Nachhaltigkeit in der Kultur: Interview #2 mit Sebastian Bogatu
Unsere Interviewreihe «Nachhaltigkeit in der Kultur» geht in die nächste Runde: Im zweiten Interview mit Sebastian Bogatu, Technischer Direktor des Opernhauses Zürich, erhalten wir Einblicke in die Bemühungen zur Nachhaltigkeit des Opernhauses und in die Nachhaltigkeitsentwicklung in der Theaterszene.
Sebastian Bogatu, geboren in Berlin, 3 Kinder (18, 21 und 23 Jahre alt).
Dipl. Ing. (FH) Maschinenbau, Fachrichtung Theater- und Veranstaltungstechnik.
Brandschutzfachmann (EFZ)
2002-2011 Technische Produktionsleitung am Opernhaus Zürich.
Seit 2011 Technischer Direktor vom Opernhaus Zürich und leitet in dieser Funktion 300 Mitarbeitende der Bereiche Bühnen-, Ton und Beleuchtungstechnik, der Kostüm- und Dekorationswerkstätten, des Lagers und der Logistik, der Probebühnen und der Gebäudetechnik.
Bild Copyright: Stefan Deuber
Herr Bogatu, wo steht Ihrer Einschätzung nach die Schweizer Theaterszene in puncto Nachhaltigkeit heute? Was wünschen Sie sich für die Zukunft diesbezüglich?
Ich möchte vornewegnehmen, dass meine Einschätzung auf einen regelmässigen Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen aus vielen Schweizer Theatern beruht, bewusst verallgemeinert ist und es durchaus Veranstaltungsstätten gibt, die völlig anders sind. Auch beziehe ich mich nur auf den ökologischen Kontext von Nachhaltigkeit.
Die grossen Theater der Schweiz stehen in Bezug auf Nachhaltigkeit ganz am Anfang eines Weges. Sicherlich gibt es grade im gebäudetechnischen Bereich bei Neubauten und Sanierungen erhebliche Massnahmen im energetischen Bereich- das liegt aber weniger an der Überzeugung der Theaterleitung möglichst nachhaltig zu sein, als mehr daran, dass heute so gebaut werden muss.
Natürlich werden auch viele Geräte wie Kopierer, Kühlschränke, Waschmaschinen und Lampen grundsätzlich immer effizienter. Grade die neuen LED Scheinwerfer sparen gegenüber von alten Leuchtmitteln grosse Mengen an Energie ein, so dass es tatsächlich so aussieht, als wäre das Theater in diesem Bereich nachhaltig. Aber grade das Beispiel der LED Scheinwerfer zeigt wie wenig nachhaltig es tatsächlich ist: Während die alten Scheinwerfer 30 Jahre lang gehalten haben und lediglich das Leuchtmittel und Farbfilter erneuert werden mussten, so kann man die LED Scheinwerfer nach spätestens zehn Jahren entsorgen – nicht ins Altmetall, sondern in den Elektroschrott. Reparaturen sind bei den meisten Geräten gar nicht möglich- sie müssen entsorgt werden. Darüber wird kaum reflektiert.
Warum nicht?
Das Grundproblem ist, dass es innerhalb der Theater überhaupt keine Auseinandersetzung mit der Thematik Nachhaltigkeit gibt. Ich habe sogar den Eindruck, dass grade die künstlerischen Leitungen einen Bogen um diese Auseinandersetzung machen. Zu gross ist die Angst, dass künstlerische Freiheiten und Möglichkeiten durch eine grössere Nachhaltigkeit eingeschränkt werden, dass die Kosten durch nachhaltigere Produktionen steigen und dadurch weniger Geld für den künstlerischen Prozess zur Verfügung steht.
Offensichtlich ist, dass sich die Theaterleitungen grade intensiv mit Diversität, Inklusion und Chancengleichheit auseinandersetzen, dass aber das viel ältere und für unser Überleben zentrale Thema der ökologischen Nachhaltigkeit in den Publikationen, Programmen oder auch in Gesprächen mit den Kolleginnen und Kollegen so gut wie keine Rolle spielt.
Ich wünsche mir, dass die Theater mit Hilfe von finanziellen Anreizen, Schulungen, Gesetzen und Kontrollen zu nachhaltiger Produktion gelangen.
Die Klimakrise prägt seit vielen Jahren den öffentlichen Diskurs und die Forderung nach nachhaltigem Denken und Handeln durchdringt sämtliche Gesellschaftsbereiche. Welchen Beitrag kann Kultur und die künstlerisch-ästhetische Auseinandersetzung mit der Klimakrise für die Gesellschaft leisten? Wo sehen Sie die Grenzen?
Es wäre schon ein riesen Betrag, wenn Kulturbetriebe nachhaltig produzieren würden.
Es ist sicher so, dass die Menschen die der Klimakrise in einem Werk begegnen auf dieses Thema sensibilisiert und in ihrer Meinungsbildung gestärkt werden. Aber ob diese Auseinandersetzung tatsächlich zu einer Verhaltensänderung bei diesen Menschen führt, ist aus meiner Sicht alles andere als sicher.
