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Mit Herzflattern zur Prüfung

Bis zu einem Drittel aller Studierenden leidet unter Prüfungsangst. Der Leidensdruck der Betroffenen ist gross. Doch öffentlich darüber sprechen möchte kaum jemand, wie auch Beratende der ZHAW feststellen.

Illustration: Silhuette sitzt auf Bücherstabel

ZHAW-Impact Nr. 35 vom Dezember 2016

Jessica F. sass in der dritten Reihe des rot gestrichenen Hörsaals. Die Handflächen feucht vom Schweiss, ihr Puls raste. Während Wochen hatte sie sich auf diese Statistikprüfung vorbereitet. Verbrachte Abende und Wochenenden mit Lernen. Als sie nun endlich zeigen konnte, was sie wusste, fielen ihr auf einfachste Fragen die Antworten nicht mehr ein.Jessica F. stand kurz vor einer weiteren Niederlage. Das war vor wenigen Monaten. «Es war nicht das erste Mal, dass mich bei einer Prüfung die Angst gepackt hat», sagt sie rückblickend. «Aber danach wusste ich, so kann es nicht mehr weitergehen.»

Tabuthema

Prüfungsangst ist weit verbreitet, auch unter Studierenden. Wie Untersuchungsergebnisse zeigen, sind an Hochschulen bis zu dreissig Prozent davon betroffen. Eine Zahl, die auch deshalb hoch erscheint, weil von den Betroffenen kaum jemand darüber spricht. Und wenn, dann meistens nur in geschütztem Rahmen. Zum Beispiel bei Imke Knafla. Die Psychotherapeutin leitet an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften die Beratungsstelle für Studierende und Mitarbeitende. Rund 600 Beratungsgespräche führen sie und ihre Mitarbeitenden jährlich. «Ein grosser Teil davon betrifft Prüfungsangst», sagt Knafla. Die Fälle häufen sich insbesondere dann, wenn das Semester dem Ende entgegengeht und die Prüfungen näherrücken. «Dass Prüfungssituationen mit Ängsten einhergehen, ist ja erst einmal eine normale Reaktion», sagt Knafla. Zu ihr in die Sprechstunde kommen jene Studierenden, die ihre Angst nicht mehr kontrollieren können. Sie schlafen bereits Wochen vor der Prüfung nicht mehr ruhig, je näher der Termin kommt, umso stärker wird die Nervosität. Am Prüfungstag dann Herzrasen, Übelkeit, Zittern, Blackout. «Die typischen Angstsymptome», so Knafla. Die Betroffenen, wie Knafla sie schildert, sind häufig Studierende, die ihrem Studium fast alles unterordnen. Ein angehender Ingenieur, der seit seiner Kindheit Maschinen bauen will. Ein junger Mann, der unbedingt Karriere als Jurist machen möchte. Studierende, die sich selber unter Druck setzen. Und oft in ihrer Familie oder ihrem Freundeskreis zusätzlich hohen Erwartungen ausgesetzt sind. Zu jenem Zeitpunkt, wo sie sich bei Imke Knafla für eine Sprechstunde melden, haben die meisten bereits mehrere Misserfolge erlitten. Prüfungen wiederholt, Semester repetiert oder sind aus einem Studiengang geflogen.

«Am Prüfungstag dann Herzrasen, Übelkeit, Zittern, Blackout: Das sind die typischen Angstsymptome.»

Imke Knafla, Psychotherapeutin

Pausen machen

«Die Belastung für die Betroffenen ist oft sehr gross», sagt Knafla. Mit den Studierenden schaut sie deren Lernstrategien an. Machen sie genügend Pausen, gönnen sie sich Erholung? Sie spricht über mögliche Ursachen für den eigenen Leistungsdruck. Und versucht, die oft negativen Denkmuster zu durchbrechen. Knaflas Ziel in den Beratungen ist immer dasselbe: Die Studierenden sollen lernen, den Leistungsdruck zu reduzieren. «Wer mit Überzeugung sagen kann, mein Lebensglück hängt nicht nur vom Erfolg meines Studiums ab, ist bereits einen entscheidenden Schritt weiter.» Manchmal reichen dafür die fünf kostenlosen Beratungsstunden, die jedem Studierenden zur Verfügung stehen. Bei manchen liegen die Ursachen tiefer. Ihnen empfiehlt sie häufig eine weiterführende Therapie. Jessica F. hat sich nach ihren letzten Prüfungen ebenfalls zur Sprechstunde angemeldet. Drei Mal sass sie seither im Beratungszimmer von Imke Knafla auf dem Zürcher Toni–Areal. «Alleine darüber zu sprechen, hat mir bereits sehr gut getan», sagt sie. Die Beraterin hat ihr verschiedene praktische Ratschläge gegeben: Genügend Lernpausen machen, regelmässig Sport treiben, Atemübungen zur Entspannung.

An sich selbst gescheitert

F. glaubt, sie sei nicht die Einzige in ihrem Studium, die unter Prüfungsangst leide. Der Die Prüfungsangst begleitet die Wirtschaftsstudentin seit Beginn ihres Studiums. Zu Beginn hielt sie ihre Anspannung noch für normal. Doch mit jeder schlechten Benotung nahm die Verunsicherung zu und mit ihr die Angst vor der nächsten Prüfung. Die Studentin, die im Gymnasium zu den besten gehörte, verzweifelte an sich selbst. «Das ist ja das besonders enttäuschende daran, dass man an sich selber scheitert.» Wenn sie über ihre Prüfungsangst spricht, dann fällt ein Wort immer wieder. Leistungsdruck. Sie erzählt vom Konkurrenzdenken unter den Studentinnen und Studenten, vom Ellenböglen», den hohen Anforderungen in den Stellenausschreibungen und den Erwartungen der eigenen Familie. «In der heutigen Gesellschaft darf man sich einfach keine Schwäche mehr leisten. Im Bereich der Wirtschaftswissenschaften ist das vielleicht besonders ausgeprägt.» Jessica hohe Druck setze vielen zu. Auch wenn in der Beratung ein offener Umgang empfohlen wird: Darüber sprechen könne sie mit ihren Mitstudierenden nicht. «Öffentlich zugeben möchte das niemand.» In einigen Wochen muss sie wieder die nächsten Prüfungen schreiben. Die Nervosität, sagt sie, steige bereits wieder. Dennoch sei sie gelassener als noch bei den letzten Prüfungen vor einem halben Jahr. «Ich weiss jetzt wieder, dass es nicht das Ende der Welt bedeutet, wenn ich nicht bestehe. Das hilft.»

«In der heutigen Gesellschaft darf man sich einfach keine Schwäche mehr leisten.»

 Jessica F., Studentin

Autor: Simon Jäggi

Coaching und psychologische Beratung an der ZHAW

Ein Studium an der ZHAW stellt hohe Anforderungen. Die Expertinnen und Experten der ZHAW helfen bei privaten und studienbedingten Problemen und Konflikten. Das Angebot der Beratungsstelle umfasst neben dem persönlichen Beratungsgespräch und Coaching auch eine Online- oder telefonische Beratung.

Das Beratungsangebot ist vertraulich und für die ersten fünf Beratungssitzungen unentgeltlich.