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Rafael Freuler – ein Quereinsteiger in die Soziale Arbeit

Sein Werdegang ist aussergewöhnlich: Erst sammelte Rafael Freuler Erfahrungen als Internetunternehmer. Dann meldete er sich zum Masterstudiengang in Sozialer Arbeit an – und wurde dank seiner innovativen Projekte prompt zugelassen.

Impact Dezember 2018

Die digitale Welt hat ihn früh gepackt. 1999, als Rafael Freuler bereits während der Schulzeit mit Kollegen eine Webagentur in Basel gründete, musste man sich noch mit kreischenden Modems übers Festnetztelefon ins Internet einwählen. Wikipedia kam erst drei Jahre später, Facebook sechs Jahre. Die Basler Webagentur lief ausgezeichnet. Freuler konzipierte Webauftritte, baute Internetseiten, programmierte HTML, Flash. Drei Jahre nach dem Start der Firma fing er parallel dazu an der Fachhochschule Nordwestschweiz an zu studieren, wo er mit einem Bachelor als Interaktionsleiter abschloss.

«Wer heute Jugendliche erreichen will, muss auf den Smartphones präsent sein.»

Soziales Potenzial des Internets

Nach einem Jahrzehnt begann ihn die Webagentur anzuöden. «Ich merkte, dass ich mich nicht den Rest des Lebens damit beschäftigen wollte, im Auftrag von irgendeiner Firma oder Organisation Websites zu bauen», sagt er heute. Mit 27 Jahren verkaufte er seine Anteile. Das war 2007. Etwas Sinnstiftenderes habe er gesucht. Er lächelt, wie er vom Wendepunkt erzählt. Denn seither ist er vollends in seinem Element: «Die neuen Möglichkeiten, die sich durch die Digitalisierung für die Gesellschaft eröffnen, faszinieren mich nach wie vor – jetzt kann ich mich dem sozialen Potenzial des Internets widmen.» Das werde nämlich stark vernachlässigt, sagt der 38-Jährige. Ganz im Gegensatz zum wirtschaftlichen Potenzial, das von zahlreichen Plattformen und Milliardenkonzernen abgeschöpft wird.

Das Masterstudium an der ZHAW kam erst sieben Jahre später, nach einer Zeit angefüllt mit zahlreichen Projekten. Zuerst arbeitete der Webdesigner einige Monate als Aushilfe in einer sozialpädagogischen Institution im Tessin. Dann tat er sich 2008 mit einem Grafiker zusammen. Die beiden riefen das Projektlabor Winterthur ins Leben, das sich auf medienpädagogische Anwendungen für Jugendliche spezialisierte. 16- bis 25-Jährige konnten dort kreativ tätig sein, indem sie eigene Ideen in den Bereichen Grafik, Film, Musik oder Webdesign umsetzten. Die beiden Profis wirkten als Coach, beantworteten Fragen und gaben Tipps. Daraus entstand zum Beispiel ein kleines Hip-Hop-Studio im Jugendhaus an der Steinberggasse. In diesem sogenannten «Rapstübli» konnten Jugendliche Raps aufnehmen und schneiden. Einen Sommer lang tourte eine mobile Ausgabe gar quer durch die Schweiz, um Talente aufzuspüren. Höhepunkt war ein grosses Konzert auf dem Bundesplatz in Bern mit vielsprachigem Hip-Hop aus allen Ecken des Landes.

Multifunktionale Jugendapp

Rafael Freulers Projekte decken aktuelle Bedürfnisse ab und treffen den Nerv der Zeit. Das zeigt sich auch darin, dass der Trägerverein schon wenige Monate nach der Gründung im Jahr 2011 mit dem Winterthurer Jugendpreis ausgezeichnet wurde, zusammen mit der lokalen Organisation von «Pfadi trotz allem», die behinderte Kinder und Jugendliche bei den Scouts integriert – und zwanzig Jahre auf diese Anerkennung warten musste.


Das mit Entwicklungskosten von mehreren Hunderttausend Franken grösste von zahlreichen Vorhaben, die Freulers Handschrift tragen, ist eine multifunktionale Jugendapp. «Wer heute Jugendliche erreichen will, muss auf den Smartphones präsent sein», sagt Freuler. Den stationären Jugendtreff ersetzen solche digitalen Angebote nicht, sie dienen als Ergänzung. Entwickelt wurde die App 2013 bis 2016 im Rahmen eines vom Bundesamt für Sozialversicherungen geförderten Modellprojekts für die Stadt Winterthur. Andere Gemeinden können sie ohne Lizenzgebühr nutzen und so anpassen, dass sie massgeschneidert die Bedürfnisse der lokalen Jugendarbeit abdeckt mit News, Eventagenda, Chat-Beratung, rechtlichen Tipps oder Kontakten zu Jugendangeboten und Fachstellen.