Deswegen ist der künstlerisch- ästhetische Beitrag, den die Kultur hier gesteuert leisten kann- sehr beschränkt. Ich finde es ausserdem grundsätzlich nicht richtig, wenn Künstlerinnen und Künstlern vorgegeben wird, welche politische Aussage ihr Werk haben soll. Die Vielfalt und Freiheit der Kunst würde dadurch eingeschränkt. Die Kunstschaffenden müssen frei sein bei der Gestaltung ihrer Werke.
Ungesteuert leistet die Kunst einen riesen Beitrag dadurch, dass die Kunst den Menschen berührt, öffnet und für die Schönheit begeistert. Und dadurch sicherlich den Keim in den Menschen setzt, diese Schönheit zu bewahren.
Das Opernhaus Zürich sorgte 2019 in Zusammenhang mit Nachhaltigkeit für Schlagzeilen: Im Rahmen der Gesamtsanierung des Fundus Kügeliloo (Dekorationslager des Opernhauses Zürich) wurde die Installation eine der grössten Solaranlage des Kantons Zürich auf dem Gebäudedach abgeschlossen. Welche Erfahrungen haben Sie seit der Inbetriebnahme der Solaranlage gemacht?
Die Anlage auf dem Dach sieht man nicht, man hört sie nicht, sie stinkt nicht, sie sorgt im Sommer durch Beschattung für ein angenehmes Klima unterm Dach und bietet Bienen und viele anderen Insekten einen Lebensraum in den Wildblumen zwischen den Panels. Dabei braucht sie sehr wenig Zuwendung und liefert viel Strom für unseren Partner Solarspar, der die Anlage finanziert hat. Also: Nur gute Erfahrungen.
Inwiefern wird Nachhaltigkeit in anderen Bereichen im Opernhaus Zürich thematisiert? Wird Nachhaltigkeit aktiv gelebt und priorisiert? Welchen Herausforderungen begegnet das Opernhaus Zürich dabei?
Auch das Opernhaus steht am Anfang eines Weges. Sicher- wir haben uns mit unseren durchgeführten Ökobilanzen mehr als viele andere Häuser mit dem ökologischen Fussabdruck auseinandergesetzt. Aber unsere Künstlerinnen und Künstler reisen dennoch aus vielen Ländern mit dem Flugzeug an, wir verbrauchen dennoch unglaublich viel Papier für unsere Publikationen und Bühnenbilder werden nach einem sehr kurzen Lebenszyklus wieder entsorgt. Zwar versuchen wir durch Mülltrennung und den bewussten Einsatz von ressourcenschonenden Materialien den Fussabdruck zu reduzieren, doch das sind Tropfen auf den heissen Stein. Wirklich nachhaltig ist die Produktion von Kostümen. Nicht weil wir diese besonders nachhaltig herstellen, sondern weil wir diese im Vergleich zu den riesigen Dekorationsteilen sehr platzsparend lagern können und bei Bedarf auch in neuen Produktionen wiederverwenden können. Ähnliches gilt für Möbel und Requisiten.
Aber eine Lenkung und Priorisierung durch die künstlerische Leitung oder auch nur eine aktive Auseinandersetzung mit der Nachhaltigkeit hat in den letzten Jahren nicht stattgefunden. Tatsächlich muss ich aber auch sagen, dass uns Corona in den letzten zwei Jahren unfassbar gefordert und letztlich auch alle planerischen Ressourcen verschlungen hat.
Wie Sie andeuten, der Ausbruch der Pandemie hat zu schwierigen Zeiten für Kulturbetriebe geführt. Welche Auswirkungen hatte die Pandemie auf Nachhaltigkeit im Opernhaus Zürich?
Wenn man davon absieht, dass wir aufgrund von ausgefallenen Vorstellungen und reduzierten Spielbetrieb wesentlich weniger Reisen und Transporte hatten: Keine. Die Pandemie hat allerdings auch sehr viele Themen von der Agenda gedrängt und sich sehr breit gemacht. Die Friday for Future Bewegung hätte evtl. zu einer Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeit im Haus geführt- durch Corona wurde das alles verdrängt.
Warum ist es Ihrer Meinung nach so wichtig, den Aspekt Nachhaltigkeit im Kulturbetrieb und in Kulturprojekten ganzheitlich zu berücksichtigen (ökologisch, ökonomisch, soziales)?
Ich bin der Überzeugung, dass eine Gesellschaft langfristig nur überleben kann, wenn diese eine ganzheitliche Nachhaltigkeit anstrebt bzw. erreicht hat. Dies bedeutet gerechtes Wachstum, beständige Rentabilität und faire Nutzung aller Ressourcen. Und ein idealer Kulturbetrieb lebt aus meiner Sicht diese Prozesse vor.
Das ZKM-Team bedankt sich herzlich für das Interview!
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Im Rahmen der Interviewreihe «Nachhaltigkeit in der Kultur» ist bereits erschienen: