem Bestand führen können. Die Strategien «Kontinuität», «Akupunktur», «Symbiose» und «Umbruch» bilden ausgehend von sich unterscheidenden Beweggründen die Ausgangslage für spezifische räumliche Transformationsprozesse. Innerhalb jeder Strategie sind im Kontext der jeweiligen Einflussfaktoren unterschiedliche bauliche Massnahmen aufeinanderfolgend oder synchron denkbar - vielleicht ist in der Umsetzung nicht zwingend die Reinform der interessanteste Weg. Die Strategien fussen alle auf einem projizierten räumlichen Potenzial und beschreiben das Gegenmodell zur klassischen Machbarkeitsstudie, indem sie den Entwurf an den Anfang einer Erkenntniskette stellen.