ZHAW an Quereinsteigern interessiert

Es sind solche Erfahrungen und Innovationen, die Rafael Freuler 2014 den Zugang zum Masterstudium ebneten. Schliesslich hat er keinen Bachelor in Sozialer Arbeit vorzuweisen, der bei ausreichendem Notendurchschnitt einen prüfungsfreien Übertritt gewährleistet. An der Aufnahmeprüfung gewann er den Eindruck, dass die ZHAW an Quereinsteigern interessiert ist: «Die Prüfung nahm Bezug auf mein Tätigkeitsfeld und war so gestaltet, dass man sie auch tatsächlich bestehen konnte», erinnert er sich. Umgekehrt ging es ihm darum, sich die notwendigen Denkwerkzeuge für sein neues Arbeitsfeld anzueignen, das theoretische Wissen, das Vokabular, den Diskurs, und darum, sich in diesem Feld zu vernetzen.

Sein Studium absolvierte er berufsbegleitend mit einem Schultag pro Woche. So erstreckte es sich über vier Jahre statt der üblichen anderthalb bis zwei. «Ein guter Ausgleich, viel Inspiration zur direkten Umsetzung, das war super!», findet er. So evaluierte er beispielsweise, wie die Jugendapp an die Bedürfnisse der Stadt Basel angepasst werden kann. Natürlich entdeckte er zuweilen gewisse Lücken bezüglich Theorie aus dem Bachelorstudiengang. Diesen Stoff habe er sich aber problemlos aneignen können, sagt er. Umgekehrt konnte er seine Erfahrungen in Design, Technik, Medienwissenschaften sowie wirtschaftliche Perspektiven aus der KMU-Welt einbringen. Und es zeigte sich, dass er bezüglich Organisationsentwicklung den Mitstudierenden einiges voraushatte.

Für Toleranz und Engagement

Seit Anfang Jahr ist Rafael Freuler nun Sozialarbeiter (MSc). Seine Projekte kommen voran. Winfluence zum Beispiel schafft mit Videoclips, die 14- bis 18-Jährige selbst zu Themen wie Toleranz und Respekt entwickeln, einen Gegenpol zu Hassreden im Internet. Die Sackgeld-Jobbörse «Smalljobs» vermittelte 2018 bereits über 500 Einsätze. Das reicht von der Spaziergangbegleitung über Gartenarbeiten oder Hühnerfüttern bis zur Hilfe beim Umgang mit Smartphone oder Tablet für Senioren. Smalljobs ermögliche auch Chancen für jene, die weniger gut vernetzt seien. Dass neulich ein 15-Jähriger dank Referenzen aus solchen Aufträgen seine Wunsch-Lehrstelle erhielt, freut ihn natürlich doppelt. Und die Jugendapp ist inzwischen bereits in zwölf Gemeinden und Regionen im Einsatz, nebst Winterthur etwa in Frauenfeld, Köniz oder Lenzburg. Soeben startete Basel, 2019 wird Bern folgen.

Autor: Thomas Müller

Hochschulmagazin ZHAW-Impact

«Studium der Zukunft» lautet das Dossierthema der Dezember-Ausgabe des Hochschulmagazins ZHAW-Impact.

Eine Auswahl der Themen:
Individualisiertes und flexibles Lernen für die digitale Transformation – eine neue ZHAW-Teilstrategie begründet den Masterplan für die nächsten zehn Jahre. Kreativer, flexibler und aktueller, so stellt sich Leandro Huber, der Präsident der Studierendenorganisation VSZHAW, sein Studium der Zukunft vor. Die Lernfabrik an der School of Engineering erklärt das Prinzip Industrie 4.0. Im Biotech-Labor der Zukunft können Studierende ihre Experimente von unterwegs kontrollieren. Kreativ sein, ausprobieren, Fehler machen dürfen: Bei den Lernkonzepten «Service Design» und «Collaborative Online International Learning» steht Erfahrung im Fokus. Hybride Lebensläufe: Rafael Freuler – der einstige Internetunternehmer ist Quereinsteiger in die Soziale Arbeit. Halb real, halb online studieren mit Blended Learning. Mit Seamless Learning Brüche in der Lernbiografie verhindern. Lesen Sie weitere Beiträge über praxisorientiertes Studieren und Prüfungen der Zukunft.

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