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Rollentausch: Wenn Kinder Eltern pflegen

Benötigt ein Angehöriger im Alter Hilfe, stellt dies die erwachsenen Kinder und Partnerinnen vor grosse Herausforderungen. ZHAW-Forschende haben Betreuungssituationen untersucht und geben in der aktuellen Ausgabe des ZHAW-Impact Tipps.

Tochter führt Vater am Rollator spazieren
Meist übernehmen die Töchter die Betreuung.

ZHAW-Impact Nr. 34 vom September 2016

Ich habe immer gesagt, wenn ich hier wohne, dann muss ich meiner Mutter auch helfen», erzählt die Tochter. Seit der Trennung ihrer Eltern – da ging sie noch zur Schule – war sie zur engen Vertrauten der Mutter geworden und wohnt bis heute im selben Haus. Selbstverständlich übernahm sie daher auch die Pflege der alternden Mutter. Externe Unterstützung zieht die Tochter nur ungern hinzu. Sie ist überzeugt, ihrer Mutter am besten helfen zu können. Selbst abends nach der Arbeit schaut sie bei ihr vorbei, hilft ihr beim Ausziehen und bei der richtigen Einnahme der Medikamente. Manches Mal fordert ihre Mutter dann mehr, als die Tochter geben kann. «Sogar wenn ich todmüde bin, will meine Mutter, dass ich noch ein wenig bei ihr bleibe.» Wie das Beispiel zeigt, ist die Betreuung älterer Menschen ein schleichender Vorgang: «Die meisten von uns rutschen einfach so in diesen Prozess rein», erklärt Barbara Baumeister, Dozentin an der ZHAW am Departement Soziale Arbeit, Institut für Vielfalt und gesellschaftliche Teilhabe. Zwei Jahre lang hat Baumeister gemeinsam mit weiteren Forschenden für das Projekt «Schutz betreuungsbedürftiger alter Menschen im häuslichen Umfeld» zahlreiche Fallbeispiele untersucht. Dabei ging es vor allem darum aufzuzeigen, wann und warum die Betreuung von Angehörigen in Vernachlässigung bis hin zu Streit und Gewalt umschlagen kann. Projektpartner waren die UBA (Unabhängige Beschwerdestelle für das Alter) Zürich und Schaffhausen, Pro Senectute des Kantons Zürich und der Spitex-Verband des Kantons Zürich. Im November erscheint nun ein Buch, das die Thematik der häuslichen Pflege unter verschiedenen Aspekten beleuchtet und Tipps für eine gelungene Betreuung aufführt.

Immer mehr Schweizerinnen und Schweizer werden zu Hause alt

Anlass für die von der «Age Stiftung für neue Wohnformen im Alter» unterstützte Studie war die kontinuierliche Zunahme von häuslicher Pflege in der Schweiz. Laut Statistik werden heute rund 40 Prozent der Pflegebedürftigen von ihren Söhnen und Töchtern oder Schwiegertöchtern betreut sowie 54 Prozent von ihrem Partner oder ihrer Partnerin. «Viele Menschen möchten lieber zu Hause versorgt werden, als ins Altersheim zu gehen», sagt Baumeister. In der Schweiz leben heute 82 Prozent der über 80-Jährigen zu Hause.

So wünschenswert es für die alternden Menschen ist, in ihrer vertrauten Umgebung zu bleiben, so schwierig ist es oft für die Angehörigen. Neben der Frage von Vereinbarkeit von Beruf und Betreuung fordert die Pflege körperlichen Einsatz und ist auch emotional herausfordernd. Über 80 Prozent der Pflegenden empfinden die Situation als eher stark oder sehr stark belastend, heisst es in der Studie. Welche Folgen das haben kann, zeigt ein weiteres Fallbeispiel aus dem Forschungsprojekt: Eine Tochter holt ihre pflegebedürftige Mutter zunächst zu sich ins Haus, will sie dann aber wegen Überforderung in ein Heim geben, worauf die Mutter mit Selbstmord droht. Eine verfahrene Situation. Auch die Betreuten tun sich oft schwer angesichts der Abhängigkeiten in solchen Situationen – besonders dann, wenn Kinder ihren Eltern helfen wollen. «Hilfe vom Partner nimmt man besser an als generationenübergreifend», erläutert Trudi Beck, Dozentin an der ZHAW Soziale Arbeit und Mitherausgeberin des Buches.

Solche Beziehungsmuster haben eine lange Geschichte

Die Studie zeigt: Vor allem bei Beziehungen, die stark von Pflichtgefühl und Abhängigkeiten geprägt sind, fühlen sich die Pflegenden häufig überfordert, stossen an ihre Grenzen, was nicht zuletzt in physischer oder psychischer Gewalt gegenüber den Hilfebedürftigen enden kann. Aus Scham und Schuldgefühl ist das aber noch weitgehend ein Tabu-Thema. Bei der wertschätzenden Beziehung hingegen sorgt sich auch der Pflegebedürftige um das Wohl der Pflegenden. Wird beispielsweise für die pflegende Tochter die Belastung zu gross, nimmt das auch die Mutter wahr, und gemeinsam werden Hilfsangebote von aussen gesucht. «Die Muster all dieser Beziehungen bestehen dabei in der Regel schon vor der Betreuungssituation und beruhen auf einer langen Geschichte», betont Beck. Unabhängig von der jeweiligen Beziehungskonstellation stellt der Umgang mit Demenzkranken oder Menschen mit psychischen Erkrankungen die grösste Herausforderung dar. «Dies ist nur mit einem guten Verständnis für das Krankheitsbild und die sich verändernde Persönlichkeit zu schaffen», erläutert Baumeister. Generell gelte: «Die Betreuung von Angehörigen ist immer eine Belastung – entscheidend ist, wie man damit umgeht.»

Autorin. Inken De Wit

Früh fürs Alter planen

Um besser mit Betreuungssituationen umgehen zu können, empfiehlt Barbara Baumeister, Projektleiterin der ZHAW-Studie «Schutz betreuungsbedürftiger alter Menschen im häuslichen Umfeld», sich frühzeitig Rat und Hilfe zu holen. Nützliche Anlaufstellen sind etwa Pro Senectute, die UBA (Unabhängige Beschwerdestelle für das Alter) oder die Spitex. «Auch wenn viele Menschen erst ein ungutes Gefühl haben, Fremden Einblick in ihr Leben zu geben, kann es doch verhindern, dass die Situation ins Negative abgleitet», betont Baumeister.

Darüber hinaus hält sie es für wichtig, sich frühzeitig in der Familie über das Thema Alter und Betreuung auszutauschen. Was wünschen sich die Betroffenen für ihr Leben im Alter, und wie und von wem möchten sie betreut werden? Wenn es mehrere Geschwister gebe, sei es zudem empfehlenswert, die Verteilung der Aufgaben zu besprechen. Dies könne finanziellen und familiären Konflikten vorbeugen. Ohne klärende Gespräche könnten Missverständnisse Beziehungen belasten, wenn Geschwister zum Beispiel befürchten, das betreuende Kind nutze Geld der Pflegeperson für sich. Oder die Tochter oder der Sohn, die oder der die Betreuung übernommen hat, fühlt sich gegenüber den Geschwistern benachteiligt, weil die anderen ihr gewohntes Leben weiterführen. Wichtig sei es zudem, Vorsorgeregelungen zu treffen wie zum Beispiel eine Patientenverfügung, bevor man auf Hilfe angewiesen sei. Dadurch werden Dinge im Sinne der Pflegebedürftigen geregelt und die Betreuenden haben eine Basis für Entscheidungen.